34. Der Anfang vom Ende

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Alleine im Überwachungslabor war es ziemlich einsam. Ich hatte zwar mehr Arbeit als jemals zuvor, jetzt wo ich alle Lichter beobachten musste, trotzdem fühlte ich mich innerlich so leer wie schon lange nicht mehr.
In dieser Zeit dachte ich immer häufiger an Isaac, an meine Familie, an George. Ich hatte das Gefühl, dass etwas in mir sich verändert hatte, nachdem sie Thomas geholt hatten. Die Entscheidung, WICKED zu verraten, aber auch die, weiterhin meine Rolle zu spielen, hatte ausgelöst, dass die alten Gedanken und Gefühle wieder hochkamen. Zum ersten Mal seit langer Zeit dachte ich wieder daran, was damals passiert war, bevor Shepherd und Avery mich gefunden und mitgenommen hatten. Bevor ich Isaac verloren hatte...
An dem Tag nach dem Eingriff, als Thomas auf die Lichtung geschickt wurde, war ich früher im Labor als jemals zuvor. Ich hatte weder wirklich geschlafen, noch hatte ich gefrühstückt. Mein ganzer Körper fühlte sich beinahe taub an bei dem Gedanken, was ihm bevorstand.
Während ich das Geschehen im Labyrinth beobachtete, hatte ich auf dem großen Bildschirm über meinem Kopf die gesamte Zeit die Übertragung aus der Gedächtniskammer eingeschaltet. Ich wollte um keinen Preis verpassen, was mit Thomas passierte. Ich studierte also neben den Jungen und Anna auch seine Gehirnaktivitäten - und war wirklich beeindruckt. Paige hatte niemals gelogen, als sie behauptet hatte, dass er sehr clever war. Vor allem verwunderte es mich, wie ähnlich seine Gehirnströme denen von dem Mädchen waren, das wir vor über drei Jahren dabei beobachtet hatten, wie sie sich krampfhaft an die Erinnerung an ihren Freund geklammert hatte. Bei Thomas war es anders, er schien nicht eine Person nicht vergessen zu wollen, viel mehr die Geschehnisse der letzten Tage und Wochen, was auch mich implizierte. Ich traute mich nicht, zu hoffen, dass er womöglich in der Lage sein würde, sich an Teresa und mich zu erinnern, geschweige denn an das, was er getan hatte. Und trotzdem war er so besonders...

Dann war es so weit. Während Minho, Anna und Ben durch das Labyrinth liefen und der Rest auf der Lichtung seinen Aufgaben nachging, erklang die Sirene, die die Box ankündigte. In den letzten Minuten hatte ich beobachtet, wie Thomas, der noch immer nass von der Gedächtniskammer war, mit der Box hochgefahren war, zuerst bewusstlos, dann ziemlich munter. Er schien offensichtlich in Panik zu sein und brüllte die Maschine an, als diese abrupt anhielt und ihn abermals zu Fall brachte.
Wie in Trance beobachtete ich, wie sie die Klappe öffneten, Gally zu ihm herunter sprang, ihn aus der Box hob. Dann sprintete er plötzlich los, versuchte ganz offensichtlich, vor der Traube aus Jungen zu fliehen.
Mit offenem Mund saß ich da und starrte den Bildschirm an, auf dem Thomas in unglaublicher Geschwindigkeit und wild mit den Armen fuchtelnd über die Lichtung stürzte - und hinfiel, wobei er sich mehrfach überschlug. Entsetzt schlug ich mir eine Hand vor den Mund und sog scharf Luft ein. Hatte er sich verletzt?
Doch da richtete er sich schon wieder auf, schien erst jetzt die Mauern wahrzunehmen, die die Lichtung, auf der er angekommen war, umgaben. Perplex drehte er sich im Kreis, während ich genauso perplex beobachtete, wie die johlenden und lachenden Jungen jetzt auf ihn zukamen, Rick und Jackson ihn packten und zum Loch trugen. Thomas schien so verwirrt und überrumpelt zu sein, dass er sich dieses Mal nicht einmal wehrte.
Ich sah zu, wie Alby ihn aus dem Bau holte und die Lichtung zeigte, wie er Newt und Chuck und all die anderen traf. Währenddessen wartete ich die ganze Zeit darauf, dass er endlich auf Anna und Minho traf. Ich fragte mich, ob ihre Anwesenheit irgendetwas in ihm auslösen, ob das Mädchen sich womöglich an ihn erinnern würde. Als er Alby sagte, er erinnere sich nicht an seinen Namen, rutschte mir das Herz kurz in die Hose. Ich spürte, wie ich drohte, die Hoffnung zu verlieren, sagte mir aber sofort, dass dies nicht bedeutete, dass er sich nicht doch an mehr erinnern würde, als die anderen. Auch Anna hatte sich nur so schnell an ihren Namen erinnert, weil Gally ihn gekannt hatte.
Dann war es endlich soweit. Ich war so vertieft in Thomas' und Chucks Gespräch, dass ich die Läufer für einige Zeit aus den Augen verloren hatte. Wären sie von einem Griever angegriffen worden, hätte ich nichts tun können - auch wenn meine Möglichkeiten offiziell natürlich sowieso sehr gering waren. Kurz musste ich an den Tag denken, an dem Anna und Minho sich mit ihren Läufern im Efeu hatten verstecken müssen, weil ein Griever sie beinahe gefunden hatte und bekam ein schlechtes Gewissen, so unaufmerksam gewesen zu sein, doch dann spürte ich wieder das aufgeregte Kribbeln, als mir klar wurde, dass sie gerade dabei waren, sich dem Ausgang und somit Thomas zu nähern.
- Wo wir wieder bei unserem heutigen Hauptdarsteller wären. Während ich Anna, Minho und Ben zugesehen hatte, wie sie sich dem Ausgang entgegenbewegten, hatte ich nicht mitbekommen, wie Thomas mitten im Gespräch mit Chuck scheinbar einfach gegangen und auf das geöffnete Tor zum Labyrinth zugelaufen war. Überrascht beobachtete ich, wie Chuck ihm nun nachlief und versuchte, ihn aufzuhalten.
"Alter!", rief er, als er den älteren Jungen erreichte. "Wo willst du hin?"
"Ich will's nur mal sehen", erklärte Thomas.
"Du kannst dich hier umsehen, soviel du willst. Aber geh nicht da raus", sagte Chuck und lief nun neben Thomas her, weiter auf das offene Tor zu.
"Warum nicht, was ist da draußen?", fragte dieser jetzt.
"Das weiß ich nicht", sagte Chuck. "Ich weiß nur, was man mir erzählt. Und wir dürfen hier nicht rausgehen!"
Thomas seufzte. Da kamen Anna, Minho und Ben angerannt, die gerade das Labyrinth wieder verließen - einen weiteren Tag ohne Zwischenfall, wie ich wie jedes Mal erleichtert feststellte.
Auf dem Weg zur Küche rief Ben: "Hey Chuck, neuer Frischling, hä? Freust du dich über die Beförderung?"
"Einfach toll, Ben!", entgegnete der rundliche Junge und strahlte. Einmal versetzte es mir einen Stich, wie jung er noch war.
Auch Minho und Anna liefen an den beiden Jungen vorbei und musterten Thomas kurz, hielten aber nicht, bevor sie sich ebenfalls auf den Weg zu Fry Pan machten.
Resignation machte sich in mir breit, als Thomas den beiden zwar kurz hinterher sah, sich dann aber mehr für das Labyrinth als für das Mädchen interessierte. Hätte er sie nicht auf Anhieb erkennen müssen? Annas Gehirnaktivität im Erinnerungszentrum war für eine kurze Sekunde angestiegen. Aber es hatte nicht gereicht, um sie dazu zubringen, sich an den Jungen, mit dem sie vor über drei Jahren noch so eng befreundet gewesen war, dass sie gemeinsam WICKED verraten hatten, wiederzuerkennen.
Doch da wurde ich in meinen Gedanken abrupt unterbrochen, als Gally auf Thomas zustürzte und ihn überaus grob vor dem Tor wegschubste, dem er sich gefährlich genähert hatte. Entsetzt beobachtete ich, wie die Jungen sich anschrien, mehrere andere zur Hilfe kamen und im nächsten Moment das Geräusch, das das Schließen des Tores ankündigte, sie alle unterbrach. Sogar Anna und Minho blieben stehen und beobachteten die Geschehnisse, genauso wie ich. Allerdings dauerte es nicht lange und die Traube aus Jungen löste sich wieder auf und nur Thomas blieb vor dem Tor zurück.

An diesem Abend machte ich Überstunden, so wie es in den nächsten Tagen zur Gewohnheit werden sollte. Ich beobachtete das allmonatliche Fest, sah Newt mit Thomas reden, sah Gally mit ihm kämpfen, sah, wie er sich an seinen Namen erinnerte. Mein Herz machte einen Hüpfer, als auch die Hoffnung in mir wieder anstieg. Thomas konnte es schaffen, sich zu erinnern, da war ich mir in diesem Moment sicher. Er würde das Rätsel des Labyrinths lösen können. Er musste einfach.
Als das Fest vorbei war, wurde ich Zeuge von Thomas' und Annas erstem Gespräch seit über drei Jahren. Das Mädchen trat neben ihn, während er zu den Mauern blickte, hinter denen vor wenigen Minuten der Schrei eines Grievers ertönt war.
"Faszinierend, oder?", fragte Anna, als sie neben ihn trat. "Wenn du einmal fast von einem von diesen Dingern geschnappt worden wärst, hört es auf, dich zu reizen."
"Du bist Anna", stellte Thomas fest, nachdem er sie kurz angesehen hatte.
"Sieht man das?"
"Newt hat mir erzählt, dass du und Minho die Hüter der Läufer seid."
"Dann hat er dir sicherlich auch erzählt, dass man nicht einfach so ein Läufer wird."
Thomas blickte sie nun direkt an und wieder betete ich, dass einem der beiden ein Licht aufgehen würde.
"Was muss ich machen, damit ihr mich mit da raus nehmt?", fragte er.
"Du willst also wirklich da raus?"
"Was hast du gemeint, als du gesagt hast, dass es aufhört, einen zu reizen, wenn man fast von einem von ihnen geschnappt wurde?", fragte er schulterzuckend.
"Das, was ich gesagt habe. Jetzt findest du es vielleicht faszinierend, was da draußen ist. So ging es mir auch vor drei Jahren. Aber wenn du dich erst einmal im Efeu verstecken musstest oder dein Freund dir gerade so das Leben gerettet hat, bevor du beinahe einem Griever in die Arme gelaufen wärst, dann reißt du dich nicht mehr darum, dort raus zu gehen."
Ein Schauer lief mir den Rücken herunter, als mir bewusst wurde, was das Labyrinth mit dem Mädchen gemacht hatte, das vor drei Jahren noch versucht hatte, die Kinder zu retten. Zum ersten Mal fiel mir heute wirklich auf, dass sie ein Stück weit das Glänzen in ihren braunen Augen verloren hatte. Ein Stich durchfuhr mein Herz. Es wurde wirklich Zeit, dass sie dort herauskamen. Und wenn ich konnte, dann würde ich ihnen helfen. Das schwor ich mir in diesem Moment, als Anna sich nach einigen weiteren Sätzen abwandte und Thomas allein in der Dunkelheit zurückblieb.
Einer ihrer letzten Sätze hallte in meinem Kopf wieder.
"Ich habe das große Glück, dass ich Minho habe."
Die beiden waren das wohl unschlagbarste Team, das man sich vorstellen konnte und ich wusste, dass sie füreinander sterben würden. Bei diesem Gedanken durchfuhr ein Stich mein Herz. Alle Menschen, über die ich dies von mir hätte sagen können und die noch lebten, waren gerade dort, auf dieser Lichtung, nur wenige hundert Meter Luftlinie von mir entfernt und doch so unerreichbar. Ich würde alles tun, damit sie es dort herausschafften.
Koste es, was es wolle.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaOù les histoires vivent. Découvrez maintenant