23. Gegen die Regeln

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Es war, als hätte Newts Rettung uns alle verändert.
Teresa wirkte zunächst ängstlich, aber als niemand uns darauf ansprach, teilte sie mir mit, dass sie fand, dass ich das Richtige getan hatte. Wahrscheinlich sah sie auch, dass ich nicht nur ihm, sondern auch ihrer Freundin Anna geholfen hatte, indem ich ihn rettete, genauso wie ich es ihr im Bett gesagt hatte. Schnell hatte sie sich eine Argumentationsstruktur überlegt, die sie Paige unterbreiten wollte, falls diese doch nachfragte. Dass ich mich illegaler Weise in das System gehackt hatte, schien sie zu verdrängen.
Thomas hingegen hatte von Anfang an gezeigt, dass er richtig fand, was ich getan hatte. Er schien sich nun endgültig sicher zu sein, dass ich eine von ihnen war. Zumindest behandelte er mich nicht mehr nur freundlich, sondern zeigte großes Vertrauen, als er nur zwei Tage später begann, mich in ihre Geheimnisse einzuweihen.
Mich selbst hatte Newts Rettung wahrscheinlich am meisten verändert. Ich hatte zum ersten Mal wieder begonnen, meine fein säuberlich aufgesetzte Maske nicht krampfhaft aufrecht zu erhalten. Ich öffnete mich meinen beiden neuen Freunden - denn das waren sie und wurden sie jeden Tag mehr. Ich begann zu zeigen, wer ich wirklich war und es sollte schnell klar werden, dass ich recht damit gehabt hatte, Thomas mir gleich einzuschätzen. Und auch Teresa war mehr eine Rebellin, als ich es erwartet hatte.
"Wir werden heute Nacht gehen", schloss Thomas, während er neben Teresa auf ihrem Bett saß und die beiden nickten sich zu. "Ich habe es Anna zwei Mal ermöglicht, jetzt hat sie es verdient, dass wir uns auch von ihr verabschieden."
"Egal, ob es gegen die Regeln ist", flüsterte Teresa und nickte. Ihre Worte überraschten mich, soviel war klar, aber ich war nicht so überrascht, wie ich noch vor wenigen Tagen gewesen wäre.
"Ich werde euch helfen", sagte ich sofort, ohne dass einer der beiden mich darum bitten musste. "Ich werde Schmiere für euch stehen."
Thomas nickte und ein trauriges Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Einmal mehr erkannte ich, dass dieses Mädchen nicht nur für Teresa eine wichtige Freundin gewesen war. Wer auch immer sie war - auch Thomas kämpfte mehr mit ihrem Schicksal, als er zeigte.
"Ich bin um zwei Uhr hier. Ihr solltet schlafen gehen, bevor ihr morgen zu nichts zu gebrauchen seid", meinte er, drückte Teresas Schulter und stand auf.
Mit wenigen Schritten war er bei der Tür, nickte uns noch einmal zu und verschwand dann auf den Gang. Ich war mir sicher, dass er selbst kaum ein Auge zu machen würde.
"Ich geh' duschen", murmelte Teresa und stand ebenfalls von ihrem Bett auf. Ihre Augen sahen leer aus.
Während sie im Badezimmer war, streckte ich mich auf meinem Bett aus und starrte die Decke an. Nach einigen Minuten kramte ich nach einem meiner Bücher über einen Zauberlehrling, schaffte es aber nur kaum, mich auf das zu konzentrieren, was dort geschrieben stand. Anstatt wirklich darüber nachzudenken, wie der Protagonist gerade in der Zeit zu reisen schien, wanderten meine Gedanken immer wieder zu dem Mädchen und dem Jungen, die gerade irgendwo in einem Raum eingesperrt waren und vermutlich noch immer Todesangst hatten.
Bald legte ich das Buch, das ich genauso wie die anderen der Reihe sowieso fast auswendig kannte, beiseite und setzte mich aufrecht hin. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es sein musste, seit so langer Zeit in einen Raum gesperrt zu sein, als Verräter betitelt, ohne zu wissen, was mit einem passieren würde. Wahrscheinlich war dies einer der Gründe, warum ich stets eine gut ausgefeilte Maske getragen hatte während meiner Zeit bei WICKED. Wenn ich eins wusste, dann war es, dass ich sowieso zu schwach wäre, um irgendetwas zu bewegen. Ich hatte bis hierher überlebt. Das war mehr, als ich mir jemals erträumt hätte, als Isaac...
Ich schüttelte entschieden den Kopf. Es war keine Zeit, um über ihn oder etwas anderes aus meiner Vergangenheit nachzudenken. Es war vorbei.
Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass noch etwas vorbei war. Wie ich so dasaß und über all dies nachdachte, wusste ich plötzlich, dass dies hier keine Tat zu Liebe meiner neuen Freunde war. Es war das erste Mal, dass ich eine Chance hatte, mich gegen WICKED zu wehren, ihnen nicht blind zu gehorchen. Genau genommen hatte es begonnen, als ich Newt gerettet hatte.
Ich war aufgewacht.

Und ich konnte klarer sehen, als jemals zuvor. Als mir erst einmal bewusst war, dass ich möglicherweise doch mehr tun konnte, als nur stumm zuzusehen, was WICKED tat, und zu gehorchen, wenn sie etwas von mir verlangten, schien ein Schleier vor meinen Augen zu verschwinden.
Während ich um zwei Uhr Nachts mit Thomas und Teresa die dunklen Gänge entlang lief, wusste ich, dass ich es auch getan hätte, was Anna und der Junge - sein Name war Minho, laut den Akten - getan hatten. Ich hätte ihnen geholfen, wenn ich sie gekannt hätte. Die Tatsache, dass das, was erzählt worden war, über die Befreiung von diesen Kindern, nicht nur ein Ammenmärchen, sondern die Wahrheit gewesen war, schien mir neue Energie zu geben. Vielleicht war es tatsächlich vorbestimmt gewesen, dass ich hierher geschickt worden war. Vielleicht musste ich diese beiden Menschen treffen, die hier neben mir herliefen, von der Geschichte der beiden hören, zu denen wir gerade auf dem Weg waren, um mich selbst wiederzufinden, wie ich wirklich war. Vielleicht waren wir drei uns sogar noch ähnlicher, als ich bisher geglaubt hatte.
All diese Gedanken ließen mich auch nicht los, als wir die Zelle der beiden Jugendlichen erreichten und Thomas begann, die Tür zu öffnen.
"Geschafft", stieß er hervor, als sie klickte und aufging.
"Schnell, rein, bevor uns jemand sieht!", zischte Teresa, nickte mir noch einmal zu und verschwand dann mit Thomas in dem hell erleuchteten Raum.
"Ach du Scheiße", hörte ich sie drinnen hervorstoßen, bevor die beiden sich so weit in den Raum bewegten, dass ich nur noch Gemurmel erkennen konnte.

Es dauerte einige Minuten, bis sie fertig waren. Gewünscht hätte ich ihnen eine ganze Ewigkeit, aber die konnte ich ihnen natürlich nicht geben.
Während der gesamten Zeit, die sie dort drinnen waren, saß - oder besser gesagt stand - ich auf heißen Kohlen. Die Angst, dass eine Wache oder ein anderer Mitarbeiter um die Ecke kommen und uns erwischen könnte, war viel zu groß. Aber ich blieb genau dort stehen, wo ich war, bereit, einzuschreiten. Mir war von vorne herein bewusst gewesen, dass ich, sollte jemand auftauchen, Argumente finden würde, um WICKED davon zu überzeugen, dass ich alleine draußen unterwegs war. Niemals würde ich meine Freunde hinter dieser Tür verraten.
Aber ich hatte Glück. Niemand kam und irgendwann öffnete sich die Tür hinter mir wieder, was mich zusammenzucken ließ. Zuerst war da Teresa, die Augen gefüllt mit Tränen, und dann Thomas, dem eine Träne die Wange herunter lief. Er blickte ein letztes Mal in den Raum, schien einen Schluchzer zu unterdrücken und wandte sich dann ab.
In dem kurzen Moment, bevor er die Tür völlig schloss, konnte ich einen Blick in den Raum erhaschen. Ich war sicher, dass sie mich nicht sehen konnten oder mich für Teresa hielten, aber dort sah ich sie, eng nebeneinander kauern, das Mädchen und der Junge.
Und stumm versprach ich ihnen und mir, dass ich auf sie aufpassen würde. Genauso wie Thomas und Teresa es tun würden.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWhere stories live. Discover now