27. Ein Funken der Hoffnung

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Anna fand den Zettel, den Teresa und ich ihr zugesteckt hatten noch am gleichen Tag. Sie stand inmitten der Sanihütte neben dem gestochenen Jungen, der am Mittag versucht hatte, sie und den Jungen, der sich kurz zuvor an seinen Namen erinnert hatte - Minho -, zu töten. Gespannt saßen wir da und starrten den großen Bildschirm über unseren Köpfen an, auf den Teresa die Szene geworfen hatte, während das Mädchen den Zettel entfaltete und im schwachen Licht der Hütte las. Thomas zoomte heran und auch ich las nun zum ersten Mal die Nachricht, die ihre Freundin ihr mit auf den Weg gegeben hatte.
Erinnere dich.
Mehr hatte Teresa ihr nicht sagen wollen - oder können.
Thomas, der bisher nichts von alle dem gewusst hatte, blickte das Mädchen zu seiner linken jetzt verwirrt an, sah dann kurz zu mir, als würde er sich fragen, ob ich vielleicht hinter dem Ganzen steckte, schien dann aber zu entscheiden, dass es Teresa gewesen sein musste.
"Teresa, was...?" Mehr schien er nicht sagen zu wissen.
"Ich weiß, was du über mich denkst, Tom. Du denkst, ich bin für das alles, was hier passiert. Und ja, ich bin dafür, dass wir ein Heilmittel finden, koste es, was es wolle. Ich finde auch, dass der Zweck ein Stück weit die Mittel heiligt. Aber ich vermisse meine Freundin trotzdem. Ich will nicht, dass sie stirbt, ich will, dass sie es dort heraus schafft und dass wir uns eines Tages wiedersehen können, auch wenn sie möglicherweise niemals wissen wird, dass wir uns gekannt haben. Und ich denke, dass sie sich dafür erinnern muss, zumindest ein bisschen. Ich denke, dass sie eine der wenigen ist, die das überhaupt kann. Und ich will, dass sie weiß, dass ich hier bin und dass es jemanden gibt, der sie nicht vergessen hat und niemals wird. Jemanden, der auf sie aufpasst, so, wie du es selbst einmal gesagt hast. Jemanden, der sie liebt. So wie du und ich."
Thomas und ich schwiegen. Teresas Worte hatten uns beide berührt. Ich spürte Tränen in meinen Augen.
"Franci versteht mich. Sie hat mir geholfen."
Jetzt sahen sie beide mich an. Langsam begann ich zu nicken, während ich jetzt wieder auf den großen Bildschirm starrte, auf dem Anna jetzt die Sanihütte und somit den gestochenen Jungen wieder verließ und zum großen Lagerfeuer herüber ging, an dem die anderen Jungen feierten. Sie setzte sich ein Stück abseits.
Gerade als ich darüber nachdachte, dass sie sich bereits zumindest ein bisschen an ihren besten Freund Gally erinnert hatte, erkannte ich, wie Newt sie ziemlich penetrant anstarrte. Ohne es zu wollen machte mein Herz einen kleinen Hüpfer. Ich fühlte mich, als säße ich im Kino und schaute einen Film. Da fiel mir auf, dass ich mich noch nie so gefühlt hatte, seit ich bei WICKED arbeitete. Das Ganze fühlte sich merkwürdig an.
Auch Thomas und Teresa hatten mittlerweile ihre Blicke von mir gewendet, nachdem ich nichts verbal entgegnet hatte, und beobachteten nun ebenfalls das, was auf dem großen Bildschirm passierte.
Das Mädchen, das dort irgendwie so verloren aussah, dass sie mir wirklich leidtat, bemerkte nun auch den Blick des Jungen und begann zurück zu starren, was sie mir immer sympathischer machte. Mehr hätte ich auch nicht getan. Aber immerhin auf jeden Fall das.
Nach einer Weile stand sie auf und ging zu ihm herüber, was ihn wohl genauso überraschte wie uns drei vor den Bildschirmen.
"Ihre Gehirnaktivität...", flüsterte Teresa fasziniert und deutete auf einen Bildschirm neben uns.
Und sie hatte recht, in Annas Gehirn leuchtete das Erinnerungszentrum plötzlich immer mehr auf.
Während die beiden jetzt über Newts Reaktion in der Versammlungshütte sprachen, als er einfach so hinausgelaufen war, nachdem Anna und Minho zu Läufern erklärt worden waren, beobachteten wir fasziniert, wie ihr Gehirn massiv gegen die Gedächtnisblockade ankämpfte. Als er dann gehen wollte, nachdem er ihr eröffnet hatte, dass er sich nicht um die beiden, sondern explizit um sie sorgte, sprang das Mädchen plötzlich auf und lief ihm nach.
"Newt, warte!", rief sie. Ich... Ich glaube ich weiß, was du meinst. Als ich aus der Box kam, heute Morgen, da habe ich dich gesehen und du hast mich angeguckt und ich war mir sicher, ich kenne dich. Ich weiß nichts mehr aus meiner Vergangenheit und ich hätte mich wahrscheinlich auch nicht an Gally erinnert, wenn er diese Erinnerungen nicht geweckt hätte, aber an dich habe ich mich erinnert. Deine Augen... Es ist als hätte ich sie schon einmal gesehen, als hätte ich schon tausend Mal hineingesehen. Und ich weiß nicht, was das heißt und ob ich hier gerade einfach nur wirres Zeug rede, aber irgendetwas ist da und du kannst mir doch nicht sagen, dass du nicht auch das Gefühl hast, dass wir uns gekannt haben. Das kann doch nicht sein, ich bilde mir das doch nicht nur ein..."
Jetzt weinte sie. Es zerriss mir beinahe das Herz zu sehen, wie es dieses Mädchen, das nicht viel älter war als ich, förmlich zu zerreißen schien. Doch da tat Newt etwas so überraschendes und gleichzeitig so natürliches, dass ich erst gar nicht merkte, wie ich den Atem anhielt.
Er schloss sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.
Und plötzlich passierte etwas. Etwas, was ich noch nie zuvor gesehen hatte und was auch Thomas und Teresa völlig von den Socken zu hauen schien. Der Bildschirm, auf dem die Gehirnströme der beiden geöffnet waren, blinkte, die Skalen schlugen aus, sogar ein leises Piepen ertönte. Die Erinnerungszentren ihrer Gehirne taten etwas, was die Gedächtnisblockade eigentlich in keinem Fall hätte zulassen sollen.
Und doch passierte es. Und doch erinnerten sich diese beiden Menschen aneinander, nachdem WICKED alles getan hatte, um sie einander vergessen zu lassen.
Als sie sich wieder voneinander lösten starrten sie sich einen Augenblick mit angehaltenem Atem an. Auch ich traute mich noch immer nicht, Luft zu holen, genauso wie die beiden Menschen neben mir.
Da nahm Newt Annas Hände und trat näher an sie heran. Bei seinen nächsten Worten wurde mir schwindelig.
"Ich liebe dich", sagte er.
"Und ich liebe dich", entgegnete sie, als wäre es das normalste, das offensichtlichste Ding dieser Welt.
Und das war es auch. Genauso natürlich wie es wirkte, als sie es sich sagten, war es auch, als sie sich jetzt küssten, vor aller Augen und doch nur von uns dreien bemerkt, die wir hier saßen, das Abendessen mittlerweile vermutlich komplett verpasst hatten und uns nicht von der Stelle rühren konnten.
"Sie hat es geschafft", flüsterte Teresa irgendwann.
Und sie hatte recht. Dieses Mädchen dort hatte es wirklich geschafft. Sie hatte sich und ihre große Liebe dazu gebracht, sich aneinander zu erinnern. Sie hatte WICKED ausgetrickst.
Ab diesem Tag wurde Anna ein Symbol für mich, genauso wie für Teresa und Thomas. Ich war mir sicher, dass ihre Fähigkeit, sich zu erinnern, bedeuten musste, dass nicht alles hoffnungslos war. Denn das war es, was diese Szene mir gegeben hatte.
Anna gab mir Hoffnung.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWhere stories live. Discover now