18. Verbannung

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Als ich mit Thomas das Überwachsungslabor betrat, in dem ich ab jetzt arbeiten würde, war mein Gesicht zwar getrocknet, allerdings war ich sicher, dass Teresa mir ansehen konnte, dass ich geweint hatte. Sie musterte mich genau, als ich mich auf einen Stuhl rechts neben dem Jungen setzte, sodass er zwischen uns saß. Das war der nächste freie Stuhl gewesen und ich fragte mich, wem er zuvor gehört hatte. Möglicherweise Teresas Freundin, Anna?
Ohne allerdings ein Wort über meinen Abgang aus dem Speisesaal oder meiner Reaktion von eben zu verlieren, räusperte sie sich. "Ihr habt nicht viel verpasst. Nick und Alby sind immer noch sehr ruhig und haben sich zurück gezogen, die Schlitzer haben sich bisher nur um die Tiere gekümmert, Fry Pan bereitet langsam das Mittagessen vor, Gally baut weiterhin an der Hütte für Nick, sollte aber bald fertig sein, Clint ist noch mit Justins Bein und dem Verbandswechsel beschäftigt... Hab' ich irgendwen vergessen?"
"Newt", sagte Thomas. "Ist er wieder da draußen?"
Sie nickte. "Er ist beim Öffnen der Tore rausgegangen. Arbeitet sich ganz gut vor. Aber er sieht immer schlechter aus, fängt an mit sich selbst zu reden. Ich denke nicht, dass er noch lange ein Läufer sein wird."
Ich runzelte die Stirn und betrachtete den blonden Jungen, der gerade um eine weitere Ecke im Labyrinth bog. Er joggte vor sich hin und schien bei jedem Schritt etwas zu murmeln.
"Was hat er?", meldete ich mich jetzt zum ersten Mal zu Wort.
Teresa zuckte mit den Schultern. "Ich befürchte, das Labyrinth macht ihn verrückt."
Am liebsten hätte ich die beiden gefragt, ob wir nicht irgendetwas für ihn tun konnten, aber ich wusste, dass wir es nicht durften.
"Ist sowas in B noch nie passiert?", fragte das Mädchen.
Ich schüttelte mit dem Kopf. "Ein oder zwei Mädchen hatten mal ein paar Angstprobleme, aber gemeinsam konnten sie das behandeln. Die Sanis sind wirklich gut und Harriet ist eine tolle Anführerin."
"Mädchen haben's halt mehr drauf, nicht wahr?", fragte Teresa und klang dieses Mal neckisch, als sie mir über Thomas hinweg zuzwinkerte.
Ich lächelte schwach. "Die meisten auf jeden Fall."
Ob ich dazu gehörte? Wohl eher nicht. Wenn mich allein die Erwähnung eines Namens, dessen Besitzer ich nur so kurze Zeit hatte kennenlernen können, so aus der Fassung brachte und meine Maske so stark bröckeln ließ, dann war ich alles andere als stark und hatte es ganz bestimmt nicht 'drauf'.
Du verbindest George und die anderen einfach mit dem Ende deines alten Lebens. Das macht dich schwach.
Und ich wollte um keinen Preis schwach sein.
"Heute Abend ist es dann soweit?", fragte ich, wobei meine Stimme weniger ruhig und kalt klang, als ich es mir gewünscht hatte.
Teresa nickte. "Wenn die Tore sich schließen."
Auch ich nickte, musste mich aber ganz genau auf den blonden Jungen im Labyrinth konzentrieren, damit ich nicht wieder in Tränen ausbrach.
Thomas bemerkte dies. Ich spürte, wie er mir eine Hand auf die Schulter legte und sie drückte. Ich sah auf und unsere Blicke trafen sich. Er nickte kaum merklich, als wolle er mir sagen, dass er da war, dass alles gut werden würde. Ich nickte zurück, genauso leicht. Aber er sah es. Und wir verstanden uns ohne Worte.

Es war kurz vor Sonnenuntergang, als der blonde Läufer, Newt, die Lichtung wieder erreichte. Er wirkte ganz und gar nicht außer Puste. Es sah eher so aus, als würde ihm nicht die Puste, sondern das Leben fehlen, das normalerweise im Gesicht eines Menschen zu sehen war. Ich hatte das Gefühl, dass seine Augen ihren Glanz verloren hatten, von dem ich sicher war, dass er diesen einst gehabt hatte.
"Wie lange ist Newt schon auf der Lichtung?", fragte ich in den Raum hinein und nahm das Headset vom Kopf.
"Knapp drei Wochen. Er ist der Frischling", entgegnete Thomas.
Ich nickte langsam. "Es ist nicht nur das Labyrinth, was ihn so werden lässt. Da ist mehr. Es wirkt so, als würde das Labyrinth das Ganze nur verstärken oder beschleunigen..."
"Du bist eine ziemlich gute Beobachterin", stellte Teresa fest. "Ich verstehe, warum Dr. Paige dich unbedingt hier haben wollte."
Ich zuckte mit den Schultern. Komplimente lagen mir nicht so. Also fuhr das Mädchen fort.
"Er war verliebt, in Anna."
"Das Mädchen, das vorher hier gearbeitet hat", erklärte Thomas.
Ich nickte. Das hatte ich ja bereits von Teresa gewusst.
Er deutete auf den Stuhl auf dem ich saß und dann zu dem freien neben mir. "Da haben sie gearbeitet, beide. Newt war nicht sehr lange bei uns, nur vier Wochen. Ich schätze, Janson wollte einfach nur schauen, wie sein Gehirn sich für diese Arbeit eignet. Eigentlich sind wir hier immer nur maximal zu dritt gewesen."
"Warum sollte Janson das wissen wollen?", fragte ich.
"Er ist nicht immun. Er ist einer der Kontrollprobanden", erklärte Teresa.
Mein Herz stach. Sofort fühlte ich ein tiefes Mitleid zu dem Jungen, der gerade mit Alby darüber sprach, was er gesehen hatte.
"Aber das macht ihn nicht weniger klug. Ich denke, Janson war selbst überrascht, so wie alle anderen. Genau genommen war er denke ich einer der cleversten, die wir hier hatten - und er ist mit Abstand der cleverste dort", fügte er hinzu und deutete auf die Videoaufnahme der Lichtung.
"Wie charmant von dir", bemerkte Teresa. Ein Lächeln hatte sich auf ihr Gesicht gelegt. Etwas, was man nicht allzu oft zu sehen bekam, hatte ich gelernt.
"Muss schwer sein, eure Freunde dort zu sehen...", sagte ich leise.
Teresa nickte langsam, während Thomas neben mir stumm dasaß und seinen Hauptbildschirm anstarrte. Ich hatte einen wunden Punkt getroffen, so viel war klar.
Wir schwiegen eine Weile und ich beobachtete, wie Newt und Alby sich auf den Weg zu Nick machten, dann, wie die Lichter begannen sich vor dem offenen Tor zu versammeln, wie der Baumeister - Gally war sein Name, wenn mich nicht alles täuschte - jedem Jungen einen spitzen Stab und den Hütern welche mit breiten Vorrichtungen am Ende gab, die er scheinbar gebaut hatte, und wie sie sich in einer Traube um die Öffnung aufstellten.
"Es geht los", flüsterte Teresa und ich konnte neben dem Mitgefühl noch eine andere Emotion in ihrer Stimme erkennen, die mir ganz und gar nicht gefiel.
Gespanntes Interesse.
Ich wandte den Blick nicht einmal von dem großen Bildschirm, auf dem wir das Spektakel nun zu dritt beobachteten, nachdem Teresa das Bild nach dort oben geworfen hatte. Nick und Alby holten George, der auf einer Liege in der Sanihütte gefesselt dalag, während Newt nun auch seinen Platz bei den Hütern einnahm.
Ich erkannte den Jungen sofort, auch wenn es eine ganze Zeit her war, dass ich ihn gesehen hatte. Aber er hatte noch immer die gleichen dunklen Haare, das gleiche freundliche Gesicht, entstellt von dem Gift des Grievers, die gleichen Augen, die jetzt blutunterlaufen waren.
Mein Herz zog sich bei seinem Anblick zusammen und ich musste mich zwingen, die ganze Zeit hinzuschauen, als sie ihn zu dem Tor schleppten und die Prozedur durchführten.
Nick und Alby nahmen ebenfalls jeder einen verstärkten Stab von Gally entgegen, den sie nun alle auf den zitternden Jungen richteten, der unschlüssig vor dem Tor stand.
"Beginnt!", rief Alby, die Stimme fest, die Augen auf einen Punkt irgendwo über George gerichtet.
Und das taten sie. Sie drängten ihn immer weiter in Richtung des Tores, als das markerschütternde Geräusch ertönte, das ich bereits unzählige Male im B-Labyrinth gehört hatte. Das Tor begann sich zu schließen und sie drängten ihn immer weiter hinein. Der Koch warf ihm eine Tasche mit Verpflegung in den Gang, als er stumm dastand, die Arme um den Körper geschlungen, da der Wind seine kaputte Kleidung wild um ihn herum wehen ließ. Er blickte seine beiden besten Freunde an, aber nicht vorwurfsvoll, sondern so, als verstände er, warum sie das alles tun mussten. Und kurz bevor das Tor sich schloss, nickte er. Und er war kurz wieder genau der Junge, der für mich da gewesen war, als ich niemanden sonst gehabt hatte.
Thomas drückte einen Knopf und der Bildschirm wurde schwarz.
"Das reicht", sagte er leise.
Ich starrte noch immer auf den Punkt, wo eben noch George zu sehen gewesen war. Jemand hielt mir ein Taschentuch hin und ich war überrascht, dass es Teresa war. Ich hatte selbst gar nicht bemerkt, dass die Tränen mir in Strömen die Wangen herunter liefen. Also wischte ich sie weg und folgte dann stumm meinen beiden neuen Kollegen aus dem Labor.
In dieser Nacht lag ich noch lange wach, auch, als Teresa bereits tief und fest schlief. Wir hatten kaum geredet, sie schien gespürt zu haben, dass mich Georges Verbannung mehr als nur etwas getroffen hatte.
Also lag ich da, wartete auf den Schlaf und auf die Träume, die er mit sich bringen würde, als mir jemand einfiel, jemand, an den ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gedacht hatte.
Irgendwo da draußen gab es ein Mädchen, Georges Schwester. Möglicherweise war sie schon längst tot, gefressen von Cranks oder selbst zu einem geworden. Aber vielleicht lebte sie auch noch und dachte jetzt gerade ebenfalls an ihren Bruder, der in dieser Nacht zum Tode verurteilt worden war. Ich wusste es nicht.
Aber ich wusste, dass ich jetzt gerade an sie dachte, auch wenn wir uns nie gekannt hatten und auch niemals kennenlernen würden. Und da fiel mir auch ihr Name wieder ein.
Brenda.
Ohne, dass sie es wusste, teilten wir nun das gleiche Schicksal. Komischerweise fühlte ich mich in diesem Moment mit ihr mehr verbunden als mit sonst jemandem auf diesem Planeten. Wir hatten unsere Familien verloren, unsere großen Brüder, unsere Helden.
Und ich wünschte mir, sie einfach kennenlernen zu können, sie zu umarmen, den Verlust mit ihr teilen zu können. Aber das würde wohl niemals möglich sein.

Behind The WICKED Truth | A Maze Runner NovellaWhere stories live. Discover now