24. Ein Grab im Garten

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Die Nacht nach dem Tod meines Bruders war schrecklich. Und doch war sie auch schön.
Es ist unmöglich zu beschreiben, wie es sich anfühlt, seinen eigenen Bruder zu Grabe zu tragen. Die Tatsache, dass ich es gewesen war, die ihn getötet hatte, hing über mir wie eine dunkle Gewitterwolke, die unaufhörlich donnerte und grollte.
Aber ich war nicht alleine. Die gesamte Zeit über war Isaac an meiner Seite, ab dem Moment, in dem wir sein Haus verließen, bewaffnet mit Spaten und Schaufeln. Wir durchquerten seinen Garten und betraten unseren, in dem ich mit vier Jahren dem fremden Mann begegnet war, den mein Vater vor meinen Augen erschossen hatte.
Ich suchte mir den Platz, an dem wir dann zu graben begannen, ganz genau aus. Es war unter einer Trauerweide, die viel Schatten spendete und deren Blätter und Äste früher Noah und mir immer als Versteck gedient hatten, wenn wir im Garten gespielt hatten. Auch wenn ich mich kaum an diese Zeit erinnern konnte, sah ich ihn noch immer vor mir, wie er dort neben mir hockte, hörte noch immer sein Kinderlachen. Und meins.
Stumm gruben wir also ein Grab, etwas was ich niemals hatte tun müssen wollen, für niemanden. Aber Noah hatte es verdient, beerdigt zu werden. Er sollte seine letzte Ruhe finden können. Und möglicherweise würde es auch mir helfen, damit abzuschließen, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich jemals leben könnte, ohne seine Augen zu sehen, wenn ich die meinen schloss.
Irgendwann, nachdem wir einige Stunden gegraben hatten und der Mond bereits hoch am Himmel stand, durchbrach Isaac als erster die Stille, die zwischen uns geherrscht hatte und die nur durch die Geräusche der Schaufeln unterbrochen worden war.
"Ich glaube, das ist tief genug", sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Ich hielt inne und betrachtete das Loch, das wir gegraben hatten. Langsam begann ich zu nicken.
"Na dann... Holen wir ihn."
Wieder nickte ich nur. Mehr wusste ich nicht zu tun, viel zu groß war die Angst, dass bei jeglichem Laut, den ich aus meinem Mund lassen könnte, nur ein Schluchzer herauskam. Die gesamte Nacht hatte ich geschwiegen, im stummen Kampf mit mir selbst. Nur die körperliche Anstrengung des Grabens hatte mich davon abgehalten, völlig zusammenzubrechen. Aber jetzt hieß es stark zu sein. Für Noah, für denjenigen, der mich niemals verlassen hatte. Bis heute.
Also lief ich in Richtung Haus, öffnete die Tür für Isaac und mich, wartete, bis er sie wieder verschlossen hatte und ging dann mit zitternden Knien in Richtung Kellertreppe.
Ab dem Moment, in dem ich die Tür öffnete, befand ich mich wie in einer Art Trance und wenn ich später versuchte, mich daran zu erinnern, wie das Ganze abgelaufen war, sah ich nur noch Bruchstücke. Meistens versuchte ich allerdings sowieso nicht daran zu denken. Es hatte schließlich einen Grund, warum mein Unterbewusstsein diese Nacht so verzweifelt zu verdrängen versuchte.
Isaac hatte ein Bettlaken mitgebracht, schließlich hatten wir keinen Sarg. Generell hatte er viel mehr einen Plan von dem, was wir taten und was zu tun war, als ich. Ich hätte wahrscheinlich die ganze Nacht gegraben, ohne ein Ende zu finden, einfach aus Angst vor dem, was als nächstes kam.
Aber Isaac war da und nahm mir das Denken ab. Den Weg vom Keller zum Garten nahm ich nur verschwommen war. Ich fühlte mich wie unter Drogen, als habe mein Gehirn sich weitestgehend ausgeschaltet und als würde mein Körper nur noch funktionieren.
Wir brachten Noah also aus dem Haus und in den Garten. Dort legten wir ihn in seine letzte Ruhestätte. Bevor wir begannen, das Grab wieder mit Erde zuzuschütten, legte ich ihm noch seinen alten Teddybären, den ich in seinem Zimmer wiedergefunden hatte, dazu.
Danach weiß ich so gut wie gar nichts mehr. Ich stand Isaac wahrscheinlich mehr im Weg, als dass ich hilfreich war. Aber er beschwerte sich nicht. Er schüttete das Grab zu - nahm die wenige Hilfe, die ich war, an als wäre es das Größte - und stellte sich dann stumm neben mich, während nun die Tränen sich ihren Weg meine Wangen herunter bahnten.
In dieser gesamten Nacht sagte ich kein Wort. Irgendwann, nachdem ich getrauert hatte, mich verabschiedet hatte, nahm Isaac mich an die Hand und führte mich weg, rüber zu seinem Haus. Er wollte mir eines der Betten herrichten, aber ich schüttelte den Kopf und hielt mich einfach an seinem Arm fest. Was genau ich erreichen wollte, wusste ich selbst nicht, nur, dass ich keinesfalls alleine sein wollte. Genau genommen war das kein "Wollen" - viel mehr war es ein "Können". Ich fühlte mich, als würde ich durchdrehen, zerbrechen, verrückt werden, wenn er mich jetzt alleine ließe.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich zum ersten Mal daran dachte, dass es Schicksal gewesen sein musste, dass wir uns getroffen hatten. Dass es kein Zufall sein konnte, dass wir zusammen gefunden hatten, dass er mich gefunden hatte. Im Nachhinein bin ich sicher, sagen zu können, dass Isaacs Auftauchen in meinem Leben mir ebendieses gerettet hatte. Wäre er nicht gewesen, wäre ich wahrscheinlich einfach so gestorben, verrückt geworden, zerbrochen und von Banditen oder Cranks gefunden und getötet.
Aber Isaac hatte mich gefunden. Und so brachte er mich auch irgendwie durch diese schreckliche Nacht. Zwischen Tränen und Übermüdung fiel ich irgendwann in den Morgenstunden, als die Sonne schon wieder den Mond ablösen wollte, in einen traumlosen Schlaf, unten auf dem Sofa des Hauses, auf dem wir am Tage noch gesessen hatten. Er saß die gesamte Zeit neben mir und wich mir nicht von der Seite.
Irgendwann am Morgen des nächsten Tages, als ich kurz aus meinem komaähnlichen Zustand erwachte, dachte ich kurz, Noah säße neben mir und hielte meine Hand, so wie er es so oft getan hatte. Als ich realisierte, dass es nicht mein Bruder war, der dort neben mir mittlerweile im Sitzen eingeschlafen war, sondern ein fremder Junge, der mir in der letzten Nacht geholfen hatte, meinen Bruder zu beerdigen, spürte ich sofort wieder die Trauer und die Tränen, die in mir aufstiegen. Aber nur wenige Momente später wurde mir klar, dass ich mich in Isaacs Gegenwart ein bisschen so fühlte wie bei Noah. Wieder fiel ich in diesen tiefen, traumlosen Schlaf.
Und ohne es zu wissen, war dies der Beginn eines neuen Lebens für mich - und für Isaac.

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