Kapitel 12

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BIANCA

Ich hatte keine Ahnung, ob das funktionierte, was ich hier versuchte. Ich war immer noch schockiert von allem, was sich in den letzten paar Minuten abgespielt hatte, aber ich war auch ein sehr optimistischer Mensch. Ich glaubte immer an das Gute in jedem und auch, wenn ich früher Angst vor Bruno gehabt hatte, war ich mir nun sicher, dass er nicht das Monster war, als das er von allen anderen beschrieben wurde. Er war so durch Vereinsamung und Venachlässigung geworden und ich war mir sicher, dass wir das auch wieder ändern konnten. Natürlich entschuldigte das nicht, dass er mit mir in einem betrunkenen Zustand geschlafen hatte, aber ich musste das Beste aus der Situation machen. Ich bemerkte, dass seine Hände zitterten und er angestrengt zur Seite sah.
"Du lügst mich nur an", brachte er schließlich heiser hervor.
"Das tu ich nicht. Ich werde dir helfen, wirklich. Ich glaube nämlich wirklich, dass du tief in deinem Herzen ein guter Mensch bist. Auch, wenn es eine Weile dauern wird, bis wir dir alle verzeihen können, aber man kann sicherlich daran arbeiten. Und wenn du mir mit dem Kind hilfst, bin ich mir sicher, dass auch wir vielleicht Freunde werden können", widersprach ich ihm. "Das ist deine letzte Chance, Bruno. Noch eine wirst du von keinem hier bekommen."
"Sie hassen mich alle. Sie haben mich schon immer gehasst! Wieso sollten sie mir eine zweite Chance geben wollen?", fragte er bissig nach und sah mich endlich wieder an. Er sah allerdings nicht wütend aus, sondern einfach nur extrem verletzt und unsicher. Ich drückte seine Hände.
"Weil ICH dir eine Chance gebe. Und wenn ich das kann, obwohl du mir all das angetan hast, dann wird das Dorf es sicher auch tun. Früher oder später. Aber du kannst es wieder gutmachen", antwortete ich und sah ihn flehend an. Wahrscheinlich verzieh ich ihm das alles viel zu schnell, aber ich glaubte eben an das Gute in ihm und wollte, dass alles wieder gut werden würde. Und ich wollte erst recht nicht, dass das Wunder zerstört wurde. "Das ist mein Geburtstagsgeschenk an dich. Bitte, nimm es an. Und wenn du es nicht kannst, dann lass es Hernando machen. Er kann das, das weiß ich. Hernando hat vor nichts Angst, auch nicht vor dem Dorf." Er sah mich wieder so unsicher an, doch seufzte schließlich.
"Bist du dir da wirklich sicher?", fragte er leise nach.
"Ja, das bin ich. Ich weiß, du hast Probleme mit dem Vertrauen, aber bitte, vertrau mir", antwortete ich ihm zuversichtlich und lächelte ihn an. Er schluckte.
"Na gut, aber ich kann nicht verstehen, wieso du so nett zu mir bist, nach allem, was ich dir angetan habe", wandte er verwirrt ein.
"Ich weiß es auch nicht, um ehrlich zu sein, aber es fühlt sich richtig an. Bitte, tu mir den Gefallen und hilf mir mit diesem Kind! Unter Umständen können wir ja auch richtige Freunde werden", erwiderte ich, er nickte unsicher.
"Es... tut mir unendlich leid, Bianca. Ich habe dich schon als Kind geliebt und wenn ich dieses Gefühl auch nur ein einziges Mal zugelassen hätte, dann hätte ich dir nie so etwas angetan", sagte er leise und senkte den Kopf. "Ich bin so ein Idiot!"
"Schon gut, auch Idioten brauchen jemanden, der ihnen hilft", erwiderte ich. "Dann komm, entschuldige dich beim Dorf und gib deiner Mutter die Kerze zurück." Er nickte nur unsicher, also öffnete Casita uns die Tür und wir gingen hinaus zu den anderen. "Bruno muss euch etwas sagen. Er schuldet uns allen eine Entschuldigung, aber wir ihm auch."
"Wieso? Er hat dich vergewaltigt, Bianca! Und er wollte das Wunder zerstören!", schrie Sandro mich an und wollte auf Bruno losgehen, aber ich hielt ihn fest und schüttelte den Kopf.
"Er hat mich nicht vergewaltigt, Sandro! Ich habe zugestimmt! Und er ist ein guter Mensch, aber WIR ALLE haben ihn zu einem Monster gemacht! Das war ebenso unfair wie das, was er getan hat", widersprach ich ihm sofort. Sandro warf Bruno einen tödlichen Blick zu, doch der sah nur auf den Boden und machte dann einen vorsichtigen Schritt nach vorne. Er hob den Blick und sah seine Familie an, bevor er seiner Mutter vorsichtig die Kerze hinhielt.
"Hier, Mamá. Es tut mir leid", sagte er. "Ich weiß nicht, wieso ich so etwas getan habe, ich wollte euch nicht verletzen. Ich war nur so... wütend und verletzt." Alma nahm die Kerze an und übergab sie an meine Mutter, bevor sie auf ihren Sohn zuging und ihn umarmte. Etwas verwirrt erwiderte Bruno die Umarmung.
"Tu das nie wieder, mi hijo, ja?", flüsterte sie ihm zu, er nickte.
"Versprochen. Es tut mir wiklich leid", stimmte er schnell zu.
"Es tut mir auch leid, Brunito. Wir hätten mehr Verständnis für deine Situation haben sollen", meinte sie. "Versprich mir, dass du so etwas nie wieder tust, ja? Und du musst für deine Fehler gerade stehen." Er nickte.
"Das werde ich, versprochen", beeilte er sich zu sagen und sah mich an. "Es ist ja schließlich auch meine Schuld." Ich lächelte ihn an und sah dann zu den anderen Menschen im Dorf.
"Wir sollten uns auch entschuldigen. Ich bin bereit, ihm zu verzeihen und ich glaube, dass wir alle ihm eine Entschuldigung schulden", sagte ich und sah Bruno wieder an. "Es tut mir wirklich leid, dich so ignoriert zu haben. Ich verzeihe dir deine Taten."
"Danke", erwiderte er und lächelte mich unsicher an. Nacheinander murmelte das ganze Dorf einige Entschuldigungen vor sich hin, worauf die Kerze grell zu leuchten begann. Ich bekam ein warmes Gefühl im Bauch und die Steintafel, die hinter uns gelegen hatte, leuchtete grell auf. Sie löste sich auf, worauf ich Bruno ansah.
"Was bedeutet das?", fragte ich verwirrt nach.
"Dass sich deine Zukunft geändert hat. Du... bist nicht schwanger", antwortete er. Das Wunder hatte ihm seine Fehler verziehen und sie rückgängig gemacht! Ich lächelte ihn an.
"Euer Wunder hat dir wohl verziehen", meinte ich und nahm seine Hand. "Und wenn das Wunder das kann, dann können wir das auch."
"Sieht wohl so aus", gab er zu.
"Dann komm, lass uns mal deinen Geburtstag feiern", wandte ich ein und zog ihn vorsichtig zurück zu Casita, aber er schüttelte den Kopf.
"Nein, ich will meinen Geburtstag nicht feiern. Ich habe zu viel falsch gemacht, um jetzt feiern zu können", lehnte er ab, worauf ich ihm seine Kapuze überzog.
"Dann soll Hernando Brunos Geburtstag feiern. Der hat nämlich gar nichts falsch gemacht, im Gegenteil. Er war einfach nur ein guter Freund", konterte ich, er lächelte.
"Das lässt sich einrichten", stimmte er zu.
"Sehr schön, dann komm. Ich würde jetzt nämlich gerne mal den berühmt berüchtigten Bruno Madrigal kennen lernen", sagte ich und zog ihn wieder ins Haus. Ich musste ihm vertrauen, anders ging es nicht. Er brauchte dieses Vertrauen jetzt.

The evil within Where stories live. Discover now