Kapitel 3

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BIANCA

Nach dem Abendessen bedankte ich mich bei Alma, bevor ich versprach, morgen beim Aufbauen für den Geburtstag zu helfen. Ich lief zurück nach Hause und unterbrach meine Eltern und meinen älteren Bruder Sandro beim Abendessen. Als ich die Tür öffnete und reinkam, drehten sich alle zu mir um. Sandro verdrehte die Augen.
"Sieh einer an, Bibi beehrt uns auch mal mit ihrer Anwesenheit", spottete er, Papá warf ihm einen strengen Blick zu.
"Sandro, benimm dich!", mahnte er und sah mich an. "Wie war das Abendessen, Biancita?" Ich setzte mich zu meiner Familie an den Tisch.
"Sehr gut, Julieta kann immer besser kochen und backen", antwortete ich ihm. "Ich gehe morgen wieder zu ihnen, um ihnen beim Schmücken für den Geburtstag zu helfen. Casita kann zwar viel, aber auch nicht alles."
"Zieh doch gleich bei ihnen ein!", brummte Sandro. "Brunos Zimmer sollte ja noch frei sein."
"Aber ansonsten geht es dir noch gut, oder?! Ich gehe doch nicht in das Zimmer von diesem Irren!", wehrte ich sofort ab. Obwohl ich schon seit jüngster Kindheit mit Julieta und Pepa befreundet war, hatte ich ihren kleinen Bruder nie gesehen. Er war so gut wie immer in seinem Zimmer geblieben und das Einzige, das sich bei seinem Namen in mein Gedächtnis schlich, war ein flüchtiges Bild. Das Bild einer Ratte und schwarzen Locken. Mehr nicht. Ich musste ihn wohl mal flüchtig in der Küche oder so gesehen haben, aber das musste schon lange her sein, denn ich konnte mich an nichts sonst erinnern.
"Sandro, sag so etwas nicht! Du weißt genau, dass dieser Name nur Unglück bringt und ein Fluch ist!", mahnte Mamá streng. Mein Bruder verdrehte die Augen und nickte.
"Ja, ist ja schon gut! So hab ich das ja auch nicht gemeint!", wehrte er schnell ab und sah mich an. "Lo siento, Bibi."
"Schon in Ordnung", meinte ich und strich mir eine lose schwarze Strähne hinter mein Ohr. "Du bist ja nur neidisch, weil du volle Kanne in Julieta verknallt bist und ich mit ihr befreundet bin!" Er warf mir einen giftigen Blick zu.
"Schluss jetzt, ihr zwei!", unterbrach Papá uns. "Es wird nicht gestritten und erst recht nicht beim Essen!"
"Ja, lo siento", beeilte ich mich zu sagen.
"Oh, amor, ich habe da noch eine kleine Bitte an dich", meinte Mamá da. "Ich brauche für morgen noch etwas Wolle von Esmeralda, könntest du die bitte abholen? Das Geld und der Korb stehen schon dort." Ich nickte und stand auf.
"Natürlich, Mamá", stimmte ich schnell zu. "Ich bin gleich wieder da."
"Gracias, mi vida. Du bist sehr lieb", erwiderte sie, ich nickte nur und nahm den Korb mit, bevor ich unser Haus verließ und durch das Dorf zu Mamás Freundin Esmeralda lief. Sie besaß einige Esel und Alpakas und stellte selber Wolle her, mit der sie so gut wie das ganze Dorf versorgte. Also holte ich die von Mamá bestellte Wolle ab und bezahlte sie, bevor ich mich von ihr verabschiedete und zurück nach Hause lief. Ich mochte es, wenn ich nachts oder spät abends draußen war. Dann war die Luft so schön angenehm kühl und ruhig und das gefiel mir sehr gut. Ich mochte die Stille abends, so wirkte alles noch friedlicher und beruhigender als sonst. Ich war ohnehin ein recht harmoniebedürftiger Mensch und etwas Ruhe konnte ich zu jeder Zeit vertragen. Hoffentlich wurde diese Ruhe niemals zerstört! Ich liebte mein Leben und vor allem Encanto, dieser Frieden durfte niemals verloren gehen!Ich sah in den sternenklaren Himmel. Auch heute waren wieder eine Menge Sterne zu sehen und mit meinem Finger fuhr ich die einzelnen leuchtenden Punkte nach. Ich träumte gerne und die Sterne waren perfekt dafür geeignet! Sie ließen Träume und Wünsche zu, die sonst keiner zuließ! Ich lachte leise. Wieso waren die Sterne nur so weit entfernt? Wie gerne würde ich sie berühren können! Ob das wohl irgendwann in der Zukunft mal möglich war? Zu den Sternen fliegen und sie berühren? Schön wäre es zumindest. Ich zuckte erschrocken zusammen, als ich mit jemandem zusammenstieß. Ich sah auf. Ein junger Mann in ungefähr meinem Alter stand vor mir, er trug einen grünen Poncho und hatte sich seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Ich hatte ihn hier noch nie gesehen.
"Lo siento, ich war in Gedanken", entschuldigte ich mich, er lächelte.
"Schon in Ordnung, nicht so schlimm. Ich hätte ja auch aufpassen können, aber ich war in die Sterne vertieft. Ich finde sie wunderschön, man kann toll zu ihnen träumen", wehrte der Mann ab, ich musste lächeln und nickte.
"Das geht mir genauso! Ich habe auch gerade eben daran gedacht! Ich bin übrigens Bianca, und du?", erwiderte ich aufgeregt.
"Hernando", antwortete er knapp. "Ich komme aus einem anderen Dorf und bin hier nur für einige Tage zur Durchreise. Bianca ist übrigens ein sehr schöner Name." Er nahm meine Hand, verbeugte sich leicht und gab mir einen Kuss auf den Handrücken. Ich kicherte leise.
"Danke, nett dich kennenzulernen, Hernando", sagte ich, während er meine Hand wieder losließ. Ich senkte den Kopf, um unter seine Kapuze zu sehen, er drehte sich weg. "Was ist? Darf ich dich etwa nicht ansehen?" Er lächelte unsicher.
"Lieber nicht, ich... habe eine schreckliche Narbe von einer alten Verletzung im Gesicht. Es wäre mir lieber, wenn du mich nicht sehen würdest, ja?", erwiderte er, ich nickte verständnisvoll.
"Natürlich, das verstehe ich", beeilte ich mich zu sagen und musste zugeben, dass ich Hernando doch sehr sympathisch fand - trotz seinem Problem mit dem Blickkontakt.
"Ich habe nur eine kleine Frage an dich", meinte er.
"Welche denn?", hakte ich neugierig nach.
"Es ist eine wunderschöne Nacht und du bist ein wunderschönes Mädchen, Bianca. Dürfte ich dich morgen wiedersehen? Ich will dich so oft sehen, wie ich kann, solange ich hier bin", bat er, was mich zum Erröten brachte. Er war wirklich süß! Ich lachte leise und nickte.
"Gerne, ja. Ich bin morgen Nachmittag zwar beschäftigt, aber morgen früh bin ich frei. Wollen wir uns auf einen Kaffee treffen und uns näher kennen lernen?", fragte ich, er nickte und lächelte.
"Sehr gerne, mi chica linda", erwiderte er und gab mir einen Kuss auf den Handrücken. "Bis morgen." Ich lachte.
"Bis morgen, Hernando." Er lief davon, während ich nur grinsen konnte. Dieser charmante junge Mann fand mich attraktiv! Ich konnte es kaum glauben! Ich hatte mein erstes Date! Das würde toll werden! Ich konnte es kaum abwarten, mich morgen mit Hernando zu treffen!

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