1. Kapitel

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Nach einer Weile gewöhnte man sich an die Gewalt.

Normalerweise würde ich dort hinten mit meinen Leuten in der dunklen Gasse stehen. Wir hätten einen Plan. Jeder seine Aufgabe. Und gemeinsam würden wir die Gefangen, die Captivus, aus dem vollen Gefängniswagen befreien.

Doch stattdessen wurde ich jetzt in diesen dunklen Wagen gesperrt.

Der Geruch von Fäkalien und Erbrochenem trieb mir die Tränen in die Augen, als ich von einem Soldaten in den hölzernen Wagen geschubst wurde.

Menschen mit eingefallenen Wangen und rissigen Lippen starrten mich. Sie verfolgten jeder meiner Bewegungen, als hätte ich etwas dabei um ihnen zu helfen. Doch als ihr Blick auf meine Hände und Arme fiel, rückten sie ab. Murmelten Gebete. Versuchten sich in diesem winzigen Raum zu verstecken.

Als würde das etwas bringen.

Wie so oft folgte ich ihren Blicken zu meinen Händen. Anders als bei ihnen lagen meine Unterarme und Füße in schweren Eisen Ketten, die an Halterungen in der Wand noch einmal befestigt wurden. Aber nicht das war es was die Leute so erschrecken ließ.

Dutzende von Wirbeln und Ranken zierten meine Hände über dem Handgelenk bis sie in der Mitte meines Oberarms endeten.

Die einen bezeichneten es als Gotteslästerung gegenüber des heiligen Kaph. Vater des Lichts und des vermeintlich guten.

Andere wiederum bezeichneten es Anbetung der Riah. Als Auserwählte der Göttin der Dunkelheit und von ihr persönlich gesegnet.

Ich bezeichne es Memoria. Male der Erinnerung.

Sieh hin und vergesse niemals.

Das einschnappen der Schlösser holte mich wieder aus den Gedanken. Der Knall einer Peitsche zerriss die Luft und ruckelnd setzte sich der Wagen in Bewegung.

Durch ein kleines Fenster über der Tür drang schwüle Luft hinein. Die den Gestank nur noch intensiver machte.

In meiner Ecke versuchte ich, nur durch den Mund zu atmen, um so wenig wie möglich davon in die Lunge zu bekommen.

Rasselnd zog ich meine Knie an die Brust und legte mein Kopf darauf.

~

Drei Tage später befand ich mich immernoch in dem Wagen und zählte die Minuten, die Risse im Holz. Beobachtete wie das Licht auf dem Holz tanzte.

Ich verließ meine Ecke nur, um mir mein Essen zu holen und Notdurft zu verrichten.

Die anderen sprachen immernoch nicht mit mir und blieben so weit es ging unter sich.

Drei verdammte Tage. Auch wenn das hier durchaus gewollt war, machte es das Wissen darum auch nicht unbedingt besser.

Ich hob den Kopf, als der Wagen anhielt.

Nervöses, ängstliches Geflüster erfüllte den Raum. Das Knirschen von Stiefeln auf Sand, die Befehle der Soldaten und das laute Treiben des Marktes .

Ich streckte meine steifen Beine aus, damit das Blut auch wieder dort hin gelangen konnte. Meine Ketten klirrten.

Die Schlösser wurden geöffnet und die Tür aufgerissen.

"Jetzt kommt schon raus da!", rief der Soldat.

Genauso wie er hatten die anderen Soldaten sein Gesicht in seiner Armbeuge verborgen, um so wenig wie möglich den Geruch einzuatmen. Wenn ich es könnte hätte ich es ebenfalls getan.

"Heute noch!", schrie er gedämpft.

Ich verließ als letzte den Wagen, da ein Soldat noch reinkommen musste, um die Ketten von der Halterung zu öffnen.

Die Gabe der Aurora ~ stolen memoriesWhere stories live. Discover now