„Er schreibt dir, hast du mir mal erzählt. Über was unterhaltet ihr euch da? Mathe? Schulkram?"

„Nein, wir reden überhaupt nicht über Mathe, sondern... über andere Sachen", meinte Jungkook leise, seine Augen auf den Berg Klamotten gerichtet. „Hm, mein Zimmer ist echt chaotisch."

„Lenk nicht vom Thema ab, vorher hat dich dein Zimmer auch nicht interessiert", schmunzelte Jin.

Jungkook wurde warm. „Ich—Ich lenke gar nicht ab!"

Okay, vielleicht lenkte er doch ab. Aber er wollte Jin nicht erzählen, über was er und Taehyung so sprachen. Es fühlte sich irgendwie... falsch an.

Es war eine Sache zwischen den beiden und Jungkook wusste mittlerweile, dass Taehyung eine sehr private Person war und... nein, er würde keine Details preisgeben.

„Lade ihn zu dir nach Hause ein", schlug Jin vor. Jungkook wollte den Mund öffnen und ihm sagen, dass er das bereits versucht hatte, aber Jin kam ihm zuvor. „Irgendwann am Wochenende. Lern ihn näher kennen, mach ihm klar, dass du seine Hilfe brauchst, dass du ohne ihm aufgeschmissen bist und vielleicht... hm, vielleicht braucht Taehyung einfach diese Bestätigung von dir."

„Eine Bestätigung von mir? Was soll ich ihm denn bestätigen?"

„Jungkook...", begann Jin langsam. „Er wird von keinem in der Klasse beachtet. Von keinem. Nicht mal die Lehrer machen sich mehr Mühe, mit ihm zu sprechen, weil er sowieso nicht antwortet. Und plötzlich kommst du und..." Er brach ab. „Plötzlich kommst du und redest mit ihm. Du bist auf einmal immer in seiner Nähe und egal, wie oft er dich anmotzt oder abweist, du gehst nicht weg. Nachdem du gesagt hast—"

„Was?", fragte Jungkook atemlos. „Was habe ich gesagt?"

„Du hast gesagt, er sei komisch", zuckte Jin mit den Schultern. „An seinem ersten Tag in der Klasse. Wer weiß, wie Taehyung sich dabei gefühlt hat oder noch immer fühlt, wenn du ganze Zeit in seiner Nähe bist, obwohl du ihn komisch findest. Du sendest verwirrende Signale. Verstehst du, was ich meine?"

Ich brauche dein Mitleid nicht.

MitleidMitleidMitleid—

„Das war nicht... ich habe nicht—", stotterte Jungkook.

Er sendet verwirrende Signale?!

Seine Signale konnten nicht deutlicher sein.

„Ich weiß, dass du das nicht böse meintest, aber Taehyung weiß es nicht. Und vielleicht verunsichert ihn das, wenn du solche Sachen sagst und dann im nächsten Moment so tust, als wärst du sein Freund."

Jegliche Luft wich aus Jungkooks Lungen.

„Wow", sagte er mit einem Kloß im Hals. „Ich—ich wusste nicht, dass... ich tu nicht so, als—" Er zog die Augenbrauen zusammen—etwas an dieser Aussage störte ihn so sehr, dass er Kopfschmerzen bekam. „Ich tu nicht so, als wäre er mein Freund." Er schluckte. „Er ist mein Freund."

Jin hob eine Augenbraue. „Wirklich? Weiß er das auch?"

Jungkook senkte den Blick und murmelte: „Nein. Vermutlich nicht. Denk ich. Ich weiß nicht?"

„Ich bin nicht Taehyung und ich weiß auch nicht, was in seinem Kopf vorgeht, aber... reden hilft. Kommunikation auf jede Art und Weise hilft. Es ist gut, wenn er weiß, dass ihr Freunde seid, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie das passieren konnte, aber—" Jin stoppte. „Erzähl mir was von ihm. Warum seid ihr befreundet? Was magst du an ihm... was macht ihn so besonders?"

Jungkook brauchte keine Sekunde, um zu antworten.

„Er liebt Bücher, genau wie Namjoon", begann Jungkook. „Er trägt immer eine Brille und viel zu große Pullover. Er ist aber auch gleichzeitig die stylischste Person, die ich kenne, jedes Outfit ist perfekt. Wenn er mit mir schreibt, ist er ehrlich und direkt, er hat keinen Filter und äußert alles, was er äußern möchte. Er ist sehr ordentlich, viel zu ordentlich meiner Meinung nach. Ich glaube, er würde erstarren, wenn er mein Zimmer sehen würde." Er blickte sich um. „Nein, er würde zu hundert Prozent erstarren, aber ich räume noch auf!"

Jin beobachtete ihn mit einem stummen Lächeln. Jungkook wusste nicht, was das bedeutete.

„Er lacht selten. Ich habe ihn in den ganzen Wochen, die wir nun schon zusammenarbeiten, zwei Mal lachen gesehen. Es war, als würde er gar nicht wissen, wie das so ist. Zu lachen, glücklich zu sein. Er liebt Mathematik, Gott—er ist so gut darin, dass er eine Aufgabe in fünf Minuten lösen kann, ohne einmal mit der Wimper zu zucken. Er weiß alles. Wirklich alles, Jin. Ich frage ihn etwas, er antwortet mir. Er würde sich außerdem wirklich gut mit Namjoon und Yoongi verstehen, da bin ich mir sicher."

„Warum genau mit den beiden?"

„Namjoon liebt Mathematik und Bücher. Taehyung auch. Yoongi... Yoongi redet manchmal nicht. Ich glaube, er und Taehyung teilen viel gemeinsam. Die schlechten Tage, das Bedürfnis, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Diese Dunkelheit. Ich kann es nicht beschreiben, aber ich weiß es einfach—"

Jungkook biss sich auf die Zunge, um nicht mehr zu verraten.

„Klingt so, als wäre er dein Freund", lächelte Jin.

„Es gibt aber noch so viel, dass ich wissen will. So viel, dass er mir nicht erzählt..."

„Wie meinst du das?"

„Es muss doch einen Grund geben, warum er nicht spricht. Es muss einen Grund geben, warum er teilweise wie ein Geist durch die Klasse geht und jeden von sich stößt, der ihm nahe kommen will. Es fühlt sich an, als wäre eine dicke Mauer zwischen uns und ich kann ihn einfach nicht... erreichen. Ich kann den Menschen, der hinter dieser Mauer steckt, nicht erreichen. So sehr ich es auch versuche."

„Jimin hat Yoongi auch für einige Zeit nicht erreichen können. Und weißt du, was Jimin getan hat?"

Jungkook blickte Jin voller Hoffnung an. „Was?"

„Er hat nie aufgegeben."

All The Words You Never Said [VKOOK]Where stories live. Discover now