Kapitel 52 ~Perfekt

Beginne am Anfang
                                    

Allmählich fing ich an mich unwohl zu fühlen. Im Vergleich zu den anwesenden Frauen hier sah ich aus wie eine Putzfrau und zwar eine der besonders billigen Sorte.

Ich strich mir unbehaglich über mein Kleid und trat dann hinter David hervor, der bereits vor dem Tisch der Woods stand. Mein Blick fiel sofort auf meinen Freund, der gerade mit einem Zahnpastalächeln auf den Lippen meine Mutter begrüßte. Er trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, eine schwarze Krawatte und schwarze Schuhe. Seine Haare waren deutlich strenger nach hinten gestylt als die von Jake und ließen ihn dadurch seriöser wirken.

Alles in allem passte er einfach, genau wie seine Eltern, perfekt in dieses Restaurant und perfekt in diese Gesellschaftsschicht. Chris war der wohlerzogene, perfekte, reiche Gentleman, den sich jede Mutter als Schwiegersohn wünschte. Und ich hingegen war das sture, kleine Mädchen, das sich zwischen den Chanel-Lippenstiften und Rolex-Uhren völlig Fehl am Platz vorkam.

"Kylie, wie schön dich wiederzusehen", lachte Melissa, während sie mich in eine herzliche Umarmung zog. Sie ließ ihren Blick über mich gleiten und sagte schließlich: "Du siehst bezaubernd aus, meine Liebe." Ich lächelte zurück und erwiderte: "Danke, lieb von dir. Du siehst auch toll aus."

Die Brünette bedankte sich für das Kompliment, löste sich wieder von mir und fiel nun überschwänglich meiner Mutter um den Hals und kicherte wie ein kleines Kind. Ich lächelte in mich hinein während ich Chris Vater zur Begrüßung umarmte. Seine Eltern waren das komplette Gegenteil voneinander und passten trotzdem so perfekt zusammen.

Dave war der ernste, seriöse Geschäftsmann, während Melissa eine fröhliche und quirlige Persönlichkeit hatte. Die Beiden war wirklich komplett verschieden und doch seit Jahren glücklich zusammen. Aber wie hieß es so schön, Gegensätze ziehen sich an. Ich konnte nur hoffen, dass das auch für Chris und mich zutraf.

Mittlerweile stand ich unschlüssig vor Chris und wusste nicht was ich tun sollte. Sollte ich ihm die Hand schütteln? Nein, zu formell. Sollte ich ihn umarmen? Nein, zu unbeschwert. Sollte ich ihn küssen? Definitiv nein. Ich war also genauso weit wie zuvor und starrte einfach stumm auf den Boden, während ich unbehaglich meine Hände aneinander rieb.

Schlussendlich ergriff Chris die Initiative und murmelte ein leises "Hi." Ich sah ihn mir nun von Nahem an und auf einmal schien er doch nicht mehr so perfekt. Seine Haut war eine Nuance heller als sonst und blaue Schatten zeichneten sich unter seinen ausdruckslosen Augen ab.

Es beruhigte mich irgendwie, dass auch ihm unser Streit zu schaffen gemacht hatte. Das zeigte doch dass ihm etwas an mir lag und er die drei Worte vielleicht auch ernst gemeint hatte.

Ich murmelte ebenfalls ein leises "Hallo" und setzte mich dann, um weiteren Minuten des peinlichen Schweigens zu entgehen, an unseren Tisch und sah aus dem Fenster. Der Ausblick war gigantisch (Bild). Man konnte von diesem Punkt aus einen riesigen Teil der Küste und des Meeres sehen und konnte durch die hohe Lage des Caprice weit in die Ferne sehen.

Nach kurzer Zeit setzen sich schließlich auch die Anderen an den Tisch und Jake, der gegenüber von mir saß, zwinkerte mir nocheinmal aufmunternd zu. Ich lächelte ihn kurz an und widmete mich dann wieder meinem Essen, welches vor ein paar Minuten bestellt und gebracht wurde. Mir entging dabei natürlich nicht der Mörderblick mit dem uns Chris ansah. Mit diesem Blick hätte er wahrscheinlich, wie Medusa, die Menschen zu Stein werden lassen können! War er denn ernsthaft eifersüchtig, nur weil Jake mir zuzwinkerte?!

Irgendwann begann Melissa zu erzählen: "Ich freue mich ja schon so auf London. Wir haben uns dort eine wunderschöne Villa gekauft, die gar nicht weit von der Oxford Street entfernt ist. Und Chris wird seinen Abschluss an einer privaten Schule machen und dann auf die University of Cambridge gehen, ist das nicht toll?"

Melissa strahlte glücklich und purer Stolz glitzerte in ihren Augen. Wer wäre denn bitte nicht stolz, wenn der eigene Sohn an einer der begehrstesten Eliteuniversitäten der ganzen Welt studiert? Wow. Cambridge... Chris zukünftiges Leben in London klang wirklich erfolgsversprechend. Geradezu perfekt. Große Villa, viel Geld und eine vielversprechende, berufliche Zukunft.

Mein Freund würde in London große Karriere machen und ein perfektes Leben führen, während ich um unsere Beziehung kämpfen würde, die immer mehr den Bach runterging,  weil ich nicht mehr gut genug für ihn war. Chris brauchte und verdiente jemanden der perfekt war, doch ich war es nicht und ich würde es auch niemals sein.

Ich spürte wie meine Augen zu brennen begannen und meine Sicht allmählich getrübt wurde. Großer Gott! Ich durfte jetzt nicht vor versammelter Mannschaft in Tränen ausbrechen! Doch ich konnte sie nicht länger unterdrücken und fühlte wie eine heiße Träne meine Wange hinablief.

Schnell wischte ich sie mir aus den Gesicht und erhob mich eilig von meinem Platz. Ich drehte meinen Kopf so, dass man nur meine Haare sehen konnte und krächzte: "Wenn ihr mich bitte entschuldigen würdet."

Ich hastete aus dem Restaurant und lehnte mich dann draußen gegen eine Palme. Ich schloss meine Augen und atmete ein paar Mal tief durch, um mich zu beruhigen. Nach und nach verschwanden meine Tränen und ich öffnete meine Augen wieder.

Als ich erkannte, dass Chris nur einige Meter vor mir stand und mich besorgt musterte, stellte ich mich sofort aufrecht hin und verschränkte meine Arme vor Brust. "Was willst du hier?", fragte ich kalt. "Ich wollte sicher gehen, dass es dir gut geht", erklärte er und kam einen Schritt näher.

"Es ging mir nie besser", log ich, "Du kannst jetzt wieder gehen." Chris nickte traurig und drehte sich um, um zu gehen. Doch bevor er auch nur einen Schritt in diese Richtung gegangen war, fuhr er wieder herum und zischte: "Zum Teufel noch mal, Kylie! Wir beide wissen, dass es dir nicht gut geht, genauso wenig wie es mir gut geht! Ich hab Scheiße gebaut, das weiß ich, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht dich wie eine Diva aufzuführen!"

Ich schnappte empört nach Luft. Ich führte mich also auf wie eine Diva?! Pah, so ein Unfug!

"Warum bin ich eine Diva, mhm?! Weil ich dir nichts sofort verzeihe, nachdem du mich wochenlang belogen hast?! Oder weil ich es nicht länger ertragen habe zu hören, wie perfekt doch dein neues Leben in London sein wird, indem ich keinen Platz mehr haben werde!?", schrie ich und bemerkte selbst wie verzweifelt meine Stimme an Ende klang.

Chris Zorn war wieder wie weggeblasen und auf seinen Lippen bildete sich ein sanftes Lächeln. Er überbrückte den letzen Abstand zwischen uns und schlang seine Arme um mich. Anfangs blieb ich stocksteif stehen, doch dann sprang ich über meinen Schatten und erwiderte seine Umarmung.

Chris streichelte leicht über meinen Kopf und versichterte: "Du wirst immer einen Platz in meinem Leben und in meinem Herzen haben, Süße. Wir bekommen das mit der Fernbeziehung schon irgendwie hin, Kylie, und zwar weil ich dich liebe."

Ich nickte an seiner Schulter und erwiderte stotternd: "I-ich... ähh.. ich..." Ich brachte das 'Ich liebe dich' einfach nicht über die Lippen! Es waren doch nur drei Wörter und doch war es das Schwerste das man je von mir zu sagen verlangt hat. Es fühlte sich nicht richtig an, also konnte ich es auch nicht aussprechen.

"Ist schon okay" warf Chris ein und presste mich noch enger an sich, "Irgendwann wirst du es schon noch erwidern können, meine Prinzessin."

The Bad Boy next doorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt