4. Kapitel

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Schweigend stand ich neben meiner Mutter am Waschbecken und wusch den Salat. Sie schnitt bedächtig die Tomaten. Das Radio lief im Hintergrund. Ich ließ mich nur von der Musik beschallen, ohne richtig hinzuhören.

»Mama, können wir mal miteinander reden?«, fragte ich nach einer Weile. Meine Mutter erwiderte nichts und schnitt einfach, ohne mit der Wimper zu zucken, die Tomaten weiter. Ich atmete tief durch.

»Mama?« Diesmal war mein Tonfall energischer.

»Malena.« Meine Mutter hörte sich anklagend an, dabei hatte ich doch gar nichts verbrochen!

»Es reicht mir jetzt. Du sagst mir jetzt sofort, was los ist. Du schiebst das schon viel zu lange vor dir her!«

»Malena«, wiederholte sie seufzend und zugleich genervt meinen Namen.

»Nein, nichts Malena.« Ich ließ den Salat ins Waschbecken fallen. Das Wasser floss unbeirrt weiter. »Ich will jetzt wissen, was los ist. Diese Trauerstimmung hier will ich nicht weiter ertragen, ohne den Grund dafür zu kennen. Und vielleicht hilft es dir ja sogar, dich auszusprechen.«

Meine Mutter seufzte wieder und ließ ihre gerade noch so angespannten Schultern sinken. Sie schwieg weiter beharrlich. Ich wollte gerade wieder zu einem Argument ansetzen, als sie endlich etwas sagte.

»Ich kenne Jens von früher.«

Ich drehte den Wasserhahn zu und drehte mich gespannt zu ihr um. Bekam sie es nun endlich hin, mir davon zu erzählen?

»Wir kannten uns gut. Wir hatten viel miteinander zu tun. Doch das hat sich von dem ein auf den anderen Moment schlagartig geändert. Er hat sich von mir abgewendet, als ich ihm etwas erzählt habe.« Meine Mutter fing an zu stottern und wandte sich wieder ihren Tomaten zu. »Ich habe einen Schwangerschaftstest gemacht. Er war positiv.«

»Warte, was?! Das kann nicht sein.«

Schlagartig wurde mir heiß und kalt zugleich. Das war nicht möglich. Wie konnte das sein?

»Doch, Malena, doch. Das ist er.«

Meine Mutter sah mich unverwandt an. Sie hatte keine Maske aufgesetzt. Ich konnte das Gefühlschaos in ihrem Inneren nur zu gut ablesen. Ihre Gefühle wechselten von Schmerz zu Verzweiflung zu Wut zu Scham. Ich fühlte mich, als ob mir der Boden unter den Füßen weggerissen worden wäre. Ich hatte keinen Halt mehr. Fassungslos stützte ich mich am Waschbecken ab und schloss die Augen. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Das konnte einfach nicht sein. Doch nicht nach all den Jahren. Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Ich konnte damit nicht aufhören. Ich war wie gefangen in dieser Bewegungsschleife.

Meine Mutter legte ihre Hand auf meine Schulter.

»Es tut mir Leid.«

Ich schüttelte heftig meinen Kopf.

»Es ist nicht deine Schuld«, erwiderte ich schwach.

Diesmal schüttelte meine Mutter den Kopf.

»Setzen wir uns.«

Ich nickte und wir nahmen beide an unserem Küchentisch Platz.

»Also Jens ist mein Vater?«, sprach ich die Tatsache aus, die ich nicht wahrhaben wollte. Doch meine Mutter nickte. Jetzt war es offiziell. Dieser fremde Typ vor unserer Haustür war so überhaupt gar nicht fremd. Geschockt sah ich meine Mutter an. Ich konnte es nicht mehr leugnen. Mein ganzes Leben lang war ich ohne Vater aufgewachsen. Bis vor ein paar Minuten hatte ich noch nicht einmal seinen Namen gewusst, geschweige denn kannte ich irgendeine andere Information von ihm. Ich hatte immer nur meine Mutter gehabt. Im Kindergarten, als wir Sachen für den Vatertag gebastelt hatten, hatte ich immer so getan, als hätte ich einen. Die Geschenke hatte ich dann zu Hause versteckt, bis meine Mutter irgendwann das Versteck entdeckt hatte. In der Grundschule wurde es nicht besser. Immer wenn das Thema aufkam, erzählte ich von meinem ›Vater‹. Wenn mich jemand besuchte, war er immer auf der Arbeit oder wo anders. Aus dieser Nummer kam ich nicht mehr raus. Jeder dachte, ich hätte einen Vater, doch den hatte ich nicht. Erst auf dem Gymnasium hatte ich es geschafft, dafür einzustehen und nicht mehr deswegen zu lügen, auch wenn das schmerzvoll war. Nach außen hin versuchte ich immer, mir meinen Schmerz nicht anmerken zu lassen, aber innerlich tat es dafür umso mehr weh. Erst nachdem wir vor ungefähr einem Jahr umgezogen waren, konnte ich wirklich richtig damit abschließen. Ich hatte es akzeptiert. Ich hatte es nicht mehr so nah an mich ran gelassen. Und jetzt tauchte mein Vater einfach nach all den Jahren vor unserer Haustür auf und wühlte wieder alles auf. Das war doch nicht fair! Ich hatte keinen Vater. Sein Auftauchen änderte rein gar nichts daran. Ich hatte weiterhin keinen Vater. Auch in der Zukunft nicht.

Mehr als nur eine Freundin | Band 2Onde histórias criam vida. Descubra agora