•chapter*13•

123 9 1
                                    

••••••••••/•• Valerie ••\••••••••••

Ein Räuspern.

Der Neue schien seine Fassung wiedererlangt zu haben.

,Wir sollten uns beeilen.'

Auch wenn seine Worte an die Masse gerichtet waren, durchstachen seine Augen meine physische Gestalt.

Er versuchte mir in die Seele zu blicken,
wollte mein psychischen Zustand analysieren.

Er versuchte einzuschätzen, ob ich eine Gefahr oder einen Nutzen darstellte.

Treue.
Er wollte wissen,
ob ich Ihnen gegenüber eine Schuld empfand, ob ich mich Ihnen gegenüber verpflichtet fühlte und daher eingriff.

Verrückt.
Er wollte wissen,
ob die vergangenen Jahre größere Spuren auf meiner Seele hinterlassen hatten,
als er es geahnt hatte.
Ob ich es genoss, Ihre größte Schwäche heraufzubeschwören.
Ob es mir gefiel, wie sich die Seelen von Ihrer physischen Gestalt lösten und ihren Weg ins Jenseits fanden.

Liebe.
Oder ob ich die Nummerierten liebte,
Sie beschützte.
Ob ich mehr Gefühle hatte, als das ich Sie zeigte.

Unsicherheit empfand ich in all diesen Eventualitäten. Ich wusste selbst nicht, was meine Taten erklärte oder rechtfertigte.
Einzig das Sichern des Überlebens der Gruppe schien mir einen geeigneten Grund darzustellen.

Ich setzte mich in Bewegung, versuchte so die Starre des Neuen zu brechen,
der mich weiterhin unverhohlen beobachtete.
Ein Ruck zog durch seinen Körper und er begann im Stechschritt die Gemeinschaft aus dem Gelände zu führen. 

Hatte er seine Analyse beendet?
Mich als harmlos abgestempelt?

Würde er versuchen, mich im Laufe der Zeit verschwinden zu lassen?

Oder war das erst der Anfang?
Hatte ich die Stunden der Qualen noch nicht überstanden und würde bald den Verhören des Neuen ausgesetzt sein ?

Hinter dem eisernen Tor,
welches die meterhohen Steinwände durchbrach,
lag die uns so unbekannte Welt.

Die normale Welt. Der normale Alltag.

Mit jedem Schritt, den wir auf das meterhohe Portal zuschritten, stieg meine Nervosität.

Meine Fingerspitzen kribbelten,
mein Körper zum zerreißen gespannt.
Ich war der Freiheit lange nichtmehr so nahe gekommen.

Freiheit.
Freiheit.
Mich erfüllte eine bittersüße Freude, die von meiner Brust ausgehend durch die Venen meines Körpers pumpte.

Langsam aber sicher übernahm sie mein Nervensystem, und auch mein Gehirn schien langsam an die Möglichkeit der Freiheit zu denken.

Ich konzentrierte mich auf mein Umfelt.
Die Atmung vieler Nummerierter war ungleichmäßig und hektisch.

Auch Ihnen wurde wohl langsam die Tragweite des heutigen Abends bewusst.
Sobald wir aus dem Tor traten, waren wir frei.

Zumindest freier als zuvor.
Die Neuankömmlinge hatten uns wohl kaum ohne Hintergedanken befreit,
würden uns nicht auf der anderen Seite der Freiheit vollends überlassen.

Doch wollte ich das überhaupt?
In der neuen Welt auf mich allein gestellt sein?

Nein. Die Beantwortung dieser Fragen musste wohl noch warten.

Mein Blick wanderte die geschmiedeten Stahlstränge entlang, welche dem Tor nicht nur Stabilität, sondern auch einen mittelalterlichen Lock verpassten.

Der Neue war dann wohl der Ritter in weißer Rüstung, der uns aus der Burg, aus den Fängen des Drachen, rettete.

Der Schalk meiner Gedanken erzeugte Bilder, über welche ich nur den Kopf schütteln konnte.

Der Neue, wie er, eingepfercht in einer Blechbuchse, auf einem Pferd saß und ein Schwert schwang.

Ich gluckste.

Mein kleines Lächeln fiel in sich zusammen, als Ich an dem Rücken des Neuen vorbeiblickte.

Die Glückshormone schienen nachzulassen,
ließen mich die Welt wieder etwas klarer sehen.

Meine Beine wurden weich als wir das Tor passierten und mein Blick zögernd die neue Welt erfasste.

Schwarz.
Tiefe schwarze Nacht.

Ich spürte eine leichte Enttäuschung in mir aufsteigen.
Doch was hatte ich erwartet?
Es war nachts, dazu Neumond.

Der Kampf auf dem Gelände war schließlich auch nur durch die Flutlichter übersichtlich geblieben.

Unsere Schritte halten durch die Nacht, als wir immer tiefer in die Dunkelheit liefen.
Die letzten Lichtpegel waren schon vor Längerem mit dem Gelände im Schwarz der Nacht verschwunden.

Langsam holte mich meine Müdigkeit ein.
Ich hatte in letzter Zeit kaum Nahrung zu mir genommen und auch mein Schlafpensum hatte stark gelitten.

Doch ich war nicht die Einzige, die mehr durch die Nacht stolperte als zu laufen.
Unsere Körper waren diese Art der Belastung nicht gewohnt.

Ich lief in meinen Vordermann,
hatte nicht bemerkt, dass die Gruppe gestoppt hatte.

Zwei Lichtkegel durchbrachen die Nacht.
Ich spannte mich an, nahm Kampfstellung ein.

,Einmal einsteigen bitte. Wir fahren nun zu unserem Rudelhaus, wo sich jeder erstmal einen Mütze schlaf holen sollte.
Morgen werden wir alles Weitere besprechen.
Noch Fragen? Nein? Dann los.'

••••••••••••••/•• ••\••••••••••••••

Valerie.Where stories live. Discover now