•chapter*9•

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••••••••••/•• Valerie ••\••••••••••

Nachdem ich das dritte Mal über meine eigenen Beine stolperte, nahm mir der Neue Vingt-Sept vom Arm und drückte sie bestimmt gegen seine eigene Brust.
Widerstand schien zwecklos.

Sollte ich Ihn weiter als den ,Neuen' betiteln?
Oder ich ihn der Gruppe der Neuankömmlingen zuschreiben?
Es stand außer Frage, dass er ein Teil dieser Szenerie war.
Nur, welche Rolle nahm er ein?
War er der erste Dominostein, der fiel und eine Kettenreaktion auslöste?
Bildete er ein Mittelglied der Kette?
Oder war er der Spieler, der den ersten Stein in Gang setzte?

Solange Sie uns wirklich halfen, konnte es mir egal sein. Meine anfängliche Skepsis war schnell verflogen, nachdem ich die ersten niedergeschlagenen Wächter sah.
Sie saßen grüppchenweise gefesselt und bewacht auf dem steinharten Boden und betrachteten uns durch hasserfüllte Augen.
Die Körper waren mit Wunden übersehen, schienen teilweise komplett zerfetzt worden zu sein.

Immer, wenn wir auf solche Gefesselten trafen, schien die Gemeinschaft den Atem anzuhalten.
Die Nuummerierten stockten, verschnellerten ihre Schritte und ihre Körper waren zum zerreißen gespannt.
Allen war klar, dass wir von den Neuankömmlingen abhängig waren.
Wir waren zu schwach, um uns zu schützen.
Wir waren zu schwach, um uns zu verteidigen.
Und wir waren zu schwach, um einen Angriff starten zu können.

Wir waren es und sind es noch immer.

Dieser Gedanken glitt problemlos durch meinen Kopf. Nichts in meinem Inneren sträubte sich gegen meine Wortwahl.
Es war keine Begründung für unsere Situation oder eine Ausrede warum wir uns nicht selber retten konnten.
Es war lediglich der Nachweis, wie schlecht es tatsächlich um uns stand.

Für Lycantrophen war es gegen die Natur Schwäche zu zeigen oder diese gar zuzugeben.
Unsere Rasse war stark, unbesiegbar,
von Göttern erschaffen.
Doch an uns Nummerierten erkannte man Nichts von den göttlichen Wesen wieder,
zu denen wir einst erschaffen wurden.
Uns hatte unser Stolz verlassen,
und mit ihm schwand auch unser Stärke.

Mein Blick wanderte die Körper der Nummerierten ab.
So dünn, so abgehungert, so schwach.

Ich schüttelte meinen Kopf,
wollte so auch die Gedanken aus meinem Körper verbannen.

Ich stolperte erneut, die Müdigkeit.
,Schwach.' ,summten meine Gedanken.

Die Blicke von Oliver und dem Neuen lagen auf mir.
Sie hatten mein Stolpern bemerkt.
Beide rückten näher an meine Seiten, um mich im Notfall auffangen und stützen zu können.

Ich lenkte meine Gedanken zurück zu unserer Umgebung und nahm klar und deutlich Kampfgeräusche war.

Die Neuankömmlinge deuteten uns,
stehen zu bleiben und zu warten.
Vor uns erstreckte sich ein riesiges Eisentor, welches stark beschädigt worden war.
Ich kannte es,
dahinter lag unser ehemaliger Freilauf.

Ein strahlendes Lächeln blitzte vor meinem inneren Auge auf.
Cloude.

Ein Schrei zog mich zurück in die Gegenwart.
-Das Eisentor.
Die Schaniere, die es einst an Ort und Stelle hielten, schimmerten in einem schwarzen Rußton.
Die Bolzen, dessen Funktion mal die Verankerung im Boden war, waren wohl abgesprengt worden.
Auch an den elektronischen Schaltflächen waren mehr als ein paar Gebrauchsspuren zu erkennen.
Kabel hingen links und rechts des Elektrokastens. Einige davon waren durchtrennt und neu verbunden worden.

Ich nahm war, wie sich der Raum füllte.
Mehr und mehr Unbekannte drängten sich zum Eisentor,
Andere blieben unschlüssig im hinterem Teil des Raumes stehen.

Nachdem scheinbar alle fehlenden Mitglieder der Neuankömmlinge eingetroffen waren,
wurden wir durch diese eingekesselt.
Sie nahmen uns in ihre Mitte, bedeuteten uns möglich nah bei einander zu bleiben.
Es schien schon fast so, als würden Sie unser menschliches Schutzschild darstellen.

Alle Blicke waren auf das Tor gerichtet,
jeder Körper zum Zerreißen gespannt.
Dahinter würde uns der Kampf erwarten,
ein blutiger Kampf.

Und doch fühlte ich mich in der kleinen Blase ge- und beschützt.
Sie gaben uns eine Chance,
ebneten uns den Weg in die Freiheit.
Sie retteten uns, ohne uns zu kennen.
Ihr Handeln schien so uneigennützig.

Mit einem Schlag überrollte mich ein Schwall von Schuldgefühlen.
Was wäre wenn Sie sich verletzten?
Wenn Sie starben?
Wir Nummerierten hatten mit unserem Leben schon abgeschlossen.
Wir hatten zwar die Gemeinschaft, doch hatten dennoch nichts zu verlieren.
Doch all diese Menschen, diese Lycantrophen,
hatten Familien  und ein lebenswertes Leben.

Sie kamen, um uns aus der Hölle zu befreien. Doch war ich kein Objekt, kein nutzloser Gegenstand.
Wollten Sie uns retten, so würde ich Sie bei dieser Mission unterstützen.

Ich zog meine eingesackten Schultern hoch, raffte mich zusammen.
Mit festen Schritten löste ich mich aus der Schutzblase,
stellte mich zu dem bald kämpfendem Gruppenrand.

Meine Entscheidung stand fest:
ich würde für meine Freiheit kämpfen.
Und wenn es das Letzte ist, was ich tue.
Das war mein Kampf.

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Valerie.Where stories live. Discover now