•chapter*2•

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••••••••••/•• Valerie ••\••••••••••

Ein Poltern weckte mich.
Ich schwang meine Beine über den Rand des Heubettes und betrachtete die Szenerie die sich vor mir anspielte.

Zwei Wärter liefen den Gang entlang.
Sie hatten einen jungen Mann im Schlepptau und gingen nicht gerade zimperlich mit ihm um.

Ab und an geriet er gegen die Gitter der Zellen, wodurch das Poltern erzeugt wurde.

Er schien jedoch weder Angst noch Panik zu haben.

Sein neutraler Blick war auf die Zellen gerichtet.

Es wirkte schon fast so, als versuchte er sich jeden Millimeter, gar jedes Staubkorn einzuprägen.

Sein Blick blieb kurz an mir hängen.

Wissenheit.

Er sah mich an, als wusste er, wer ich war, welche Position ich darstellte.

Aber ich kannte ihn nicht, hatte ihn nie zuvor gesehen.

Mit einem Klirren wurde die Zelle rechts von mir geöffnet.

Der Neuling bekam dann wohl Peters Platz.

Peter, einst Dix.

Peter war ein alter Mann, der vor Kurzem seiner Schwäche erlag.
Er war einer der Ältesten gewesen.
Ein schlauen Mann.
Er erfand das System und gab uns damit allen eine Hoffnung auf Rettung.

Ein Neuling.

Das war neu.

Seitdem ich hier war, gab es keine Neuen.

Wir wuchsen nicht, unsere Gemeinschaft schwand.

Entweder man starb, wurde getötet oder mitgenommen.

Ein Neuer passte nicht in das Schema.

Es gab nur eine Ausnahme.
Eine Person hatte auch nicht in das Schema gepasst.

Cloude.

Ein schwaches Lächeln setzte sich auf meine Lippen.

Vor geraumer Zeit bekamen wir noch 'Auslauf', wie sie es nannten.
Wir durften uns in kleinen Gruppen vor dem Gebäude auf einem Betonplatz die Füße vertreten.
Es war weder erholend, noch besonders schön,
aber es stellte eine gute Fluchtmöglichkeit dar.

Ich war damals von Grund auf dagegen.
Flüchten? Von hier? Nein, zu gefährlich.
Doch Sie wollte es, hatte mich angefleht.
Hatte wehement auf ihr Leben außerhalb dieser Wände gepocht.
Hatte von Freiheit und Familie gesprochen.

Freiheit.
Ein Wort mit dem ich so vieles verbandt.

Mein Leben vor meinem 12ten Geburtstag bestand aus Freiheit.
Nun bin ich 22 und die Bedeutung dieses kleinen Wörtchens wurde mir in den letzten Jahren schmerzlich bewusst.

Die Freiheit war kostbar; ein Juwel, das man beschützen musste.

Cloude.

Irgendwann wurde Sie verbittert.
Ihre Hoffnung starb.
Und sie wurde still.

Aus dem aufgeweckten Mädchen wurden nach knapp 5 Monaten ein stilles Mäuschen.

Sie vergaß ihren Charakter, vergaß die Bedeutung ihres Geburtsnamens,
minimierte sich auf die Zahl, die Sie ihr gaben:

Trente.

Ich wollte es nichtmehr mit ansehen.
Ich konnte es nichtmehr.

Sie sollte nicht mehr nur die 30 sein, sie sollte Cloude sein.
Frei und zart wie eine Wolke, sich von der Umgebung leitend und doch hervorstehend.
Sie sollte eigenmächtig und unaufhaltsam ihren Weg finden.

Und dabei vielleicht noch unsere Rettung darstellen.

Und so gab ich ihr meine Unterstützung.
Und mit dieser, hatte sie die gesamte Gemeinde hinter sich.

Mich nannten Sie Douze.
Ich war einer der Ersten und stellte dennoch eine der Letzten dar.

Wir schafften es einst Cloude an den Wachen vorbei und durch die Systeme eine Fluchtmöglichkeit zu bieten.

Sie war nie Elek und hatte noch nicht viel von dem mit Eisenkraut versetzten Mahlzeiten gegessen.
Kurzum: Sie hatte noch genug Energie um mit ihrem inneren Wolf Kontakt zu halten,
und die Chance sich zu verwandeln hatte sie dadurch auch noch.

Zudem war Sie für einen Wolfsmensch ein sehr zierliches und flinkes Wesen.
Sie kam problemlos durch Engen und war dadurch deutlich leiser und unauffälliger unterwegs als Jeder Andere.

So kam es, dass sie kam und nach 5 Monaten floh.
Sie war einst die Erste und Letzte die dazu kam.
Und die Erste die floh.

Psst.
Pssstttt.

Ein Steinchen.
Ein zweites Sternchen.
Und ein drittes Steinchen flog gegen mein rechtes Schulterblatt.

Ich sah den Neuen mit hochgezogener Augenbraue an.

Er lächelte mich freudig an.

,Condor.' , sagte er und strahlte mich an.

Kaum 5min da und er nervte mich jetzt schon.

Er würde dann wohl die trente–et–un darstellen.

Wobei, vielleicht zählten Sie ihn auch als neue 30, nicht als 31.
Ich wusste nicht viel über die Vergebung der Zahlen.
Vielleicht waren wir der erste Durchgang,
vielleicht waren wir ein Durchgang von vielen,
vielleicht stellte unsere Situation etwas besonderes dar.

Bis dato musste ich mir jedoch auch keine Gedanken darüber machen.

Ich streckte den Daumen meiner rechten Hand in die Höhe,
sowie zwei Finger der Linken.

Douze.' , formten meine Lippen.

,Geburtsname Valerie ˋ , ergänzte Ich gedanklich.
Ihn kannten nicht viele, gar Wenige.

Man verkündete Ihn nur, wenn das Leben dem Ende zu ging,
um allen Anwesenden nicht als Zahl im Gedächtnis zu bleiben.
So war es bei Peter und so würde es auch bei mir sein.

Wobei, Ich nannte Ihn bereits, als Ich zum Elek wurde.
Ich war schwach, hatte Angst und hätte nicht erwartet, so lange am Leben zu bleiben.

‚Oliver' ging es ähnlich. Er war mein Alter, meiner Herkunft.
Doch brachte ihn die Aufgabe als Elek fast in den Tot.
Ich konnte es nichtmehr mit ansehen, erkannte den einst Starken Mann nicht wieder.
So übernahm ich und übernehme noch heute.

Er wurde meine Vertretung, mein Nachfolger, sollte ich nicht mehr überleben.

Er, Oliver, die Treize.

Es half nicht.
Die Zahlen waren fester im Kopf verankert als die Namen.
Sie hielten einen im hier und jetzt,
und gaukelten keine Normalität,
keine Hoffnung vor.

Man kannte die Zahlen zu den Gesichtern der Verstorbenen.
Man kannte ein paar wenige Namen, doch war es schwer diesen ein Gesicht zuzuordnen.

So blieben die Zahlen im Gedächtnis und die Namen schwanden nach kurzer Zeit wieder.

Man sprach hier nicht, durfte es nicht, sollte es auch nicht.

Ich nickte ihm zu, dem Neuen.

Und legte mich wieder hin.

Die Zellwände zu unseren Zellennachbarn bestanden von Boden bis zur Mitte aus stabile Metall.
Das obere Drittel wurde durch Metallstangen gebildet.

Ich sah im Augenwinkel wie er seine Stirn runzelte, sich jedoch von der Zellwand wegbewegte.

Oh Cloude.
Ob Sie es wohl geschafft hatte?
Oder wurde Sie gefasst und getötet?

Ich seufzte.
Ich sollte meine Gedanken nicht daran verschwenden.

Wir hatten hier genug andere Probleme.
Der Neue zum Beispiel.

Ich hoffe er verstand das System.
Dann hatte er wenigstens eine geringe Überlebenschance.

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Valerie.Where stories live. Discover now