f ü n f u n d z w a n z i g

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Der Sturm hatte sich gelegt und mittlerweile kamen stellenweise sogar einzelne Sonnenstrahlen durch. Sie tauchten den Wald in ein warmes, helles Licht. Mehr als das Zwitschern der Vögel, die über den Winter hier geblieben waren, war nicht zu hören. Auch in dem einsamen Zelt, das auf einer verschneiten Lichtung aufgebaut war, herrschte eine angenehme Stille. Einer seiner Bewohner war noch immer in einem tiefen Schlaf, er atmete ruhig und gleichmäßig, hatte die Augen entspannt geschlossen und den Mund leicht geöffnet. In seinen Träumen versunken, bemerkte er nicht, dass er bereits beobachtet wurde. Eisblaue Augen lagen auf ihm, sahen zu, wie sich sein entblößter Brustkorb regelmäßig hob und senkte. Und er bekam zunächst auch nicht mit, wie ihm kühle, aber mittlerweile vertraute Fingerspitzen einige lose Haarsträhnen aus dem Gesicht strichen, sanft die blitzförmige Narbe auf seiner Stirn nachfuhren und anschließend über seinen Arm zu seiner Hand wanderten und dort ebenfalls über die vorhandene Narbe strichen. Ich soll keine Lügen erzählen hatte dort einmal gestanden, doch durch das dichte Narbengewebe konnte man die Worte kaum noch erkennen.

Als Harry nach einiger Zeit die mit dichten Wimpern umrahmten Augen aufschlug, zog Draco ertappt die Hand weg.

„Mach weiter", grinste Harry bloß verschlafen und schloss die Augen erneut. Zum Aufstehen war es definitiv noch zu früh.

„Guten Morgen erstmal", flüsterte Draco darauf mit einem ehrlichen Lächeln und hauchte einen zarten Kuss auf die Lippen seines - ja, was sie jetzt waren, wussten sie wohl selbst noch nicht so ganz.

„Morgen." Harrys Grinsen war durch diese Geste noch breiter geworden und er streckte sich gähnend im Bett aus. „Gut, ich bin dran."

Daraufhin stützte er sich auf seinen Ellenbogen und drückte Draco mit der Hand des anderen Arms zurück in die Kissen, bevor nun er sanft begann, von der sternförmigen Narbe auf Dracos Brust, die von der Eintreffstelle seines Sectumsempras übrig geblieben war, bis hin zu den Überresten des dunklen Mals auf dem linken Unterarm des Slytherins, zu streichen.

„Du bist süß, wenn du so grinst", stellte Draco jetzt fest. Dieser hatte mittlerweile aufgehört, sich zu fragen, warum gerade er solche Sachen sagte. Harrys Reaktionen darauf waren es ihm mehr als wert.

„Und das aus deinem Munde." Lachend und mit erröteten Wangen setzte Harry sich auf und fischte nach seiner Brille auf dem Nachttisch. Einen weiteren kleinen Kommentar konnte er sich nicht verkneifen. „Wobei, ich mag deinen Mund."

„Harry!" Nun war es Draco, der scharlachrot anlief und sich verlegen lachend unter der Decke versteckte. Seine Gedanken kreisten dabei um letzte Nacht. Hatte er das, was passiert war, jemals von sich erwartet? Ganz bestimmt nicht. War es trotzdem passiert und hatten Harry und er es genossen? Absolut.

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„Ron!", durchbrach Hermines Stimme die morgendliche Ruhe im Jungenschlafsaal der Gryffindors. Der Besagte wachte von ihrem Geschrei gerade erst auf, von Deans Bett war ein genervtes Brummen zu hören, das Seamus gehörte, und Neville fiel vor Schreck fast aus dem Bett.

„Was ist? Komm rein!", rief Ron gähnend zurück und keine Sekunde später riss Hermine die Tür auf, setzte sich an Rons Bett und warf ihm einen aufgeschlagenen, zentnerschweren Wälzer auf die Beine. Es handelte sich um ein schon ziemlich verstaubtes Zauberbuch, offenbar aus dem hintersten Teil der Bibliothek.

„Sieh dir das an! Das ist genau so ein Zauber den wir brauchen. Er zeigt den exakten Standort des Gesuchten." Hermine deutete aufgeregt auf die geöffnete Seite des Buches und sah ihren Freund gespannt an. Dieser fragte sich noch, was sie um diese Uhrzeit in der Bücherei verloren hatte.

Nachdem Hermine ihm kurz Zeit zum Lesen gegeben hatte, fuhr sie direkt fort. „Ich bin froh, dass wir verhältnismäßig früh fündig geworden sind. Denn wenn wir den Zauber wirklich anwenden müssen, dann brauchen wir ziemlich viel Kram, der schwierig zu besorgen ist. Gut, dass eine kriegen wir schon irgendwie. Bei dem anderen bin ich mir noch nicht ganz sicher, aber lass mich nur machen. Wir sprechen später!"

Damit drückte sie Ron einen Kuss auf die Wange und rauschte positiv gestimmt aus dem Zimmer.

„Habt ihr was verstanden?", fragte Ron perplex, kaum dass die Tür ins Schloss gefallen war. Seine Mitbewohner schüttelten bloß die Köpfe.

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Sowohl in Hogwarts als auch auf der weit entfernten Lichtung war jetzt Frühstückszeit. Heute war es Harry, der am Herd stand und Spiegelei mit Speck vorbereitete. Draco kam gerade von einem kurzen, morgendlichen Spaziergang heim und wollte wieder ins warme Zeltinnere klettern, als ihn der Schrei einer Eule innehalten ließ. Schickte Professor McGonagall mal wieder Schulkram? Er drehte sich um und ließ den rotbraunen Waldkauz auf seiner Schulter landen. Es handelte sich um eine der Schuleulen, das wusste er, aber da nur ein schmaler Brief an ihrem Bein befestigt war, konnte er wahrscheinlich nicht von McGonagall stammen, die sonst nur körbeweise Infos und Proviant schickte.

Neugierig darauf, wer wohl geschrieben hatte, entfernte Draco den Briefumschlag vorsichtig vom Bein des Kauzes und drehte ihn in der Hand. Auf dem Umschlag waren weder Empfänger noch Absender gekennzeichnet, vermutlich falls der Brief abgefangen worden wäre. Also öffnete er ihn einfach, faltete das Pergament auseinander und begann zu lesen. Die Eule hatte sich unterdessen schon wieder mit einigen kräftigen Flügelschlägen in die Luft gehoben und war zwischen den Baumkronen verschwunden.

Schon nach den ersten paar Zeilen, war Draco klar, dass der Brief nicht für ihn bestimmt war, doch er hörte nicht auf zu lesen. Der Brief stammte von Hermine und Ron, die sich nach Harrys Wohlergehen und Aufenthaltsort erkundigten. Sie versuchten, ihm möglichst keine Vorwürfe zu machen, dass er sie nicht persönlich eingeweiht hatte, scheiterten aber kläglich daran. Ihm war klar, dass sie herkommen würden, sobald sie ihren besten Freund finden würden. Ihm war klar, dass Harry ihnen diesen Ort verraten würde, sofern er diesen Brief in die Hände bekam. Er hatte sie schließlich seit mehreren Wochen nicht gesehen und vermisste sie mit großer Wahrscheinlichkeit so sehr, dass er nicht zögern würde, sie einzuladen. Und ihm war auch klar, dass Hermine und Ron seinen eigenen Plan durchkreuzen würden. Es stände drei gegen einen.

Und so hatte er schneller als gedacht seinen Zauberstab gezückt, das Pergament in Brand gesetzt und es zu Boden rieseln lassen. Dort kühlte es im glitzernden Schnee ab und war dort nicht mehr als ein zarter Aschestaub, der in wenigen Stunden vom Wind fortgetragen werden würde.

Im selben Moment realisierte der Slytherin, dass er tatsächlich diesen verzweifelten Plan durchführen musste, der Harry zum Crabbe-Anwesen in den sicheren Tod führen würde. Und bei diesem Gedanken schauderte er.

„Fuck", hauchte er, als er den Zauberstab wegsteckte und sich verzweifelt durch die platinblonden Haare fuhr. „Fuck, fuck, fuck."

Bevor er all diese Gefühle für diesen Gryffindor zugelassen hatte, hatte dieser Plan gar nicht mal so schlecht geklungen. Aber jetzt hatte er sich als reinster Alptraum entpuppt.

Bis zum 15. Februar war noch Zeit, redete er sich ein und atmete noch einmal tief durch. Drei Wochen. Er zog den Reißverschluss der Zelttür auf und trat ins Warme. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. Er streifte sich Mantel und Schuhe vom Körper und räumte alles sorgfältig weg, dann kam er zu Harry in die Küche.

„Hi", grinste dieser und machte den Herd aus. „Ich bin gerade fertig geworden!"

„Hey. Das riecht gut, ich habe einen Riesenhunger", erwiderte Draco, stellte sich hinter Harry, der gerade das Essen anrichtete, und schlang die Arme um ihn.

„Hm... so dauert's aber länger." Harry störte dies keineswegs. Er warf den Kopf nach hinten, lehnte sich bei seinem Hintermann und schloss genießerisch die Augen.

Um sich abzulenken, setzte Draco nun einen sanften Kuss auf Harrys freiliegenden Hals und entlockte dem Gryffindor damit ein leises Seufzen. Er selbst hoffte, dadurch seine eigene Anspannung loszuwerden. Was sollte er bloß wegen dieses Scheißplans unternehmen?

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Healing - A Drarry Fan FictionWhere stories live. Discover now