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Dieser Gerichtsprozess hatte wahrlich keinen der Ausgänge angenommen, die sich Draco im Vorfeld ausgemalt hatte. Während er zum achten Mal am heutigen Tage an seiner schwarzen Krawatte herumgefummelt hatte, hatte sein Blick auf dem braunhaarigen Jungen in der Mitte des Saals gelegen. Und er ließ diesen nicht mehr los, bis der Richter schließlich sein Urteil verkündete. Freispruch. Lediglich eine Geldstrafe für seinen Vater - diese glich einem Witz bei dem Vermögen, das dieser sicher eingeschlossen bei Gringotts aufbewahrte.

„Ich werde Hogwarts dann die Bestätigung zukommen lassen, dass du das letzte Schuljahr nachholst, ja?", kam es von Narcissa Malfoy, während sie Seite an Seite mit ihrem Mann und ihrem Sohn am Ende des Tages das Zaubereiministerium verließ, noch immer dankbar und erstaunt über Potters Einsatz. Als Antwort erhielt sie von ihrem Sohn bloß ein zustimmendes, murmelndes Geräusch. Bevor er mehr sagen konnte, wurden seine Gedanken von einem Ruf unterbrochen.

„Malfoy!" Alle drei Malfoys drehten sich um, doch nur einer war gemeint. Sie alle sahen in das Gesicht von demjenigen, der sie gerade vor einer lebenslangen Haftstrafe in Askaban bewahrt hatte und doch brachte keiner den Mut dazu auf, ihm zu danken. Harry kam vor Draco zum Stehen. Dieser wollte gerade aus Gewohnheit einen abfälligen Kommentar zu seinem Gegenüber machen, aber er hielt inne, denn das wäre unter den jetzigen Umständen selbst für einen Draco Malfoy unpassend gewesen. Stattdessen räusperte er sich und bemühte sich um eine höfliche Stimmlage.

„Ja?"

Zugegeben, Harry war überrascht von Dracos Selbstbeherrschung, sogar wenn seine Höflichkeit nur gespielt war. Er hatte mit den üblichen Gemeinheiten gerechnet und brauchte daher kurz, um sich daran zu erinnern, warum er Draco aufgehalten hatte. Seine Hand glitt in die Zauberstabtasche seines Jacketts. Dort steckte neben Harrys eigenem auch noch Dracos Zauberstab. Diesen hatte er ihm beim Kampf auf dem Malfoy-Anwesen abgenommen und bis jetzt nicht zurückgegeben. „Ich hab noch was von dir."

Draco zog skeptisch eine Augenbraue hoch, er hatte schon mit seinem Zauberstab abgeschlossen, war jetzt aber umso glücklicher, als Harry ihm den vertrauten Stab in die Hand drückte. Ein Stück seiner Kindheit hing an diesem Holz.

„Danke", brachte Draco nun tatsächlich hervor und es klang ehrlicher als erwartet.

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Einige Wochen später, am 01. September diesen Jahres, war es nun soweit, dass auch die mittlerweile Achtzehnjährigen in den Hogwarts-Express einstiegen und ihre Reise von Gleis 9 3/4 am Bahnhof King's Cross begannen. Es schien, als hätte sich nichts verändert, doch das stimmte nicht. Eigentlich sollten sich viele der Schülerinnen und Schüler in diesem Zug bereits voller Begeisterung und Vorfreude mit dem Abschlusszeugnis in der Hand um einen Beruf nach der Schule bemühen, doch daran war hier nicht zu denken.

Eine erdrückende Stille hatte sich über alle Abteile gelegt und selbst die in diesem Jahr neuen Erstklässler angesteckt. Ihre Gespräche, die am Anfang noch einem aufgeregten, fröhlichen Schnattern glichen, waren verstummt. Auch sie spürten den Schmerz, der die älteren Schüler umgab. Da lag kein Lächeln mehr auf ihren Lippen und kein Funkeln mehr in ihren trüben Augen. Sie alle waren sich bewusst, dass sie sich auf direktem Weg zu dem Ort befanden, an dem ihre schlimmsten Alpträume spielten. Das Schloss war zwar wieder neu errichtet worden und alle sagten, es sähe aus, als sei dort nie etwas vorgefallen, doch vor ihren Augen sahen sie noch immer die Trümmer, die Toten und das Blut, das vergossen wurde.

Auch herrschte in dem Abteil, in dem Hermine, Ron und Harry saßen, ein betretenes Schweigen. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Hermine hatte sich bei dem rothaarigen Jungen neben ihr angelehnt und ihre Finger mit seinen verschränkt. In den Augen der beiden lagen besorgte Ausdrücke. Zum einen wegen des Zielorts, zum anderen aber auch aufgrund der Verfassung ihres besten Freundes. Er sah nicht gut aus. Natürlich sah er das nicht, sie alle sahen mitgenommen aus. Aber Harry hatte sich schlimmer in sich selbst verschanzt als die anderen. Er hatte mit seiner Freundin Schluss gemacht und ertrank förmlich in Schuldgefühlen. Und sie hatten keine Ahnung, wie sie ihm helfen könnten. Alle Versuche waren kläglich gescheitert und so konnten sie nur weiter einfach bloß da sein, wenn er sich mal wieder in einem Strudel von Trauer und Schuld verlor. Die Gerichtsprozesse hatten ihn immerhin abgelenkt, doch die gab es für ihn nun auch nicht mehr.

Was Harrys Freunde jedoch nicht wussten, war die Tatsache, dass ihn einer dieser Prozesse ganz und gar nicht mehr loslassen wollte. Er beinhaltete graublaue Augen und platinblonde Haare. Der Blickkontakt ging Harry nicht mehr aus dem Kopf, er hatte sich sogar eines Nachts anstelle der zur Gewohnheit gewordenen Alpträume geschlichen. Dennoch war Harry genauso geschockt und schweißgebadet aufgewacht wie jede Nacht und... fuck, er dachte schon wieder daran. Das da im Gerichtssaal war sein Erzfeind gewesen, selbst, wenn ihre Feindschaft mittlerweile eine längerfristige Waffenpause eingelegt hatte. Über seine Gedankengänge schüttelte Harry nun eine Spur zu heftig den Kopf, woraufhin er fragende Blicke seiner Freunde erntete, die ihm gegenüber saßen. Allerdings traute sich keiner, die Stille zu durchbrechen.

Einige gläserne Türen weiter fand man ein fast leeres Abteil vor. Bloß eine einzige Person saß darin, eingewickelt in einen langen, schwarzen Mantel, die eine Wange gegen die kühle Fensterscheibe gelehnt und für alle, die einen Blick durch die Tür warfen, offenbar schlafend. Doch der platinblonde Junge schlief nicht. Das tat er seit Monaten nicht mehr richtig. Er hatte sich nicht dazu durchringen können, sich zu seinen Freunden zu setzen und so verharrte er nun hier allein. Sein Blick war starr nach draußen gerichtet, durch einige Strähnen, die ihm wirr ins Gesicht hingen, hindurch. Die Landschaft zog nur so am Fenster vorbei und er nahm sie kaum richtig wahr. Seine Gedanken kreisten um wilde, braune Haare, die eine blitzförmige Narbe auf der Stirn halb verdeckten sowie hellgrüne Augen, die ihr Besitzer von dessen Mutter vererbt bekommen hatte. Sie hatten sich in sein Gedächtnis gebrannt, genau wie zuvor die Flammen des Höllenfeuers im Raum der Wünsche und der Schmerz in seinem linken Unterarm bei einem seiner erfolglosen Versuche, das dunkle Mal loszuwerden. Es war allerdings völlig absurd, schließlich hatte er schon unzählige Male in diese grünen Augen geblickt und doch war nun etwas anders. Was genau, wusste er nicht und er wollte auch unter keinen Umständen weiter darüber nachdenken.

Zu seinem Glück deutete ihm der nun langsamer werdende Zug an, dass sie bald da sein würden und er seine abstrusen Gedanken für einen Moment in den Hintergrund rücken konnte.

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Healing - A Drarry Fan FictionWhere stories live. Discover now