Primrue Mellark 3 | Kapitel 4

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Verschwommene Gestalten tauchten vor mir auf, doch ich erkannte im ersten Moment nicht wirklich, wer wer war. 
Immer wieder wurde mein Name genannt, doch ich schaffte es nicht wirklich zu Antworten. Alles was über meine Lippen kam, war ein weiteres Stöhnen, während ich versuchte meine Augen endlich wieder scharf zu stellen. 
Blinzend gab ich nicht nach und irgendwann schien mein Körper endlich meinen Willen nach zu geben.
Wenn ich die Kraft dafür gehabt hätte, hätte ich über die Gesichter, die über mich gebeugt waren, gelacht. 
Finn, Bryony, Shade, Nex und Cato. Alle sahen sie aus, als würden sie den Tod persönlich sehen. 
„So schlimm seh ich auch nicht aus.“, schaffte ich es irgendwie hervor zu pressen, was zumindest Shade und Nex zum grinsen brachte. 
Finn fummelte irgendetwas an seinen Taschen herum und zog ein sauberes Tuch hervor. 
Ehe ich überhaupt die Zeit hatte zu fragen, was er da tat, hatte er es schon auf die Einschussstelle gelegt und drückte fest drauf, wodurch ich ihn reflexartig an fauchte. 
„Wir müssen hier raus. Schnell“, brachte Shade es auf den Punkt, bevor er zu mir schaute. „Ich weiß, dass wird jetzt weh tun, aber du musst wieder auf die Beine.“
Kurz nickte ich, ehe der Mann aus Distrikt Zwei auch schon nach mir griff. Der Meinung, dass er mich langsam hochziehen würde, verlor ich bei der ruckartigen Bewegung fast das Gleichgewicht. Erneuter Schmerz schoss in meine Schulter und ich kämpfte darum, bei Bewusstsein zu bleiben. Shade stand jedoch wie eine Mauer vor mir, wodurch ich mich dagegen lehnen konnte.
„Bryony. Kannst du Primrue helfen?“, fragte Nex. 
Die Frau nickte und kam sofort zu mir. Kurz lächelte sie mich aufmunternd an, ehe ich sie sich meinen gesunden Arm über ihre Schulter legte. Die Bewegung schmerzte, obwohl Bryony fast mein ganzes Gewicht auf sich selber nahm, wodurch ich nur noch Bein vor Bein setzten musste.
Jedoch stellte sich sogar dies als schwieriger heraus, als ich gedacht hätte.
Die anderen deckten uns, aber immerhin wartete kein Überraschungsangriff mehr auf uns. 
Wie lange wir liefen oder was passierte, bekam ich auch nicht wirklich mit. Ich versuchte einfach nur, irgendwie wach zu bleiben und weiter zu gehen. 
Als wir jedoch ruckartig irgendwo herunter sprangen, konnte ich mich nicht mehr auf den Beinen halten. Nur dank Bryony schlug ich nicht hart auf meinen Knien auf, sondern wurde langsam herunter gelassen.
Eine kühle Wand tauchte hinter meinen Rücken auf, an die ich mich erleichtert lehnte. 
„Wartet.“, meinte Bryony leise aber bestimmt. 
Alle schienen auch auf sie zu hören, wodurch ich das Plätschern von Wasser hörte. 
Wo waren wir? Da wir immer weiter nach unten gegangen waren, soweit ich das mitbekommen hatte, konnten wir nur in der Kanalisation sein. Nex hatte in der Arena etwas davon gesagt, dass er und seine Leute sich schon seit Jahren unter dem Kapitol versteckten, aber wirklich geglaubt hatte ich ihm nicht. 
„Was ist?“, riss mich Nexs Stimme aus meinen Gedanken, auch wenn es schwerer wurde, sich wieder daraus hervor zu kämpfen. 
„Sie kann nicht mehr und die Blutung hört einfach nicht auf.“, erklärte Bryony.
„Wir sind zu langsam.“, mischte sich nun Shade ein, „Wenn wir uns nicht beeilen, verblutet sie uns einfach.“
Es war interessant, dass ich nicht wirklich irgendetwas fühlte. Keine Angst, obwohl die anderen eindeutig über mich und meinen eventuellen Tod redeten. Keine Wut, dass dieser Scharfschütze mich getroffen hatte.
Ich war einfach nur müde und wollte schlafen. 
Jemand ließ das aber nicht zu, als ich einfach von meinen kühlen Platz hochgehoben wurde. 
Es schmerzte und ich hatte eindeutig genug von Schmerz weswegen ich erneut knurren wollte, aber es kam nur ein brummen heraus. 
Starke Arme hielten und drückten mich an eine durchtrainierte Brust. 
„Das hat wehgetan Nex.“, beschwerte ich mich; bekam als Antwort aber nur ein müdes Lachen.
„Und du trägst sie jetzt weil?“, fragte Finn, doch jemand, der niemand anderes sein konnte als Cato, stimmte brummend zu. 
„Weil in den engen Gängen mein Bogen die schlechteste Waffe ist.“, erklärte Nex ruhig. 
Erneutes Brummen war zu hören, aber die beiden Anderen schienen nichts dagegen sagen zu können. 
Mir war es sowieso egal. Ich wollte einfach nur meine Ruhe haben. 
Dazu musste ich nicht mehr selber stehen. In Nexs Armen fühlte ich mich gerade sicher und aufgehoben. Hier konnte ich mich ausruhen und vielleicht endlich vergessen. 
Besonders als die Anderen sich wieder in Bewegung setzten, war es schwer, nicht den Drang, einzuschlafen nachzukommen.
Dunkelheit hüllte uns bald ein und die widerhallenden Schritte waren alles was ich hörte. 
Immer schwerer war es, gegen die Schmerzen zu kämpfen. Einfach ins schwarze Loch zu fallen, wäre angenehmer. 
„Schön hier bleiben Primrue.“, riss mich Nexs Stimme aus meinen Dämmerschlaf. 
Er schien es zu merken, da er mich ein wenig fester an sich drückte. 
„Wir haben es bald geschafft. Du musst nur noch ein bisschen durch halten, dann bist du sicher und kannst dich ausruhen.“ 
Irgendwie schaffte ich es zu nicken und versuchte etwas zu finden, auf was ich mich konzentrieren konnte. Es war der Herzschlag von Nex, der gleichmäßig und stark gegen seine Brust schlug, der mich wach hielt.
Trotzdem fühlte es sich wie Stunden an, in denen alle schweigend neben einander hergingen. 
Gerade als ich merkte wieder abzudriften, wurden Türen aufgestoßen und Licht blendete mich, wodurch ich mich am liebsten unter Nexs Shirt verkrochen hätte.
Jedoch ließ er mich in dem Moment auch schon los und legte mich auf eine weiche Unterlage.
„Was ist passiert?“, fragte eine mir unbekannte Frauenstimme.
„Schusswunde. Die Kugel ist noch drin.“, erklärte Nex ihr sofort. 
Daraufhin wurde mein Liegeort in Bewegung gesetzt und alles was ich sah, waren Lampen, die sich mit blanker Decke abwechselten. 
Es erinnerte alles so stark an Nio und sein Gefängnis, dass ich ein zittern nicht unterdrücken konnte. 
„Cato?“, wimmerte ich leise und tastete blind mit meiner Hand; die in der nächsten Sekunde aber auch schon genommen wurde. 
„Ich bin hier. Alles wird gut.“, hörte ich seine Stimme und konnte mich ein wenig beruhigen, „Wir passen jetzt auf dich auf und kümmern uns um dich.“
Zu wissen, dass Cato bei mir war, reichte aus, um mich zu beruhigen. 
Gleichzeitig verließ mich jedoch auch die letzte Kraft und die Dunkelheit nahm mich gefangen.
Dieses mal hieß ich sie willkommen.

Primrue Mellark 3 | Ungewolltes VermächtnisWhere stories live. Discover now