Primrue Mellark 3 | Kapitel 1

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Schmerzen. 
Schmerzen waren das einzige was ich noch wirklich mitbekam. Nichts anderes zählte mehr. 
Stunden, Tage, Wochen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit ich hier war. 
Folter, Ruhe, Folter, Ruhe. 
Das war der einzige Ablauf den ich noch kannte. 
Der einzige Grund warum ich nicht wahnsinnig wurde, war die Hand, die meine Finger jedes mal umgriff, wenn ich wieder gebracht wurde und erst wieder los ließ, wenn ich erneut geholt wurde. 
Trius. 
Manchmal redete er auch. Er hatte schnell gemerkt wie schlecht es mir ging, wenn vor den Fenstern ein Sturm peitschte. Jedes mal begann er dann mit melodischer Stimme alte Geschichten zu erzählen. Ich verstand kein Wort davon, doch es reichte mir, mich einfach auf ihn konzentrieren zu können, damit ich nicht verrückt wurde. Zumindest hoffte ich es. 
Immerhin quälten sie nur mich. Trius wurde einfach nur fest gehalten. 
Was in der Außenwelt passiert wusste ich nicht. Ich konnte nur hoffen, dass die anderen es geschafft hatten zu entkommen. Das Nio sie weg gebracht hatte und sich um Cato gekümmert hatte. 
Cato. Wenn ich es schaffte zu schlafen, träumte ich immer von ihm. Wie er lächelte oder mich in den Armen hielt. Dann war ich sicher und geborgen. Um so härter war es jedoch beim Aufwachen festzustellen, nur geträumt zu haben. Immer noch auf diesen harten Boden zu liegen, nur ein kleiner Raum, von Gitterstäben umgeben. In der Zelle neben mir Trius, der mich müde anlächelte.
So war es auch heute. 
Wie immer schmerzte jeder Knochen, auch wenn ich mich langsam an den harten und kalten Boden gewöhnte. 
„Alles okay?“, fragte Trius leise. 
Wir redeten nicht oft und waren es kaum noch gewöhnt.
„Bestens. Sieht man das nicht?“, behauptete ich schief grinsend und kämpfte mich hoch, damit ich mich gegen die Wand lehnen konnte. 
Ein seufzen kam über meine Lippen als ich es endlich geschafft hatte und meinen Kopf dagegen lehnen konnte. 
Wirklich Kraft hatte ich schon lange nicht mehr. Genau wie ich nicht einmal mehr wusste, welche Arten von Foltern sie angewandt haben. Wasser, Feuer, Elektrizität, Messer... sie haben so gut wie alles an mir ausprobiert. Nur nicht das Gift von Killerwespen. Als ich dies alles zum ersten mal durchstehen musste, war ich mir sicher, sie würden mir das gleiche antun, wie meinen Vater, jedoch injizierten sie es mir nie. 
Nio wollte mich bei klaren Verstand. 
Er sah die Herausforderung darin, mich zu schwächen und zu brechen, während ich genau wusste, was real war und was nicht. 
Am Anfang war ich darüber fast noch froh. Schließlich wusste ich nur zu gut, wie sich dieses Gift auf einen auswirkte. Wie oft hatte mein Vater jetzt noch dagegen zu kämpfen. Trotzdem war die Freude nur von kurzer Dauer. Vielleicht wusste er von vielen Dingen aus seiner Vergangenheit nicht mehr wirklich, ob sie real waren, aber gleichzeitig hatte er auch einiges vergessen, was während seiner Gefangenschaft passiert war.
Schweigend saßen wir da, als die Minuten verstrichen und ich mich fragte, wann sie mich holen kamen. Überall waren Kameras angebracht, wodurch sie immer genau wussten, wann ich aufwachte. Manchmal gaben sie mir nicht einmal diesen Luxus und rissen mich aus ihm heraus.
Doch heute war es nicht so. Heute blieb es in unserem Zellenbereich unnatürlich still, wodurch ich mir anderer Geräusche um so bewusster wurde. 
War das gerade eine Explosion gewesen?
Verwirrt schaute ich zu Trius aber er schien es genau wie ich gehört zu haben. Weit weg und doch eindeutig. 
Wer aber was in die Luft jagte konnte keiner sagen. Nio hatte die Macht mit Gewalt an sich gerissen. Er hatte viele schon vorher auf seine Seite gerissen aber es gab die Distrikte und auch Menschen im Kapitol, die sich gegen ihn wehrten. 
Das machte ihn immer am meisten Spaß. Wenn ich gequält wurde, erzählte er mir Geschichten über seine angeblichen Triumphe. Ich wusste, dass sie nicht wahr waren, aber im hintersten Teil meines Kopfes war eine Stimme, die immer lauter das Gegenteil flüsterte. 
Als es außerhalb unseren Zellenabschnitts lauter wurde, stand Trius nervös auf, um nach vorne zu gehen. 
„Irgendwas ist da draußen los“, stellte er fest. 
Wäre ich nicht so erschöpft gewesen wäre, hätte ich vielleicht sogar ein komisches Kommentar von mir gegeben. Doch so blieb ich einfach sitzen und versuchte am liebsten in der Wand zu verschwinden. 
Besonders als es wieder ruhig vor der Tür wurde. 
Trius trat unsicher, wieder nach hinten und schaute sich um, als die Tür aufgerissen wurde. 
Künstliches Licht erhellte unsere Zellen und ich kniff schmerzhaft die Augen zu. Licht war eines der Dinge, an die ich nicht mehr wirklich gewohnt war. 
Stimmen traten an uns heran, doch ich verstand nicht einmal wirklich was sie sagten. 
Kurze Befehle wurden gebrüllt, als auch schon meine Zellentür geöffnet wurde. 
„Fasst sie nicht an.“, meinte Trius ebenfalls gegen das Licht blinzelnd und ich rutschte noch weiter in die Ecke. 
„Primrue?“ 
Mein Name. Die Stimme. 
Ich kannte sie. Liebte sie. 
„Primrue, bitte sag etwas.“, bat die Stimme erneut und ich blinzelte gegen das Licht. 
„Cato?“
„Ich bin es.“, meinte die Gestalt und beugte sich so gegen das Licht, dass ich nicht mehr geblendet war. 
Endlich konnte ich etwas mehr als Umrisse sehen. Sein blondes Haar. Seine grauen Augen, die mich im Traum oft angelächelt hatten. 
Erleichterung machte sich in mir breit und ich spürte die Tränen. 
„Du hast mich wirklich gefunden?“, flüsterte ich leise. 
„Wie ich es dir versprochen habe. Erinnerst du dich?“, fragte er nun genauso leise. 
Ich nickte, als ich mich daran zurück erinnerte. Es fühlte sich an, als würden Jahre dazwischen liegen. Die Arena, in die Nio uns gesperrt hatte. Wie wir versucht hatten zu überleben und dabei Karlic verloren hatten.
Wie wir uns ins Umland gekämpft hatten und Nios Leute besiegt hatten. Wie er Navet als Geisel nahm und ich mich gegen ihn ausgetauscht hatte, da Cato verletzt war. 
Cato war verletzt gewesen, selbst Nio hatte dies gewusst. Zumindest hatte er mir immer wieder mein Horrorszenario geschildert, in dem Cato gestorben wäre. 
Aber was wenn er die Wahrheit gesagt hatte und dies nur wieder eine Art war um mich zu quälen?
Warum sollte Cato ausgerechnet jetzt hier auftauchen?
War er so grausam?
Tränen traten mir in die Augen, als ich die Frage nur mit „Ja“ beantworten konnte. 
Selbst wenn Cato und die Anderen lebten, wie sollten sie bis zu uns durchkommen. 
„Primrue, es ist okay. Beruhige dich. Alles ist gut.“, redete die Gestalt, die aussah wie Cato vor mir weiter. 
Als er seine Hände nach mir ausstreckte wurden die Stimmen in meinem Kopf, die alle durcheinander sprachen, immer lauter und schmerzhafter. 
Ich drückte meine Hände gegen den Kopf und in dem Moment, in dem seine Hände mich berührten, schrie ich die Qual heraus.

Primrue Mellark 3 | Ungewolltes VermächtnisWhere stories live. Discover now