6. Kapitel

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Am nächsten Tag, also nach dem Tod meiner Eltern und zweit Tage vor meinem 10. Geburtstag, saß ich in einem Büro mit einer jungen Frau, deren Namen Claire war, und Jack. Der Raum hatte nur ein Fenster, dafür aber viele Akten. Das war das einzige, was ich über den Raum noch wusste. Jugendamt hatte ich auf dem Schild gelesen, was neben dem Fahrstuhlknopf war. Also, für die, die immer noch nicht wissen, wo ich zwei Tage vor meinem 10. Geburtstag war, ich war beim Jugendamt zusammen mit Jack.

"Sie sind ein Verwandter von ihr?", fragte Claire. "Ja, ich passe seit dem sie 4 ist jedes Wochenende auf sie auf." Ja, leider und nicht nur aufgepasst hast du, hätte ich gerne hinzugefügt. Sie sah mich an. "Isa", sagte sie und schaute mich mit einem Blick an, den ich von meiner Mutter nur allzu gut kannte, an. Sie hatte ihre hellbraunen Haare hoch zu einem Dutt gesteckt und trug eine rote Brille, die ihre grünen Augen betonte. Zu ihrem wunderschönen Gesicht hatte sie noch eine gute Figur. Sie ist bestimmt beliebt und hat viele Freunde... "Isa", sagte sie erneut und dies mal sah ich ihr richtig und die Augen und antwortete mit ja. "Wollen wir beide uns mal alleine unterhalten?" Ich nickt und sie bat Jack draußen auf mich zu warten. 

"So Isa, wie geht es dir denn?", fragte sie mich nachdem Jack den Raum verlassen hatte. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ja, die Frage war nicht so schwer, aber gut konnte ich nicht sagen, nicht wenn meine Eltern gerade verstorben sind. "Isa", rief sie erneut. Am Ende wurde es doch gut. "Mh...nun gut. Isa ich will, dass du mir die Wahrheit sagst. Also meine Fragen ehrlich beantwortest, denn es geht immerhin um dein Wohl. Verstehst du das?" Ich nickte. "Ich erkläre dir jetzt einmal was mit dir passiert. Also du hast kein Haus und keine Familie mehr. Du bist Minderjährig und kannst nicht alleine Leben und brauchst daher eine neue Familie. Verwandte hast du hier in der Umgebung nicht. Zu deinen Großeltern kannst du nicht, da sie bereits verstorben sind. Da du die letzten 5 Jahre bei Onkel Jack viel Zeit verbracht hast liegt es nahe, dass du bis du Volljährig bist bei ihm wohnen wirst, sofern er damit einverstanden ist und er dir nicht gefährdet beziehungsweise schon auf irgendeiner Art und Weise gefährdet hat." Sie machte eine kurze Redepause und schaute mich an. Ich glaube sie tat das, damit sie einschätzen konnte, ob ich ihr folgen konnte. "Isa, ich will jetzt ganz direkt sein ja? Also geht es dir bei ihm gut? Willst du bei Jack und seiner Familie leben?" Nein, das will ich nicht! Niemals! Schrie meine innere Stimme. "Isa. Wenn du es nicht willst, dann sag es und nenne mir bitte auch einen Grund. Schau mich bitte an Isa." Ich tat es. Ich sah sie an. Ich sah ihr direkt in ihre faszinierenden, grünen Augen. "Hat er dir je Leid zugefügt. Dich geschlagen oder schlimmeres? Isa, du kannst es mir sagen. Wenn ja, dann kannst du nicht bei ihm wohnen. Verstehst du das? Rede doch mit mir", bettelte sie mich an. Betteln hört sich so minderwertig an, aber dieses betteln hatte geholfen. Sie hatte mich zum Reden gebracht und ich weiß auch nicht warum genau. Ich glaube, dass die Frage, ob er mir Leid zugefügt hatte und mein ständiges schweigen sie stutzig gemacht hatte. Nein, das was ich gedacht hatte machte keinen Sinn. Ich meinte, durch die Frage, ob er mir Leid hinzugefügt hatte, hatte sie den Nagel auf den Punkt getroffen und mich geöffnet. Und mein ständiges schweigen, hatte sie dazu gebracht stutzig zu werden und dies anzunehmen. Danke Claire, ich danke dir, dass du mich lesen, nein, öffnen konntest. "Ich will nicht bei ihm bleiben", war der erste richtige Satz, den ich mit zittriger Stimmer herausbrachte. "Ich weiß, aber warum denn nicht?" "Weil,..." Ich brach mitten im Satz ab. Ich konnte es doch nicht. "Isa." Wie oft hatte sie bloß meinen Namen an dem Tag gesagt. Zu oft, aber die Art wie sie es aussprach, beruhigte mich jedes mal. "Du kannst es mir sagen. Ich tue dir nichts. Du brauchst vor mir keine Angst zu haben." Ich sah sie an und aus ihrem zuerst besorgten Gesicht wurde ein vertrauensvolles Lächeln. "Er hat schlimme Sachen getan." "Die da wären?" Ich schluckte und nahm tief Luft. "Ganz ruhig Isa, wir haben Zeit, also nehme dir auch Zeit." Ich nickte und fuhr dann fort. "Ich lag auf seinem Bett und er hat,...er hat so Sachen gemacht....und er hat sie gefangen und will sie nicht freilassen, aber ich weiß nicht, ob er sie auch getötet hat." Aus einem Lächeln wurde eine Grimasse. Nein, ein Mimik, für die man kein einziges passendes Wort fand. Es gab keinen richtigen Begriff. Ihr Gesicht spiegelte etwas von Entsetzen, Besorgnis und anderem wider. "Was hat er getan? Was für Sachen? Und wen hält er gefangen und wen soll er getötet haben?", fuhr sie trotz ihrem nicht richtig zu deuteneden Gesichtsausdruck ruhig fort. Es waren einfach zu viele Fragen. "Meine Schmetterlinge. Sie,....sie sind tot und er will sie nicht frei lassen....und mich auch nicht, dass hat er damals gesagt", flüsterte ich. Sie nickte und ihre Gesichtszüge veränderten sich wieder. Sie wurden etwas weicher und lockerer, aber dennoch waren sie ein wenig angespannt. "Und was für Sachen hat er dir angetan?" Mir schwebten viele Fragen im Kopf, wie zum Beispiel Sollte ich es ihr wirklich sagen? oder Kann ich ihr wirklich vertrauen? Ich wusste es nicht. Ich konnte es nicht mal meinen Eltern sagen und ich werde auch nie mehr die Geglegenhiet dazu haben, aber verdammt! Ich will nicht mit ihm leben. Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten und ich fing an mich mehr und mehr an seine Berührungen zu erinnern. Es war wie ein Film. Ich sah, wie er mich berührte, spürte seine Küsse auf meiner Haut. Ich um fasste meinen Körper und fing an zu zittern. Weg, weg mit den Bildern. Los verschwindet! Ich will euch nicht! "Isa,...", murmelte sie. Ich versuchte sie anzuschauen. Durch diesen Film, der sich in meinem Kopf abspielt, zu schauen. "Isa", wiederholte sie noch mal meinen Namen, doch diesmal ein wenig lauter. Ich versuchte mich am Klang ihrer Stimme zu orientieren. Und noch einmal rief sie meinen Namen. Ich schaffte es sie für einen kurzen Augenblick zu sehen, aber schon im nächsten Moment spürte ich, wie ich mit meinem Kopf auf etwas hartes aufschlug und alles um mich herum dunkel wurde. Die Erinnerungen an die Geschehnisse mit Jack waren weg, genauso wie auch das Bild der Frau, mit der ich vor kurzem noch gesprochen hatte und der ich mich öffnen konnte.


Butterfly// #Wattys2015Where stories live. Discover now