2. Kapitel

220 17 2
                                    

Ich weiß noch genau, dass mich der Tod meiner geliebten Schmetterlingen sehr mitgenommen hatte. Ich war die ganze Zeit traurig und weinte oft. Ich fragte mich, wie ich nur ohne sie leben soll. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, dann war das eine schwachsinnige Frage. Aber ich war gerade mal vier Jahre alt. Meine Eltern sahen, dass es mir schlecht ging, dass ich nur noch am weinen war und ma chten sich Sorgen. Selbst die Erzieherin im Kindergarten machte sich Sorgen. Sie fragte mich immer und immer wieder, warum ich nicht mit den anderen spielte oder ob ich traurig sei. Ja, ich war traurig und wie! Ich würde sie nie fliegen sehen. Sie würden niemals frei sein und ich werde es auch nie sein. Sie waren tot...und wenn ich nicht bei ihnen bleibe, dann werden sie sie alle vergessen. Selbst wenn sie da immer noch in 10 Jahren hängen würden,  würde keiner sie beachten.

Einen Monat lang hatte es gedauert, bis ich wieder halbwegs normal mit meinen Freunden spielen konnte. Zumindest war ich so normal, dass meine Erzieherin mir keine Fragen mehr stellte oder sich Sorgen machte. Ich hatte sie nicht vergessen, genau so wenig wie jeden anderen Tag der seitdem vergangen war.  Falls ihr euch fragt, warum ich damals schon wusste, dass genau ein Monat bereits vergangen war, dann lautet die Antwort, weil meine Mutter mir gesagt hatte, dass wir am Wochenende zu meinen Schmetterlingen fahren. Ich würde sie wieder sehen und ihn gleich mit. 

Es war Freitag und ich saß zusammen mit meinen Eltern im Auto. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte oder nicht. Einerseits sah ich sie wieder, aber andererseits auch ihn. Es war nicht so, dass ich ihn schon damals gehasst habe. Nein, ich mochte ihn und seine Familie. Ich habe ihn auch nicht dafür gehasst, dass er mir die Wahrheit über die Schmetterlinge gesagt hatte oder höhnisch gelacht hatte. Nein, ich hasste ihn für das, was als nächstes kam.

Wir waren angekommen. Es war kein Besuch, wie jeder andere, dass wusste ich. Es war ein Besuch, für den man keine richtigen Worte fand. Kennt ihr das, wenn man weiß das etwas nicht gutes passieren wird und man fühlt sich dann so seltsam? So ist es mir an dem Tag ergangen. Allein die Tatsache, dass sie nicht mehr lebten, hatte mich verändert. Ich rannte nicht alleine die Treppen hoch um vor meinen Eltern da zu sein. Nein, dieses Mal ging ich zusammen mit ihnen hoch. Je mehr Treppenstufen ich hinter mir ließ, desto unwohler fühlte ich mich. Ich wollte ihn nicht sehen. Es war aber schon zu spät. Wir waren da und es gab keine Möglichkeit mehr einen Rückzieher zu machen. Er stand bereits an der Haustür. Diesmal aber ohne Frau und Kinder. Ich wollte ihn um keinen Preis in die Augen schauen und nein ich wusste nicht warum ich es nicht wollte, es war einfach so. Wie dem auch sei, ich gab mir Mühe nicht zu ihm hochzuschauen. Ich versuchte mir einzureden, dass seine Hausschuhe total interessant sind und bestimmt teuer waren. Es gelang mir nicht gerade gut, denn im nächsten Moment schaute ich zu ihm auf. "Na, was ist? Willst du nun mit reinkommen oder vor der Tür warten? Deine Eltern sind schon drinnen und warten auf dich", hörte ich ihn sagen. Ich antwortete nicht, sondern ging rein. Streng gesehen, war das die Antwort auf seine Frage. Ich ging wieder einmal durch den schmalen Flur, der mich an Bad und Küche vorbei ins Wohnzimmer führte. Diesmal aber mit dem Wissen, dass die Schmetterlinge gefangen und tot waren. Ich wollte nicht zu ihnen schauen. Ihn aber, wollte ich auch nicht anschauen. Ich entschied mich dafür, mich in sein Zimmer zu verkriechen und zu warten bis wir endlich nach Hause gehen. Ich wartete und wartete, aber niemand kam. Ich wartete immer noch darauf, dass jemand kam und die Tür auf machte und sagte, dass wir jetzt nach Hause fahren würden. Ich wusste nicht, wie lange ich hier drin auf seinem Bett saß. Es fühlte sich aber wie eine Ewigkeit an. Mir war langweilig. Ich wollte irgendetwas machen. Ich wollte nicht alleine sein. Ich legte mich auf sein Bett und rolte mich zusammen und murmelte: "Mama, komm endlich...". In diesem Moment wurde die Klinke runter gedrückt und die Tür öffnete sich. Ich schrak auf. Endlich! Mama hat mich gehört und wir gehen jetzt nach Hause, raus aus seiner Wohnung, dachte ich. Ich freute mich und schaute mit einem Lächeln auf dem Gesicht zur Tür. Im selben Moment, wo ich realisierte wer da genau stand, starb mein Lächeln. "Was?", sagte er mit einem grinsen auf dem Gesicht, "Dachtest du deine Mama holt dich und fährt dich nach Hause?" Ja,....ja das dachte ich. Er lachte. "Schau nicht so verdutzt. Bist du immer noch sauer wegen letztem Mal? Ja?" Ich antwortete nicht darauf und ich brauchte es auch nicht, denn er kam auf mich zu, kniete sich zu mir runter und sagt: "Hat dir deine liebe Mami denn nichts gesagt?" Was sollte sie mir denn sagen? "Deinem Gesicht nach zu urteilen sieht es nicht so aus. Also, dann ich werde es dir gerne sagen. Du wirst nicht nach Hause gehen. Du bleibst hier genau so, wie deine lieben Schmetterlinge." Er hörte auf zu sprechen um zu lachen. "Schau nicht so geschockt. Du bleibst zumindest über das Wochenende." Er kam näher, noch näher, viel zu nah. Er streckte seinen Arm aus um mein Gesicht zu ergreifen. Mama, hilf mir ich habe Angst. "Angst?" Konnte er etwa meine Gedanken lesen, fragte ich mich. "Klar kann ich das. Aber weißt du, du brauchst keine Angst zu haben. Immerhin bleibst du doch bei ihnen. Sie sind dann nicht mehr so einsam und ich bin es dann auch nicht mehr." Ich wollte, dass er mich los lässt. Ich mag es nicht, wenn er mich anfasst, wenn er mir so nahe kommt. "Wo sind Mama und Papa?", fragte ich ihn mit der Hoffnung, dass er mich losließ und Abstand nahm. Er ließ mich los, aber kam näher, flüsterte "Weg. Jetzt sind nur noch wir beide da." und legte seine Lippen auf meinen. Ich verstand nicht, was gerade passiert war. Ich wusste nicht was er machte oder was es bedeutete, aber ich wusste, dass ich es nicht mochte. Nein, ich verabscheute es und tu es immer noch. Ich wollte, dass er damit aufhört. Ich wollte mich von ihm lösen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Er war wie gelähmt. Ich war gelähmt. Meine Eltern waren weg und ich war alleine hier mit ihm. Seine Hände, die vorher an meinem Gesicht waren, wanderten nun runter zu meinem T-Shirt. Fass mich nicht an, schrie ich in  Gedanken und er löste sich von mir. "Das tat gut", sagte er und ließ mich alleine in seinem Zimmer zurück. Ich will zu meinen Schmetterlingen. Ich brauche euch. Wo seit ihr?... Meine Augen wurden feucht. Ich spürte, dass ich gleich anfangen würde zu weinen. Ich stand auf um das Zimmer zu verlassen und merkte, wie mir eine Träne runter kullerte. Meine Sicht war verschwommen und ich wusste nicht mehr genau was ich tat, aber das war mir auch egal. Ich wollte nur schnell zu der Wand. Zu der Wand, wo das Bild mit meinen geliebten Schmetterlingen hing. Ich sah sie an. Ich sah sie so lange an, bis mir schwarz vor Augen wurde und ich das Bewusstsein verlor.

Butterfly// #Wattys2015Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt