16 - Topsys Fluch

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„Da liegt eine Stadt in unmittelbarer Nähe des Äquators, gleich bei der Tageslinie, die wir demnächst passieren. Das könnte ein bedeutendes Zentrum gewesen sein. Es gibt da ausgedehnte technische Installationen, vielleicht einen Raumhafen. Die meisten scheinen inaktiv zu sein, wir empfangen nur vereinzelte elektromagnetische Signale. Sollen wir das ausprobieren?"

Noch bevor ich bestätigen konnte, leitete Aalyxh bereits den Sinkflug zur Oberfläche hin ein. Wir befanden uns noch auf der Nachtseite des Planeten, auf der nur einzelne künstliche Lichtquellen zu erkennen waren. Vermutlich handelte es sich nicht um Hinweise auf intelligentes Leben, sondern um solarbetriebene Energiezellen, die immer noch funktionierten. Gebannt beobachteten wir, wie die Dämmerungslinie auf dem Hauptschirm näher rückte.

Nichts ist so magisch wie ein Sonnenaufgang aus dem All beobachtet. Wie die ersten Lichtstrahlen die Atmosphäre aufglühen lassen, bis die tiefen Schatten von Bergketten mit den golden ausgeleuchteten Ebenen kontrastieren.

„Wunderschön," flüsterte Ben.

Hrrovr deutete auf eine dunkle Fläche rechts voraus. „Das'ss dort is'sst die Hauptans'ssammlung von Gebäuden."

Aalyxh korrigierte unsere Flugbahn, bis ein ausgedehntes überbautes Areal zu erkennen war. Die Gebäude wiesen geometrische Formen auf und waren in Dreiecksmustern angeordnet. Tetraeder in unterschiedlichen Größen und Pastellfarben dominierten. Ich hatte noch nie von einer Spezies gehört, die ausschließlich in Dreiecken zu bauen schien. Der Verdacht, dass wir es mit der vergessenen Stadt einer unbekannten Zivilisation zu tun hatten, wurde immer konkreter. Ob sie wohl drei Beine besaßen? Oder drei verschiedene Geschlechter kannten? Ich hoffte, dass wir eine Gelegenheit finden würden, mehr über die Erbauer der Pyramidenstadt zu erfahren. „Kannst du in der Mitte irgendwo landen, Lyxh?"

„Siehst du den großen dreieckigen Platz da drüben, gleich neben dem Turm?" Hijac deutete auf eine Stelle am rechten Rand des Schirms. „Dort scheint es eine Energiequelle zu geben."

„Einverstanden. Sehen wir uns das an."

Die Pilotin steuerte zielsicher die Struktur an, die wir ausgewählt hatten. Spätestens jetzt bestand kein Zweifel mehr, dass wir es hier mit den Überresten einer hochentwickelten Gesellschaft zu tun hatten. Die Gebäude wirkten auf den ersten Blick intakt, die Straßen dazwischen sauber und ordentlich angelegt. Als wir näher kamen, ließen sich die Grüngürtel entlang der Verkehrsachsen erkennen. Es gab Parks und eine Art Kanalsystem mit dunklem Wasser. Je näher wir kamen, desto deutlicher wurde aber auch, dass die Stadt verlassen war. Die Parks und manche Gebäude waren überwachsen von wild wuchernden Pflanzen. In zahlreichen Wänden klafften leere dreieckige Löcher anstelle der Fenster. Kleine Sanddünen bedeckten Teile der Straßen.

„Es'ss dürfte eine Weile her ss'sein, ss'seit hier jemand gelebt hat." Hrrovr sprach aus, was wir wohl alle dachten.

„Ja. Aber in den Kanälen fließt Wasser oder etwas Ähnliches, und die Pflanzen gedeihen, soweit ich das beurteilen kann." Ich klammerte mich an die Hoffnung, der Planet sei geeignet für die Brut der Tanencha. „Können wir die Atmosphäre testen?"

„Bin schon dabei." Hijac stieß eine Wolke von Düften aus, die ich nicht entschlüsseln konnte. Unter anderem erkannte ich Neugier und Faszination.

Aalyxh gab ein würgendes Geräusch von sich. „Kannst du deine Begeisterung etwas zügeln, Jac? Sonst kann ich keine sanfte Landung garantieren."

Der Karjkaner bemühte sich, seinen Ausbruch an Duftsprache unter Kontrolle zu bringen. Wie der Rest der Crew erinnerte er sich bestimmt noch gut an die Beinahe-Bruchlandung, die Aalyxh damals auf Karjk hingelegt hatte. Hijac hatte sich so darauf gefreut, seinen Heimatplaneten zu besuchen, dass er seine Duftdrüsen nicht mehr unter Kontrolle halten konnte. Seine geruchsintensive Mischung von Nostalgie, Vorfreude, glücklichen Erinnerungen und der Angst, es könnte sich etwas zum Schlechteren verändert haben, lenkten Aalyxh von ihrer Aufgabe ab. Als dann noch eine uns bisher unbekannte, besonders scharfe Duftnote dazukam, wurde es für die Yuuol zu viel und sie setzte das Schiff statt auf dem vorgesehenen Landeplatz im Vorgarten einer karjkanischen Villa ab. Wir lernten dabei, dass der unbekannte Duft auf Hijacs Abneigung gegenüber der fremdenfeindliche Einstellung einiger seiner Artgenossen zurückging. Und diese erlebten wir dann auch gleich aus erster Hand. Die Besitzer der Villa waren alles andere as begeistert, in ihrem sorgfältig gehegten Mosaikgarten ein Raumschiff vorzufinden.

Seither wagte niemand mehr, Aalyxhs empfindlichen Geruchssinn während einem heiklen Manöver über Gebühr zu belasten. Die Brücke war deshalb beinahe so ruhig und geruchsneutral wie ein Raumschiff nach dem Bruch seiner Vakuumsiegel, während unsere Pilotin die Topsy sanft im Zentrum des offenen, dreieckigen Platzes im Stadtzentrum absetzte.

Unsere Sensoren übermittelten ein knirschendes Geräusch, als sich unsere Landestützen in einer Schicht von Sand und Staub gruben und das Schiff zur Ruhe kam. Danach war nur noch der Wind zu hören, der um die abkühlende Hülle der Topsy strich.

Aalyxh liess die Kontrollen los und lehnte sich zurück. „Willkommen auf Topsy's Fluch, einer uralten Welt voller atemberaubender Wunder, unentdeckter Geheimnisse, unvorhersehbarer Gefahren und unendlicher Möglichkeiten — für jene, die sich trauen, das Schiff zu verlassen."

Der Fluch der Topsy-Turvy | Wattys 2021 GewinnerWhere stories live. Discover now