Neben ihr ein kleiner Spiegel,
Streck die Hand zum gold'nen Ring,
Fühle über dessen Siegel,
Öffne deinen Mund und sing'.

Fliege hoch mein kleiner Vogel,
Fliege hoch, soweit es geht,
Doch gibt acht mein kleiner Vogel,
Sinke, wenn der Wind sich dreht.




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Katos Knie gaben nach und er rutschte an der Wand des Turms nach unten. Er war den beiden gefolgt, um... ja, was hatte er eigentlich tun wollen? Er wusste es nicht mehr. Diese wunderschöne Stimme hatte es ihn vergessen lassen. Es fühlte sich an, als würde sie direkt sein Herz berühren. Es war einfach nur unglaublich.

Seine Augen schlossen sich und eine sanfte Ruhe kehrte in seinem Körper ein. Stumm lauschte er der Melodie, die aus dem Mund dieses Engels kam.

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In den darauffolgenden Jahren entwickelte sich Latíz zu einer atemberaubenden Schönheit. Niemand traute sich, sich ihm zu nähern oder gar ihn zu fragen, ob sie gemeinsam Zeit verbringen wollten. Er war das meistbegehrte Wesen des Dorfes. Der Einzige, der ihm nahekommen durfte, war sein Wachhund Dayan. Dieser hatte sich zu einem stattlichen Burschen entwickelt, der jeden Tag trainierte, um stärker zu werden.

Die beide hatten eine untrennbare Verbindung, die Neid und Eifersucht verursachte, wo sie auftauchten. Doch wer dachte, dass Dayan der Starke von beiden war, der irrte sich gewaltig. Latíz bewegte sich mit einer Geschwindigkeit und einem tödlichen Anmut, die den Gegner ausschalteten, bevor dieser auch nur an eine Gegenwehr denken konnte.

In diesem Moment erfüllten lautes Gekreische und Anfeuerungsrufe, den Übungsplatz. Warum? Lasst uns etwa eine Stunde zurückgehen.

Ein neuer Schüler war an ihre Schule gekommen. Er wurde freundlich aufgenommen und hat sich auch nicht dumm angestellt. Naja, bis zu diesem Moment. Als er Latíz erblickte, stieß er nur ein Pfeifen aus.

„Wow, du bist ja eine Schönheit. Wollen wir uns nachher vielleicht treffen und was unternehmen? Ich pass' auch gut auf dich auf, versprochen." Schlagartig war es still.

Latíz drehte sich um und schaute ihn mit grimmigem Gesicht an. Dayan machte Anstalten, auf den Neuen zuzugehen, doch Latíz hielt ihn auf. Der Neue zog die Augenbrauen hoch, lässt der Große sich etwa von dem Kleinen herumkommandieren?

„Hab' ich bei was gestört? Seid ihr zwei zusammen?"

Schwerer Fehler. Ein Raunen ging durch die Menge und der Neue wurde nervös. Latíz kam auf ihn zu.

„Wenn deine Frage war, ob ich Dayans Schwanz lutsche, dann lautet die Antwort nein. Genauso wenig wird dir dieses Vergnügen zukommen. Also rate ich dir, deine nächsten Worte mit Bedacht zu wählen."

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Diese Worte passten überhaupt nicht zu seinem Gesicht. Er blufft doch nur.

„Ach ja, da siehst du aber ganz anders aus." Und das wars. Dayans Gesichtsausdruck sprach Bände.

Ein Lächeln erschien auf Latíz Gesicht.

„Folge mir." Dann ging er nach draußen auf den Trainingsplatz. Ahnungslos folgte ihm der Neue und wurde, bevor er reagieren konnte, von einer Faust nach hinten geschleudert.

„Dayan, greif ein, wenn es zu gefährlich wird", sagte er mit melodischer Stimme und glühenden Augen zu seinem Wachhund, während er seine Finger knacken ließ. Dieser nickte nur.

Fassungslos schaute der Neue nach oben. Wie konnte er mit dieser Statur nur so einen kräftigen Schlag ausführen?

„Steh' auf, Arschgesicht."

Das ließ er sich nicht erneut sagen, denn er war sauer. Er rieb sich seine schmerzende Wange und nahm einem Angriffsposition ein, während sein Gegenüber lässig dastand. Noch einmal würde er sich nicht überraschen lassen. Also nutze er die Gelegenheit und griff an. Mit eleganten Bewegungen wich sein Gegner aus.

Nach einigen Minuten sagte dieser mit Enttäuschung in der Stimme: „Ist das schon alles? Wie langweilig."

Fassungslos schaute er nach oben. Er hatte ihn nicht einmal erwischt, wie war das möglich?

„Tíz, hör' auf zu spielen. Bring es zu Ende", sagte sein Wachhund.

Spielen?

In der Tat hatte Latíz mit dem Neuen gespielt. Das war nun vorbei. Er nahm Anlauf, täuschte links an, drehte sich nach rechts, packte dessen Arm, dreht sich ein und in einem hohen Bogen flog er durch den Schulterwurf über den kleineren Dämon und krachte mit dem Rücken auf dem Boden. Die Luft wurde durch den Aufprall aus seinen Lungen gepresst.

Unsanft wurde er nach oben gerissen und ein zweiter Faustschlag traf seinen Kiefer. Der Neue schlug um sich, doch sein Gegner war schon längst nicht mehr dort. Sein Arm wurde gepackt und er wurde ruckartig auf den Bauch gedreht, während sein Arm in eine Richtung verdreht wurde, die nicht seiner natürlichen Bewegung entsprach. Ein stechender Schmerz durchzog seinen Arm, dann war der Druck plötzlich weg.

Er drehte den Kopf nach hinten und sah, wie der Wachhund Latíz hochgehoben hatte und nun wegtrug. Dieser zappelte und beschimpfte ihn.

„Lass' mich los, du Sack!"

„Tíz es reicht, er hat seine Lektion gelernt", antwortete Dayan.

„Noch nicht, ich-" Dann schlug Dayan ihm eine runter und ein Raunen ging durch die Reihen.

Latíz schaute zu seinem besten Freund. Dann lächelte er und trat ihm mit einem Ruck die Füße weg. Dieser fing sich problemlos ab und rollte sich aus dem darauffolgenden Schlag.

„Das funktioniert bei mir nicht, Tíz", witzelte Dayan, der wusste, dass sein bester Freund nicht Ernst machte.

„Du bist so ein Spielverderber", schmollte er.

„Gut, ich habe keine Lust mehr, lass' uns gehen."

Dayan nickte und die beiden gingen, ohne den zugerichteten Neuen auch nur noch einmal anzuschauen. Sie waren in ihrer eigenen Welt. Die anderen schauten ihnen nach. Ihre Freundschaft war einfach nur faszinierend, denn mehr war es nicht. So blieb weiter die unterschwellige Hoffnung, dass jemand die undurchdringliche Mauer der Prinzen einreißen würde.

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Es war sein zweiundvierzigster Geburtstag, an dem Latíz' Leben sich ändern sollte. Er feierte gerade mit seiner Familie und Dayan bei einem gemütlichen Essen. Es gab verschiedenste Köstlichkeiten, die sein Vater aufgetrieben hatte. Seine Mutter sang gerade ein Lied und Latíz stimmte mit ein.
Die beiden Stimmen erfüllten den Raum mit wunderschönen Klängen, die auch das größte Monster beruhigt hätten.

„Langsam wirst du erwachsen, mein Sohn, und musst dich für einen Weg entscheiden. Gibt es etwas, das du nach deiner Graduierung tun möchtest?", fragte ihn sein Vater mit Freude im Gesicht.

Er hatte sich schon über einiges Gedanken gemacht und schaute zu Dayan.

„Das werde ich euch nach heute Abend verraten", sagte er mit einem Grinsen, während Dayan wissend schwieg. Ja, heute würden sie es durchziehen. Dafür hatten sie lange hingearbeitet.

„Kommt heute Abend zu der Lehranstalt", sagte Latíz mit einem geheimnisvollen Lächeln.

„Dayan, wir müssen los." Sein bester Freund nickte nur, es wurde Zeit die Sache in die Endphase zu leiten. Nachdem sie es jahrelang vergeblich versucht hatten, würde es heute Abend endlich so weit sein.

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Die Freundschaft zwischen Latíz und Dayan reicht tief.

Was könnte das Gespann geplant haben?

Eure Mausegöttin

Nix - ein schicksalhafter Kuss (BAND 3) ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt