bye bye [su]

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SU = Sterblichen-Universum


Die Sonne lugt schüchtern hinter den Schäfchenwolken hervor. Die Luft ist warm und eine laue Frühlingsbrise pfeift um Wills Nase.

So schön der Tag auch sein mag, die Atmosphäre hier am Bahnhof ist alles andere als schön. Der Bahnsteig ist vollkommen überfüllt mit aneinandergedrängten Menschen, die herumbrüllen oder sich böse in den Boden starren.

Wie kann man an einem so schönen Tag keine gute Laune haben? 

Will möchte sich von dem schlechten Karma der Leute hier nicht anstecken lassen, daher hat er sich seine großen Kopfhörer mit dem himmlischen Sound aufgesetzt. Er hat ewig für sie gespart, sich immer Geld zurückgelegt, dass er bei seinem Job im Plattenladen verdient.

Und von dieser Arbeit kommt er auch gerade.

Er lässt seinen Blick über die Menschenmenge streifen. Plötzlich blinzelt der Blauäugige irritiert. Nochmal genauer hinsehen. Da, auf dem Dach des Wartehäuschens hat es sich jemand bequem gemacht.

Tatsächlich. Ein junger Mann, höchstens ein bisschen älter als Will selbst liegt auf dem flachen Dach, lässt die Beine über den Rand baumeln und hat anscheinend die Augen geschlossen.

Sein schmaler Oberkörper senkt sich regelmäßig, sodass es wirkt, als würde er schlafen, aber seine Füße, die in schwarzen Bikerstiefel stecken, schwingen vor und zurück und krachen gegen die Wand des Häuschens. Ein Wunder, dass sich noch niemand beschwert hat und der junge Erwachsene dort noch so entspannt liegen kann.

Will reckt den Hals, um einen Blick auf das Gesicht des Dach-Schläfers zu erhaschen, aber das scheitert an der Höhe des Häuschens und der ins Gesicht gezogenen Kapuze. Aber was will er eigentlich? Vielleicht ist das ja auch ein Typ, der völlig auf Drogen ist und deswegen da oben pennt.

Doch wenn Will ehrlich mit sich selbst ist, fasziniert ihn die Ruhe des Kerls. Er lässt sich keineswegs von der Hektik und schlechten Laune der Menge anstecken und das sogar ohne Kopfhörer und pfeift auf die Regeln. Denn Will ist sich sicher, auf das Dach darf man eigentlich nicht. Und vor allem nicht schlafen.

Der Zug fährt ein und kommt quietschend zum stehen. Trotz des guten Noise Cancelling seiner Kopfhörer kann Will das wahrnehmen. 

Nur schwer kann der blonde Neunzehnjährige seinen Blick von der interessanten Person auf dem Dach abwenden, aber schließlich schafft er es doch.

Will stößt sich aus seiner lehnenden Position vom Pfeiler ab und schlendert zum Zug. Dabei schiebt er sich die eine Seite seiner Kopfhörer hinter die Ohren, damit er es mitbekommt, wenn er angesprochen wird.

Die Türen öffnen sich und die ganzen Passagiere drängeln sich keifend heraus. Will verdreht daraufhin nur die Augen und wartet, bis das Schlimmste vorbei ist. Dann steigt er mit einem kleinen Hopser über den Abgrund (vor dem er immer noch ein wenig Angst hat) in den Zug.

Er läuft durch den ersten Waggon, doch dort ist kein einziger Platz mehr frei.

Will spaziert gerade durch die Verbindungstür, als das Lied zu „Here comes the sun" von den Beatles wechselt.

Automatisch muss er lächeln. Er liebt dieses Lied.

Dabei hat der Blonde gar nicht bemerkt, wie er schon den halben Waggon durchquert hat und bei einem Doppelsitzplatz stehen geblieben ist, bis eine angenehm helle Stimme ihn aus der Musik reißt.

„Klar, der Platz ist frei", sagt der Mann auf dem Fensterplatz und deutet grinsend mit einer einladenden Geste auf den Sitz neben sich.

Wills zuvor verträumtes (und wahrscheinlich ziemlich belämmertes) Lächeln verwandelt sich in ein Lachen. 

solangelo - one-shots Where stories live. Discover now