1. ~ Partylaune

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~ Carlos ~

Supergut gelaunt lief ich über den Bürgersteig. Ich pfiff dabei in so einer Lautstärke vor mich hin, dass ich ziemlich blöd angeglotzt wurde. Aber es war mir gerade so was von egal, was die anderen Leute über mich dachten.

Ich hatte einfach mal wieder eine Superlaune, was an der Party lag, die heute Abend stattfand. Ich hatte mich schon die ganze Woche darauf gefreut und heute war es endlich so weit. Mein bester Freund Luca hielt es fast nicht mehr aus mit mir, weil ich von morgens bis abends über nichts anderes mehr redete, als diese Party.

Das wird echt die Party des Jahres werden!

Sie fand auf einem stillgelegten Teil des Hafens statt, was eigentlich strengstens verboten war, aber gerade das hatte einen besonderen Reiz auf mich. Bei Klausuren spicken, im Einkaufszentrum was mitgehen lassen, alte Güterzüge vollsprayen oder eben Party in verbotenem Gelände, all das liebte ich.

Dabei hatte man immer diesen besonderen Kick, ob man erwischt wurde oder nicht. Bis jetzt war ich noch nie erwischt worden. Weder beim Spicken, noch beim Klauen.

Das war eigentlich echt ein Wunder. Ich glaube, ich habe noch nie eine Prüfung ohne zu spicken geschrieben und ich verbrachte fast jede Samstagnacht damit, mit Luca irgendwelche Wände oder Züge am Bahnhof vollzusprayen.

Und auch im Einkaufszentrum nahm ich alles mit, was sich problemlos rausschmuggeln liess. Dass ich noch nie erwischt worden war, war einfach reines Glück. Ich bin eben ein Glückspilz!

Voller Tatendrang pfiff ich den Song ,,Waves" mit, der jetzt in voller Lautstärke aus meinen Kopfhörern drang. Am liebsten hätte ich dazu getanzt, aber das ging etwas schlecht auf einem Bürgersteig voller Leute. Ausserdem wurde ich schon genug angeglotzt wegen meinem Gepfeife, da liess ich es lieber sein. Ich würde heute Abend schon noch genug vom Tanzen kriegen.

Endlich bog ich in meine Strasse ein und joggte auf unseren Wohnblock zu. Ich hatte nur eine knappe Stunde Zeit um mich fertigzumachen, denn Luca wollte um halb fünf losfahren, damit wir rechtzeitig dort waren.

Eine Stunde würde knapp werden. Ich musste duschen, mir die Haare machen und mir was zum Anziehen raussuchen. Ich hatte noch keinen blassen Schimmer, was ich anziehen sollte. Es musste etwas Warmes, aber natürlich trotzdem etwas Cooles sein. In meinem Kopf ging ich schon mal meinen gesamten Kleiderschrank durch.  

Warum hatte ich mir das nicht schon gestern überlegt? Man, ich bin doch so blöd! Jetzt musste ich mich echt beeilen, sonst fuhren Luca und die anderen noch ohne mich los.

Im Zick Zack stürmte ich zwischen den Autos durch, die kreuz und quer vor unserem Block geparkt waren. Dabei fiel mir plötzlich ein Polizeiwagen ins Auge.

Scheisse, was machten die Bullen hier? Hatte das was mit mir zu tun?

War ich letzten Samstag beim Sprayen gesehen worden? Nein, das konnte eigentlich nicht sein, dann wären die Bullen viel früher hier aufgekreuzt und nicht erst eine Woche später.

Konnte es sein, dass ich am Mittwoch, als ich die Air Max aus diesem Schuladen geklaut hatte, gefilmt worden war? Hatte der Laden irgendwo eine Kamera, von der ich nichts gewusst hatte? Scheisse, wenn das der Fall war, und wenn Dad davon erfuhr, war ich geliefert. Er würde mich umbringen, wenn er wüsste, was ich in meiner Freizeit so trieb.

Etwas zögernd warf ich einen Blick auf die weissen Air Max an meinen Füssen. Waren sie es wirklich wert gewesen, dass ich erwischt wurde?

Aber vielleicht waren die Bullen gar nicht wegen mir hier. Es gab ja noch neun andere Wohnungen in unserem Block. Vielleicht hatte ja der alte Mann neben uns Steuern hinterzogen, oder die drei Hippies aus dem ersten Stock waren mit Gras erwischt worden.

Was bildete ich mir eigentlich ein? Die waren bestimmt nicht wegen mir hier.

Zielstrebig setzte ich meine Füsse wieder in Bewegung und steuerte auf den Eingang zu. Kurz bevor ich aufschloss, kamen mir aber doch wieder die Zweifel. Was, wenn die doch wegen mir hier waren?

Nein, die sind nicht wegen dir hier! Sei nicht so paranoid! Redete ich mir selbst zu, um mich wieder zu beruhigen. Es half aber herzlich wenig.

Als ich es endlich geschafft hatte, die Tür aufzuschliessen, rannte ich in einem Mordstempo die Treppen in den zweiten Stock hinauf. Normalerweise nahm ich immer den Fahrstuhl, weil ich zu faul für die Treppen war, aber jetzt hatte ich einfach keinen Bock, auf das langsame Ding zu warten. Und ausserdem musste ich etwas Adrenalin loswerden.

Also setzte ich meinen Hintern in Bewegung und joggte die erste Treppe hinauf. Man, wie ich diese Treppe doch hasste!

Die Stufen waren alle unterschiedlich hoch, sodass ich schon ein paarmal gestolpert und auf die Schnauze geflogen war. Auch heute hätte es mich fast wieder erwischt.

Ich konnte mich gerade noch fangen, sonst wäre ich die ganze Treppe runtergestürzt. Wäre sicher ein bisschen schmerzhaft gewesen.

Fluchend kämpfte ich mich weiter nach oben vor. Als ich im ersten Stock angelangt war, hörte ich, wie oben eine Tür aufging.

Lautes Stimmengewirr ertönte. Naja, eigentlich war es kein Stimmengewirr, sondern eher Gezeter und Geschrei.

Was war denn hier los? Hatte das etwas mit dem Polizeiwagen draussen zu tun? Scheisse, hoffentlich waren das keine Bullen!

Sollte ich abhauen und mich irgendwo verstecken, bis die weg waren? Nein, wenn mich jemand sah, kam das echt verdächtig rüber, wenn ich vor Bullen davonlief, die mich nicht mal angesprochen hatten.

Also, lieber Augen zu und durch. Zögernd setzte ich einen Fuss auf die unterste Stufe der nächsten Treppe.

Die Stimmen wurden immer lauter. Eine Frau schrie fast um ihr Leben und ein Typ versuchte vergeblich, sie zu beruhigen. Ausserdem schrie noch ein Kind.

Heilige Scheisse! Was war hier bloss los?

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und das ungute Gefühl in meinem Magen wurde immer stärker. Am liebsten hätte ich auf der Stelle Kehrt gemacht und mich draussen hinter einem Auto verschanzt. Aber meine Neugier war stärker und ich zwang mich, einen Fuss vor den anderen zu setzten.

Ich hörte schwere Schritte, die die Treppe runterpolterten und das Geschrei der Frau und des Kindes wurde immer lauter. Schliesslich erschien ein breitschultriger Bulle in Uniform am oberen Treppenabsatz.

Er fuchtelte wild mit den Händen herum und versuchte wahrscheinlich, die Frau zu beruhigen. Es nützte aber einen feuchten Kehricht.

Die Frau wurde immer lauter und schrie, kreischte und fluchte in einer Lautstärke herum, dass bestimmt sogar die drei Hippies wach wurden, die immer den Tag durch pennten. Schliesslich erschien noch ein Bulle und dann die Frau, die links und rechts jeweils von einem Bullen festgehalten wurde.

Mir blieb fast das Herz stehen, als ich sie erkannte.

Es war meine Mutter!

Sie hatte ein tränenverschmiertes Gesicht und ihre schwarzen Haare, die sonst immer zu einem Dutt hochgesteckt waren, fielen ihr wild ums Gesicht und standen in alle Richtungen ab. Sie weinte nonstop und flehte die Bullen um irgendwas an.

Ich war wie erstarrt stehen geblieben und sah dem Geschehen vor mir zu. Mom war die Erste, die mich entdeckte.

Sie starrte mich geschockt an und schrie: << Carlos, hau ab! >>

Ich war nicht fähig, irgendwas zu machen.  Meine Beine fühlten sich an wie Bleiklötze und ich konnte mich kein Stück bewegen.

Im Nu war ein Bulle bei mir und hielte mich fest. << Du bleibst mal schön hier. >>, fauchte er mich an.

Mom schrie und kreischte, dass er die Finger von mir lassen sollte, aber er krallte sich nur noch mehr in meinen Oberarm, sodass es echt schmerzte.

Hinter Mom entdeckte ich Cathy, meine Zwillingsschwester, die meinen schreienden Bruder Ruben auf dem Arm hatte. Ihr Gesicht war tränenverschmiert und an ihre Beine klammerte sich meine kleine Schwester Luiza, die ebenfalls weinte.

Was war hier bloss los, verdammt nochmal?

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