7 - ... in die Traufe

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Ein kehliges Yuuol-Schnauben war die einzige Antwort. Zumindest griffen nun die Stabilisatoren und verdrängten das Gefühl, die Topsy werde jeden Moment auseinanderbrechen und uns ungeschützt dem Vakuum überlassen. „Gibt es Neuigkeiten von unseren Kollegen da draußen?"

Hrrovr zischte verneinend, und ein blumiger Geruchsausbruch der Erleichterung sagte mir, dass auch Hijac sie nicht mehr lokalisieren konnte. Zumindest dieser Teil meines Plans hatte also funktioniert. Ich lehnte mich zurück, um mir Gedanken über die nächsten Schritte zu machen, als Bens melodiöser Anruf mich aus meiner eben erst aufblühenden Wolke von Enthusiasmus riss. „Cap, die Stabilisatoren fressen viel zu viel Energie. Entweder müssen wir in spätestens zwanzig Klicks unsere Reserven regenerieren, oder wir stellen die Stabilisierung ein, bevor ein irreparabler Schaden am Mellow-Speicher entsteht."

„Gibt es die Möglichkeit, dass wir den Sturm ausreiten statt dagegen anzukämpfen?" Ich hatte irgendwo in einer obskuren Bar am äußeren Rand gehört, dass sowas möglich sein sollte. Allerdings war das in meinen Schmugglertagen gewesen, und der grüngerippte Typ, der die Geschichte erzählte, wirkte nicht gerade wahrheitsliebend. „Wir müssten den Energieverbrauch auf ein Minimum reduzieren und die Energie der Ionen, die auf den Rumpf prallen, zum Aufladen der Speicher verwenden. Geht das?"

Hrrovrs Schuppen rasselten synchron mit dem Klicken seiner Klauen auf der Tastfläche seiner Konsole. „Es'ss wird mehrere Zyklen dauern, bis'ss uns'sser Energies'sspeicher wieder aufgeladen is'sst. Aber grunds'ssätz'sslich is'sst es'ss möglich, wenn wir dem schwarz'ssen Loch aus'ss dem Weg gehen."

„Der Ritt wird allerdings holprig." Hijac erwähnte diese offensichtliche Tatsache beinahe gleichgültig, ohne darauf hinzuweisen, dass er am wenigsten darunter leiden würde. „Zumindest sollte der Sturm uns weiter von der Singularität wegtragen."

„Sollte?" Mir gefiel sein Gebrauch des Konjunktivs nicht.

Der Hauch eines beruhigenden Zitronendufts streifte meine Nase. „Alle bekannten Parameter sprechen dafür. Aber wir haben es hier mit einem schwarzen Loch zu tun. Deshalb bleibt ein gewisser Prozentsatz an Unsicherheit in der Gleichung."

„Ich hoffe bloß, der Prozentsatz ist tief genug, um das Risiko einzugehen. Was denkst du, Lyxh, bist du bereit?"

„Einverstanden. Lasst uns sehen, was passiert. Ich schalte die Maschinen aus — jetzt."
Ungewohnte Stille füllte die Brücke. Aalyxh streckte ihren Rücken und rollte ihre vier Augen in einer dramatischen Demonstration von Fatalismus. „Wenn ich dran denke, dass wir nur hier sind, weil du in diesem aalglatten Gelenianer in unserer Klasse vernarrt warst. Wohin hat uns das gebracht? Wir surfen gerade auf einem Ionensturm unter der Nase des unberechenbarsten schwarzen Lochs der Galaxis, wo sich ein intelligentes Wesen nicht mal in einem Fiebertraum hinverirren würde..." Sie verstummte, den Blick wieder auf ihren Bildschirm gerichtet. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass meine alte Freundin gerade ziemlich sauer auf mich war.

Während das Schiff Geschwindigkeit verlor, wurde das Schütteln beinahe erträglich. Ich versuchte, die Verspannung aus meinen verknoteten Nackenmuskeln zu massieren. Bevor  meine Übungen einen spürbaren Erfolg zeigten, fiel die Topsy, immer noch gefangen in der Gewalt des Sturms, in eine torkelnde, spiralförmige Bewegung. Ich klammerte mich an die Sessellehnen und versuchte, diese neue Herausforderung an meinen Gleichgewichtssinn zu verarbeiten.

„Ugh." Ben kletterte die enge Stiege vom Maschinenraum hoch. Halbwegs auf der Brücke hielt er inne, die Finger um den Handlauf geklammert, seine Knöchel noch bleicher als sein Gesicht. Er wirkte wie ein blaugekleideter Affe mit Haarausfall. „Ich finde nicht, dass das eine wesentliche Verbesserung ist im Vergleich zum Bau der Tanencha." Mit einer Anstrengung hievte er sich die letzten beiden Stufen hinauf und ließ sich in einen freien Sessel fallen. Einen Moment lang fummelte er mit den Gurten herum, bevor er sich anschnallte. 

„Versuch das Positive zu sehen, Ben. Im Gegensatz zur Brutkammer der Tanencha ist unser Schiff absolut schleimfrei." Mein Versuch, die Stimmung aufzulockern, erntete mir einen verzweifelten Blick aus seinen braunen Augen.

„Das kann sich jeden Moment ändern — wenn diese Korkenzieher-Behandlung nicht aufhört." Der verräterisch grünliche Hauch auf seinen Wangen weckte mein Mitleid. Deshalb verzichtete ich darauf, mich nach der Bedeutung seiner Metapher zu erkundigen.  Er rieb sich mit dem Handrücken über den Mund. „Respektive, es hätte sich schon geändert, wenn mein Magen nicht leerer wäre als der Raum da draußen."

„Dagegen gibt es eine ausgezeichnete Kur." Der scharfe Tannennadelduft freudiger Erwartung ließ mich auflachen. Essen hat einen hohen Stellenwert in der karjkanischen Kultur. Hijac bildete da keine Ausnahme. Auf seinen acht spindeldürren Beinen huschte er bereits Richtung Kombüse, völlig unberührt von den verrückten Bewegungen des Schiffes.

Hrrovr drehte seinen Stuhl in meine Richtung, seine smaragdfarbenen Kopfschuppen neugierig aufgerichtet. „Was'ss ich schon immer gerne wiss'ssen wollte, Captain. Was'ss is'sst das'ss für eine Geschichte mit den Ss'severills'ss?"

Ich sandte ihm einen hoffentlich vernichtenden Blick. „Nichts Besonderes."

Aber ein Rss'h'ss liess sich nicht von einem Blick abschrecken. Zumindest nicht, wenn er von mir kam. „Wir haben gerade nichts'ss Anderes'ss zu tun, Captain. Vielleicht vertreibt uns'ss die Geschichte die Z'sseit, bis'ss uns'ssere Energie wieder regeneriert is'sst."

Verzweifelt suchte ich nach einer Ausrede. Inzwischen waren sechs weitere Augen auf mich gerichtet. In denjenigen von Aalyxh glaubte ich, Schadenfreude zu erkennen, in Bens bloß Neugier. Ich schluckte leer. Solange die Topsy ein hilfloser Spielball des Ionensturms war, konnte ich schlecht behaupten, ich hätte gerade etwas Dringenderes zu tun. Mir blieb nur ein Kurs, und er führte geradewegs in dieses vermaledeite Wurmloch der Wahrheit hinein.

Der Fluch der Topsy-Turvy | Wattys 2021 GewinnerWhere stories live. Discover now