Kapitel 88

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Wir durften nicht mit Louis in die Behandlung. Zwei Stunden lang warteten wir im Warteraum, nur damit ein Arzt rauskam und uns nach Hause schickte, da sie Louis über Nacht dort behalten wollten und wir nicht zu ihm durften. Rein aus Sicherheitsgründen.

Mr Carotins musste einige Papiere ausfüllen und wies uns an, nach Hause zu fahren. Für den Tag waren wir ohnehin von ihm entschuldigt und keiner von uns könnte sich auf die Schule konzentrieren, wenn wir Louis nicht mal mehr sehen durften.

Jess zitterte immer noch am ganzen Körper, während wir zum Bus liefen. Ich wollte irgendwas tun, um sie zu beruhigen, doch mir fiel einfach nichts ein. Ich wollte ihr nicht die Schuld geben, ich wusste, jeder machte Fehler, doch wenn man weiß, dass der Freund eine Aggressionskrankheit hat, sollte man ihm nicht fremd gehen. Man sollte schlau genug sein, dieses Risiko nicht einzugehen.

Doch ich würde ihr keine Vorwürfe machen. Stattdessen legte ich ihr einfach nur einen Arm um die Schultern und drückte sie an mich, bis ihr Schluchzen in Justins Hemd unterging. "Du riechst genau wie er", stellte Jess irgendwann fest. Ein leicht belustigter Unterton schwang hinter der vielen Trauer mit, die ihre Stimme durchbrach und auch ich konnte mir endlich so was wie ein Lächeln abringen. "Wenn du ihn siehst, sag ihm, dass ich ihm mehr als dankbar bin, dass er dazwischen gegangen ist. Er wird nicht mit mir reden wollen, das verstehe ich, Zayn ist sein bester Freund, aber ich bin ihm dennoch dankbar!" Schluchzend vergrub sie ihr Gesicht erneut an mir.

Sie hatte recht, Justin hatte uns allen einen riesigen Gefallen getan. Doch in erster Linie hatte er es wegen mir gemacht. Ehe ich eine Rolle in seinem Leben spielte, hatte er Louis genau so behandelt wie auch Zayn es getan hatte. Es wäre ihm egal gewesen; so kalt konnte er sein. Doch heute tat er es für mich. Er stellte sich gegen seinen besten Freund, weil er mich nicht weinen sehen wollte.

"Ich sag's ihm", antwortete ich Jess ehrlich. Denn Justin hatte sowieso noch ein Dankeschön diesbezüglich verdient. Es waren Momente wie diese, in denen ich realisierte, wie viel Glück ich mit ihm wirklich hatte. Justin hatte mein Leben so sehr ins Positive verändert, wie nichts sonst es hätte schaffen können. Es fiel mir schwer Jess alleine zu lassen, als wir schließlich an meiner Haltestelle ankamen, doch wenn ich nach allem, was gestern passierte, nicht sofort nach Haus kam, würden meine Eltern mich wohlmöglich noch im Garten verscharren, wo ich keine weitere Schande über diese Familie legen konnte. Also drückte ich sie ein letztes Mal an mich und stieg dann aus.

Eine leichte Brise strich über meine Arme hinweg und legte sich um meinen Rücken. Jess hatte recht, ich roch nach Justin. Wenn der Wind aufkam, konnte ich ihn um mich riechen, als sei er bei mir. Der Gedanke gefiel mir ausgesprochen gut; ich leibte seinen Geruch. Wir hatten uns gerade Mal vor wenigen Stunden gesehen, doch jetzt gerade fehlte er mir. Ich wollte ihn in die Arme schließen und mir anhören, alles würde gut werden. Ich wollte, dass er mich küsste, bis ich vergaß, wie viele Dramen sich in den letzten vielleicht fünfzehn stunden abgespielt hatten.

Doch erst einmal musste ich mich dem alten Drama meiner Eltern wieder widmen. Und ob ich es nun zugeben wollte oder nicht, ich hatte einwenig Hoffnung, sie würden Justin vielleicht eine Chance geben, wenn ich sie davon überzeugen konnte, wie nett er doch war.

Diese Hoffnung wurde jedoch schnell zunichte gemacht, als ich Sowohl das Auto meiner Mum als auch das meines Dad's in der Einfahrt erblickte. Wenn er  heute extra Zuhause geblieben war und ausschließlich Papierkram erledigte, bedeutete dies, dass sie beide auf mich warten wollten und mich zusammen zur Rede stellten.

Ich war nicht sonderlich erpicht darauf, doch ich wollte es dennoch schnell hinter mich bringen. Mit tiefen Atemzügen näherte ich mich der Haustür und versuchte nicht allzu sehr zusammenzuschrecken, als diese wie erwartet vor mir aufschwang und meine Mum, mit wie immer perfekt Sitztender Frisur zum Vorschein kam.

"DU bist früh!", stellte sie fest. Missbilligend ließ sie ihren Blick über mein Oberteil wandern und ich war zum ersten Mal froh, dass es Schwarz war. So konnte sie keine möglichen Blutflecken erkennen, die sich auf diesem befinden konnten. "Ja, wir konnten früher gehen", murmelte ich die halbe Wahrheit. Vermutlich würde sie noch heute bei der Informationsveranstaltung die Wahrheit erfahren, doch wenn sie es in der Öffentlichkeit taten, konnten sie mir zumindest keine Gewalt antun.

"Komm rein!" Befehlerisch wie immer, wenn sie ernsthaft sauer war, trat sie zur Seite und ließ mir kaum Zeit, Tasche abzustellen und Schuhe auszuziehen, ehe sie mich zur Küche drängte. Ich hatte recht, dass sie zusammen auf mich warteten. Ohne ersichtlichen Grund saß mein Vater auf einem Stuhl, nur einen Kaffee vor sich auf dem Tisch und die Brille, die er sonst nur zum Lesen trug, auf der Spitze seiner Nase.

"Setzt euch!", wies er uns beide streng an. Meine Mum tat mir beinah einwenig leid, von ihm stets so behandelt zu werden, doch sie war selbst schuld, sich so einen Mann zu suchen. Sie selbst war es, die sagte, Liebe sei unwichtig und nur für verblödete. Man solle sich einen Mann holen, der wie mein Vater war, um eine abgesicherte und angesehene Zukunft zu haben. Zum verrecken! Ich würde lieber mit Justin in einer Gosse landen als mit irgendwem anderen, der auch nur im endferntesten meinem Dad ähnelte, zusammenzusein.

"Allison, ich verlange, dass du bei diesem Gespräch Ruhe bewahrst und darauf hörst, was wir dir sagen!" Gefährlich ruhig legte er seinen Blick direkt in meine Augen, bis ich das Bedürfnis bekam, mich vor ihm zu verstecken. Ich traute mich nicht mal mehr zu nicken. Stattdessen saß ich stocksteif da und wartete darauf, dass er fortfahren würde.

"Zunächst einmal will ich betonen, wie glücklich ich bin, dass wir kamen, ehe Schlimmeres hätte passieren können. Justin Bieber ist ein Nichtsnutz aus dem Norden, der sich nicht mal mehr auf unserer Seite der Stadt frei bewegen sollen dürfte. Ich weiß nicht, wie er es auf diese Schule geschafft hat, doch es interessiert mich auch nicht! Er hat in meinem Haus und in der Nähe meiner Familie nicht zu sein. Daher liegt es nah, als was für eine Schande wir–und insbesondere ich–es erachten, wie weit du bereits mit diesem Jungen gegangen bist." Er ließ einen Moment Pause, um die Worte bei mir wirken zu lassen, doch dabei wusste er nicht, dass ich weitaus mehr getan hatte, als er annahm, und dass ich nichts von all dem bereute und somit seine Masche nicht zog.

"Solange niemand bisher davon mitbekommen hat, ist alles gut. Wir können über ein Missgeschick hinweg sehen, solange du versprichst, dass du deine rebellische Phase nun ein für alle Mal hinter dir lässt und mit diesem...Mist aufhörst!" "Hat es denn jemand mitbekommen?", warf meine Mum ein. Ohne einen von ihnen anzuziehen, schüttelte ich den Kopf. "Nein,  es ist ja noch gar nichts passiert, was jemand hätte mitbekommen können!"

Und somit zerstörte ich mir die letzte Chance, die ich noch vermutete, jemals eine normale offene Beziehung mit Justin führen zu können, bei der er auch mal hier übernachten könnte, anstatt sich auszuschleichen, sobald meine Eltern kamen.

Changes~Open Up Our Hearts (Justin Bieber ff) (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt