Family first

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"Und was soll ich deiner Meinung nach tun?! Denn anscheinend ist alles was ich mache falsch!"
Verzweifelt reibt sich der Mann die Augen, sein Kopf schmerzt höllisch.
Er wartet auf eine Antwort, die niemals kommen wird. Von wem denn auch? Von seinem verstorbenen Bruder, den er immer wieder in Halluzinationen sieht? Selbst er hat ihn in diesem Moment verlassen.
Er hat ihn verlassen, sowie alle es tun.

Das Licht, welches schwach durch die dreckigen Fenster fällt, versetzt ihm ein scharfes Stechen in der Stirn, weshalb er nur ungern die Augen öffnet und seinen Gegenüber an blickt.
John grinst, sowie er es immer getan hat. Selbstgefällig, überheblich, sicher.
Denn für ihn ist das alles nicht mehr als ein Puppenspiel, in dem er die Strippen in der Hand hat.

"Diesmal wird dein großer Bruder dir nicht helfen, Sammy. Du bist allein, hörst du? Allein." Ein hönisches Lachen verlässt den Rachen des Schwarzhaarigen, der sich seiner selbst sicherer ist, als der Mann mit der Pistole. Dieser läuft weiter aufgekratzt die selben zwei Meter auf und ab wie die letzte Stunde bereits.

Dass ein psychisch Labilermit einer Waffe vor ihm rum fuchtelt, während er selbst gefesselt ist, scheint John nichts auszumachen.

"Sei ruhig ich muss nachdenken!" Sam dreht seinem Vater den Rücken zu, während er tief Luft holt. Alles um ihn herum scheint sich zu drehen. Und es ist so unfassbar heiß. In Litern rinnt ihm der Schweiß das Gesicht herunter und durchnässt sein blaues Hemd.
Wieder einmal sieht er seinen Bruder vor sich. So groß und muskulös. Harte Gesichtszüge, aber ein weiches Herz. Er war sein Held und ist es immer noch. "Jetzt hilf mir doch Dean! Sag mir was ich tun soll"

Sam sieht ihm dabei zu, wie er auf ihn zu kommt:"Das ist dein Leben, es sind deine Entscheidungen, ich will dir da nicht rein reden. Aber... wenn ich du wäre, theoretisch, dann würde ich ihn töten. Denk nur daran was er uns all die Jahre angetan hat. Wie er dich behandelt hat, wie er mich verprügelte, bis ich meine eigenen Gedärme auskotzte.  Denk daran, Sammy."

Und so schnell wie er gekommen ist, verschwindet er wieder. An seine Stelle tritt eine blonde Frau mittleren Alters. Ihr Blick zeigt nichts als Liebe. Sie sieht zu Sam und John.

Ein warmes Lächeln vollendet ihre Ausstrahlung, die nur Gutes fühlen lässt.
"Sammy, du bist nur verwirrt. Du weißt doch, dass Gewalt niemals der richtige Weg sein kann. Du weißt doch, dass du besser bist als das, und du weißt doch, dass John das nicht verdient hat. Er war ein guter Vater. Sieh doch nur, wie groß du geworden bist."

Überfordert verzieht der Mann sein Gesicht, reibt sich die Schlefen. Zu seiner Mutter kommen auf einmal mehr. Dean, seine Freundin, sein Onkel und noch etliche mehr. Mindestens zehn Gestalten, die durcheinander auf ihn einreden. Alle wollen sie was anderes von ihm, werden lauter und aufgeregter bis es unerträglich wird.

John hingegen sieht schmunzelnd zu wie sein Jüngster sich ohrenzuhaltend im Kreis dreht und schreit, sie sollen leise sein. Auch, dass Sam einen Schuss in die Decke abgibt, scheint ihn nicht zu beunruhigen. Noch immer glaubt er alles unter Kontrolle zu haben.

Sam sieht sich zufrieden um, bis auf John und ihn ist der Raum leer. Es ist still. Sein Kopf scheint sich zu ordnen, die Luft wird kühler.
Sein Blick trifft auf den seines Vaters. Zorn flammt in Sams grünen Augen auf, als er sich seinem Gegenüber nähert.

"Ich sollte dich wirklich umbringen. Ich sollte es tun. All die Jahre.. Nie warst du ein Vater für uns! Du warst ein Monster, nicht mehr. Wie kann ein Mensch nur so krank sein wie du? Wie kann man seine Kinder so behandeln?"
"Jetzt mach mal halblang Sammy, ich glaube du reagierst ein wenig über. Schließlich habe ich immer dafür gesorgt, dass es dir und deinem Bruder an nichts fehlte."

"Ab nichts fehlte?! Du hast Dean zwei Wochen in einen Wandschrank gesperrt! Du hast mich dafür verprügelt, dass ich ein Nachtlicht an hatte! 22 Jahre lang hast du nichts anderes getan, als uns zu schikanieren, zu beleidigen, zu schlagen und zu erniedrigen!" Ein fester Schlag trifft Johns Wange.
"Aber damit ist jetzt Schluss."

Zitternd hebt Sam seinen Arm und richtet die Waffe auf seinen Vater. Endlich kann er sich für alles rächen. Endlich kriegt er seine Vergeltung.

Ein Finger am Abzug, noch einmal durch atmen und ein Schuss zerschneidet die Luft.

Er sackt in sich zusammen. Blut durchtränkt sein Shirt, während er der Atem flacher wird.

Trotz der stechenden Schmerzen wird Sam auf die Beine gezerrt und grob aus dem Raum gebracht, während andere Polizisten sich um John kümmern, welcher wohl auf und triumphierend lächelnd das Haus verlässt.

Ungläubig bekommt Sam nur verschwommen mit, wie er in ein gefesselt und ein Auto gesetzt wird. Wie John gehen darf.
"Sie haben den falschen. Ich bin der Gute." Ist das Einzige, das der junge Mann immer wieder wiederholen kann.

Sie haben den Falschen.

23.09.2008

Nach gründlichen psychischen, physischen und polizeilichen Untersuchungen, wurde der Geiselnehmer Sam Winchester in eine Psychiatrie gebracht, wo er bis auf weiteres bleiben wird.
Der 22-Jährige sei auf Grund von tiefgreifenden Traumata, ausgelöst durch langjährige Misshandlung und dem Tod seines Bruder, nicht zurechnubgsfähig. Sein Vater, John Winchester, welchen er versucht hatte aus Rache zu ermorden, wird nun wegen Kindesmisshandlung in zwei Fällen vor Gericht geführt.
Eine tragische Familiengeschichte, welche nun ein Ende hat.

HirngespinsteWhere stories live. Discover now