Zeit ist relativ

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Eine Idee die ich bereits länger hatte und nun für "Kurzgeschichten Wettbewerbe" - Romantik Teil 2 verwirklicht habe.

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Nicht immer spielt es eine Rolle, wie viele Stunden man miteinander verbracht hat, sondern wie man es getan hat.
Ein ganz besonderes Paar, das seine Zeit ganz besonders nutzt.
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Sie ist anders. Sie sieht die Welt anders, sie verhält sich anders, sie denkt anders und sie spricht anders. Noch nie verstand sie was die Menschen um sie herum taten, wieso sie es taten. So vieles verwirrt sie.

Die Ärzte sagten ihrer Mutter damals, sie habe Asperger. Sie meinten, das sei der Grund wieso sie kaum sprach, wieso sie andere Menschen nicht immer verstand und wieso sie lieber in ihrer eigenen, kleinen Welt lebte.

Aber die Wahrheit ist, sie lebt in ihrer eigenen, kleinen Welt weil sie sie mehr mag als die Wirklichkeit. Dort beschimpft sie niemand und dort schreit niemand, dort ist es immer bunt und schön und vor allem gibt es dort keine Menschen. Sie mag Menschen nicht, jedenfalls nicht die die sie kennt. Noch keiner konnte sie bisher verstehen, noch keiner versuchte es überhaupt wirklich.

Sie sagten immer sie solle es ihnen erklären, aber wenn sie es tat, dann wurde ihr nur gesagt dass alles falsch sei was sie dachte. Also hörte sie irgendwann auf zu erklären. Irgendwann hörte sie auf zu reden. Denn niemand wollte hören, was das Mädchen mit Asperger zu sagen hatte.

Sie machte anders auf sich aufmerksam. Sie rief aus tiefsten Herzen, mit all ihrer Kraft, nach Hilfe, nach jemanden der sie verstand. Doch wieder verstand niemand sie. Anstatt ihr zu zuhören nahmen sie sie von zu Hause weg, an einen Ort der doch so anders war als ihre Welt. Wie sollte dieser Ort ihr helfen, wenn er ihr doch keiner ihrer geliebten Farben brachte?

Nur weiß. Alles war weiß, egal wohin man sah, weiß. Tag ein Tag aus, weiß. Ob Raum Nummer 1 oder 100, weiß. Ob Arzt oder Schwester, weiß.

Weiß, wo auch immer er hin sieht. Die Decken, weiß. Die Türen, weiß. Die Kleidung der Angestellten, weiß.

Es steht so sehr im Kontrast zu allem was er ist. All das steht so sehr im Kontrast zu ihm. Als er durch die Gänge geführt wird, hat er das Gefühl zu leuchten, dabei ist doch alles was er will zu verschwinden. Seine Kleidung, die ihn sonst so unscheinbaren wirken ließ, lässt ihn hier drin mehr auffallen, als es ihm lieb ist.
Das Schwarz scheint die Blicke auf ihn zu ziehen, noch nie hat er sich schlechter gefühlt als jetzt. Er will nichts mehr als weg, raus aus diesem Loch, in das sie ihn stecken.

Wieso können sie ihn nicht in Ruhe lassen? Ihn sein Leben leben lassen. Versteht denn niemand, dass er es so will, dass er nur auf diese Weise das alles ertragen kann?
Wieso wollen sie ihm das Letzte nehmen, was ihn in der Realität überleben lässt?

Manchmal träumt er von einer anderen Welt. Einer Welt in schwarz. Sie gefiel ihm so viel mehr, denn schwarz war rein. Es war nicht wie die Wirklichkeit grau, es war kein Zwischending, es lies keine Möglichkeiten für Intrigen, es war einfach nur schwarz. Es war einfach nur Nichts. Und Nichts war ihm so viel lieber als Grau. 

Zeit verging, doch Zeit ist relativ.
Das was zählt, ist das Hier und Jetzt.
Und im Hier und Jetzt sitzt er am Mittagstisch. Die weiße Kleidung scheint ihn zu verhüllen, zu verhüllen wer er wirklich ist, alles was ihn mal ausgemacht hat, aufzusaugen. Er ist nicht mehr als ein Haufen Elend, geprägt von Entzugserscheinungen.

Im Hier und Jetzt wird sie zu seinem Tisch gebracht und das war das was zählte.
Sie wirkt wie ein Geist in ihrem weißen Gewand, als sie sich hinsetzt. Nicht mehr als eine verlorene Seele in einem zu großen Shirt.
Mit Skepsis überfliegt sein Blick sie, seit dem Tag an dem er ankam aß er stets allein. Und zum ersten Mal seitdem sie da ist, isst sie nun nicht allein.

HirngespinsteWhere stories live. Discover now