Herbstgeflüster #Seasoncompetitions

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Gewinner der Seasoncompetitions Herbst / Winter

Traurig lächelnd umschließe ich die warme Tasse mit meinen Händen. Der Duft von Apfel und Zimt steigt mir in die Nase, als ich zum Fenster trete. 

In der Scheibe spiegelt sich die brennende Nachttischlampe wieder, welche im Moment das einzige ist, was mein Zimmer vor der Dunkelheit bewahrt. An das Glas prasseln Regentropfen. Immer und immer wieder klopfen sie leise an, laufen dann herunter und hinterlassen eine kleine Spur. Ist es nicht seltsam, dass ich mittlerweile sogar Regentropfen beneide? Sie bewirken etwas. Sogar solch kleine, unscheinbaren Wassertropfen hinterlassen eine Spur, sorgen dafür, dass man sich an sie erinnert, wenn auch nur für eine Weile. Sie machen durch das Prasseln auf sich aufmerksam, werden wahrgenommen. Und ich? Ich werde von den Menschen vergessen, obwohl ich neben ihnen stehe. Ich habe nie etwas erreicht, nie etwas hinterlassen an das man sich erinnern würde.

Der pfeifende Wind zieht durch die kahlen Baumkronen, reißt auch noch die letzten Blätter herunter, wirbelt durch die ordentlich aufgekehrten Laubhaufen und zerzaust die Haare der Spaziergänger. Unaufhaltsam nimmt er mit was ihm in den Weg kommt, bringt durch einander und zerstört, auf die schönste Art und Weise die die Natur zu bieten hat . Selbst in solch einer zerstörerischen Kraft liegt Schönheit. Denn auch wenn es viele gibt, die sich daran stören, dass er da ist, kann man nicht verleugnen was ein wunderbares Spiel er mit den Blättern spielt. Wenn sogar Luftstöße Schönheit mit sich bringen, wieso tun es nicht die Menschen? Wieso gibt es Menschen, die nur Zerstörung mit sich bringen, nur Hässlichkeit? Wie kann es sein, dass es Menschen wie mich gibt, an denen es nichts ansehnliches gibt, nichts was jemand schön findet, nichts was zu erhalten sich lohnt?

Ich nippe an dem mittlerweile etwas abgekühlten Tee, verbrenne mir trotz allem die Zunge. Doch die Wärme, die mich von innen erfüllt macht es wieder gut. Sie scheint so sehr im Kontrast mit mir, mit meinen Gefühlen, zu stehen, vielleicht genieße ich sie deshalb so sehr.  Wenigstens für einen Moment spüre ich ein Kribbeln in mir, wohltuende Wärme, Erleichterung. Auch wenn nur für einen kurzen Augenblick, der nicht länger ist, als die Zeit die ein Blatt, vom Baum vor meinem Fenster, benötigt um den Boden zu erreichen. Unbeirrt mischt es sich unter die anderen, verschwindet in der Menge, als wäre es nicht so eben gefallen. Noch vor kurzem hatte es seinen Halt verloren, den Ort an dem es von Anfang an war, fand jedoch direkt neuen in der Menge. Selbst ganz unten angekommen, scheint es nicht zu zerbrechen. Aber es wurde auch aufgefangen. Es war nicht allein und wird es auch nie sein. Es ist weich, langsam, sanft gefallen, es ist von sich aus gefallen. Es wurde nicht von der wichtigsten Person im Leben geschubst, auf ihm wurde nicht noch herum getrampelt. Ihm wurde nicht das Herz herausgerissen, grausam und brutal, damit gespielt und dann in den Müll geschmissen. Es wurde nicht von Grund auf gedemütigt und verletzt. 

In den letzten Minuten wurde es aus Tag Abend. Der graue Himmel  wandelt sich in ein sanftes rotes Schimmern, bevor er sich vollständig verdunkelt und alles in Schwarz hüllt. Ein kleines, letztes hoffnungsvolles Schimmern von Licht, bevor die Hoffnung unvermeidbar untergehen wird und alles in die Dunkelheit stürzt. Es nimmt alles mit in einen dunklen Tunnel. Lange Zeit scheint es ziellos, doch dann erscheint ein Licht am Ende des Tunnels. Das Ende der Dunkelheit. Doch ich sehe dieses Licht nicht. Ich werde nie mehr so weit kommen um das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Zu tief bin ich in dem schwarzen Loch von verkorksten Gefühlen und Menschen gefangen. Viel zu lange und viel zu tief. Ich bin erschöpft, finde keine Kraft mehr weiter zu wandern, um einen Ausweg zu finden. Kann es keine Notausgänge geben? Kann die Nacht nicht endlich auch für mich enden, kann die Dunkelheit mich nicht endlich freigeben? Wie sehr vermisse ich doch das Licht, das Glück, die Freude, das Lachen, die Hoffnung. 

Schon zu lange habe ich verloren, was mich vor der Kälte des Winters schützen wird. 

Noch gerade so durchstehe ich den Herbst. Frierend, stolpernd, aber ich durchstehe ihn. Doch was wenn es noch kälter, noch härter wird? Dafür fehlen mir die Kraft, Wärme, Schutz und Halt. Ich werde fallen. Nicht wie ein Blatt vom Baum, sanft und bedacht, ich werde fallen wie Bambi auf dem gefrorenen See, hart und schmerzhaft. Ich werde fallen und in Dunkelheit gehüllt, ohne je etwas hinterlassen zu haben, ohne je Schönheit gebracht zu haben, ohne mich an das Gefühl von Wärme, Glück und Liebe zu erinnern.

Wenn der Herbst geht, wird er mich mit sich reißen.

786 Wörter

HirngespinsteWhere stories live. Discover now