Die Hälfte eines Ganzen #Seasoncompetitions

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Eine Kurzgeschichte für " Seasonsompetitions " . 

Klappentext: Wie ein Jahr ohne Winter, wie ein Tag ohne Nacht, ist auch sie ohne ihn nur die Hälfte eines Ganzen.

~ Inspiriert durch meine Geschichte "Lost Letters" und vor allem dem Kapitel "Die Hälfte eines Ganzen" ~  


Schnell wirft sie sich noch einen Schal über bevor sie ihm folgt. Ein trauriges Lächeln liegt auf seinen Lippen, seine große Hand umfasst die Griffe einer kleinen braunen Taschen in der das Wichtigste drin ist. Sie muss zugeben, ihm steht seine Uniform und auch die kurzen Haaren, aber es war einfach nicht er. Er wirkt wie ein Gefangener in dem dunkel grünen Stoff welcher ihn von oben bis unten umhüllt. Er gehört dort nicht hin, er ist viel zu gut für eine Welt wie diese. Viel zu gut um zu morden, viel zu gut um zu gehen.

 Selbst jetzt kann er noch Lächeln, selbst jetzt wo er in den Tot hinein rennt lächelt er, erfreut sich an den Kleinigkeiten im Leben. Sie ist nicht so, sie sieht die Probleme und Gefahren. Sie sieht die Kälte im Schnee, er die Reinheit. Sie sieht den Hunger im Winter, er die Schneeballschlachten. Sie sieht das schlechte im Menschen, er das Gute. Sie ist Realistin, er Optimist. Zwei völlig verschiedene Hälften, die gemeinsam Perfektion ergeben.

Er hebt etwas Schnee in seine freie Hand und wirft ihn nach ihr. In der Luft zerfällt er wieder in einzelne Flocken, umhüllt Beide in einer weißen Wolke. Seine Mundwinkel sind nach oben gezogen, aber sie kann sich nicht einmal zu einem Schmunzeln überwinden. Zu groß ist der Schmerz in ihrem Herzen. Sie streicht sich die nun feuchten Strähnen aus dem Gesicht und greift nach seiner Hand. Sein Ring ist mindestens genauso kalt wie der geschmolzene Schnee in seiner Handfläche, doch sie lässt nicht los. Sie klammert sich an ihn, wie ein kleines Kind in der Großstadt an seine Mutter. Sie ist nicht weniger ängstlich als eins, aber so viel beschwerter. 

"Wir sollten uns beeilen. Wir hängen hinter der Zeit."

Zeit.

Etwas kostbares was Menschen nur zu selten zu schätzen wissen. Sie vergeht ohne, dass man ihr Aufmerksamkeit schenkt. Stunden vergehen, wer bemerkt es schon? Tage vergehen, es wird noch genug andere geben. Aus Sommer wird Herbst, dann eben nächstes Jahr. Auch sie lebte ihr Leben als wäre Zeit nicht das kostbarste was sie jemals haben würde. Sie ahnte nicht wie wertvoll sie doch war bis es zu spät war.

Sie hatte ihre Zeit mit ihm vertan. Die Wochen nachdem der Brief eintraf vergingen schnell, zu schnell. Über den gefallenen Blättern hatte sich seitdem bereits eine weiche, weiße Schneeschicht gelegt. New York wurde zu einem Winterwunderland, doch wer  außer ihm, schätzt es schon?

Schönheit.

Stetig auf der Suche danach, ohne zu merken dass man sie direkt vor den Augen hat. Sie liegt in den kleinen Dingen des Lebens, nicht in exotischen Ländern oder Laufstegmodellen. Man muss seine Sinne nur für sie öffnen. Was gibt es denn schöneres, als das Leuchten in den Augen einer geliebten Person, das Lachen eines Kindes, die Kulissen einer Stadt und die Wunder der Natur, die sich direkt vor der Haustür abspielen.

Stille.

Schnee trifft auf Schnee. Weiß mischt sich mit weiß. Die dichte Decke gibt ihren Schritten nach. Sie sprechen nicht. Was gibt es schon zu sagen? Stille sagt mehr als tausend Worte. Gesten, Blicke, Handlungen. Ein trauriges Lächeln, ein Kuss. Leere, schlaflose Augen treffen auf glänzende, vom weinen rote Augen. Grün trifft auf Blau, Türkis entsteht, Türkis wächst, Türkis wird. Es wächst in ihr heran ohne je zu erfahren wieso Türkis, wieso nicht blau, woher das grün? Er liebt Türkis, es ist seine Lieblingsfarbe, wird er sie jemals sehen?

HirngespinsteWhere stories live. Discover now