Eves Christmas

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Diese Kurzgeschichte ist für das Weihnachts-Special von @Kurzgeschichtenkampf . Ich hoffe sie bringt euch alle ein wenig in Weihnachtsstimmung, genauso sehr wie sie euch berühren und zum Nachdenken bringen soll.

Im Zimmer ist es stickig und warm, als ich aufwache. Das Rauschen der Heizung lässt mich vermuten, dass ich sie wohl wieder über Nacht angelassen habe. Krächzend setze ich mich auf, wobei von meinem Rücken ein unangenehmes Stechen aus, bis hoch in meinen Nacken zieht.

Kurz presse ich die Augen aufeinander, überwinde mich dann jedoch doch aufzustehen, versuche die Schmerzen zu ignorieren. Meine Gliedmaßen fühlen sich taub und unendlich schwer an, als ich zur Heizung gehe und diese Ausstelle.

Mit ein paar Zügen habe ich auch die Rollade hoch bekommen und öffne das Fenster. Eiskalte Luft peitscht mir ins Gesicht, der Wind pfeift laut, lässt die kahlen Äste der Bäume auf und ab schwingen, die dünne Schneeschicht darauf abwerfen. 

Seit einigen Tagen schneit es immer wieder ein wenig, der Schnee unten auf der unberührten Wiese ist vermutlich nicht höher, als mein Knöchel, doch sieht er so aus als würde er quietschen wenn man drauf läuft und sich perfekt für Schneebälle eignen.
Als Kind habe ich immer bis kurz vor der Bescherung gespielt, fast immer hatten wir weiße Weihnacht. Mittlerweile hat sich das zu meinem Leidwesen geändert. Von klein auf bin ich ein Mensch gewesen, der den Regen im Herbst und die eiskalte Luft im Winter geliebt hat, die Hitze im Sommer und sogar die Wespen im Frühling. Einzige Voraussetzung ist für mich gewesen, dass es wie im Bilderbuch war. Der Herbst hatte stürmisch zu sein, darauf musste ein mit Schnee gefüllter Winter kommen, ein lauwarmer Frühling und ein Sommer, wie an den Küsten Spaniens.

Ich kann es mir nicht verkneifen mit meinem Finger über die Fensterbank zu fahren, den Schnee auf meinem Finger schmelzen zu sehen. Ein kleines Lächeln huscht über meine Lippen, wie sehr ich diese Jahreszeit doch geliebt habe.

Als ich beginne zu zittern, schlüpfe ich in meine Hausschuhe und verlasse mein Schlafzimmer. Die Tür schließe ich hinter mir, damit es nicht in den restlichen Zimmern zieht. Wie so häufig verrät mir der Blick in den Kühlschrank, dass ich heute wohl auswärts essen müsste. Dauernd vergesse ich es, vor Feiertagen rechtzeitig einkaufen zu gehen, die beste im Führen vom Haushalt bin ich sowieso noch nie gewesen.

Nach meinem spärlichen Frühstück, bestehend aus einer Scheibe Brot mit Käse und einer Tasse Kaffee, ziehe ich mich an. Ich habe mich entschlossen Jacob heute besuchen zu gehen, schon viel zu lange bin ich nicht mehr bei ihm gewesen. Meinen Mantel schließe ich eng um mich, stülpe mir Handschuhe über, bevor ich das viel zu große Haus verlasse. 

Kleine, weiße Flocken fallen aus dem grauen Himmel, legen sich auf meine Kleidung, wo sie langsam dunkle Flecken hinterlassen. Die Straßen sind ungewöhnlich leer. Natürlich, alle sind zu Hause oder bei Verwandten. Knartschend lässt sich das Hüfthohe Tor öffnen, an den Seiten des Weges sind kleine Häufchen Schnee, so dass man in der Mitte über die Kieselsteine laufen kann.

Auch nach so langer Zeit, die ich nicht hier war, finde ich blind zu meinem Ziel. Auch hier hat das Weiß alles umhüllt, Fremde, würden nicht wissen wer wo liegt. Doch auch wenn ich die Inschrift auswendig kenne, sie nicht mehr lesen bräuchte, wische ich vorsichtig den Schnee von dem Marmor Stein ab, präge mir die Worte abermals ein.

An heilig Abend bist du von uns gegangen. Heilig sei uns der Abend, an dem du bist in unser Leben getreten.

Längst weine ich nicht mehr, habe all meine Tränen vergossen oder vielleicht auch nur gelernt, dass es meinen Schmerz niemals lindern wird. Nichts kann ihn mir zurück bringen, nichts kann mir die Erinnerungen erhalten, die so langsam verblassen. Nichts kann für mich den heutigen Tag, jemals wieder zu dem frohen Fest machen, das er einmal war. Erschöpft schließe ich die Augen, atme tief durch. Erschöpft von den Gedanken, erschöpft von dem drückenden Gefühl auf meiner Brust. Es ist so anstrengend zu trauern, so schmerzhaft und niemals endet. Sie sagen Zeit heilt alle wunden, doch habe ich das Gefühl, diese wird niemals zu wachsen.

HirngespinsteWhere stories live. Discover now