Titellos

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Es gibt Dinge für die verschenken wir keinen einzigen Gedanken, bis sie uns selbst treffen und uns ab da an jeden Tag in unserem Leben verfolgen.

Auch ich habe früher nie überlegt was wäre wenn, doch seit sieben Jahren lässt es mich nicht los. Tag für Tag kreisen meine Gedanken darum, die Angst umhüllt mein Herz. 

Der Wind zerzaust mir meine Haare, lässt meine Haut gefrieren. Auch die Menschen um mich herum, ziehen sich den Mantel enger. Ich kann sie nicht verstehen, munter unterhalten sie sich.
Ob es daran liegt, dass ich jünger bin als die meisten oder emotionaler, mir ist nicht nach Reden zu Mute. Schon die letzten Male habe ich es nicht nach vollziehen können.

Egal wie oft ich diese Prozedur schon hinter mir habe, ich werde mich niemals dran gewöhnen können. Ein ungutes Gefühl legt sich auf meine Brust als ich mit meiner Familie die kühle Kapelle betrete. Ein Ort an dem ich seit meiner Kommunion nur zu diesen schrecklichen Anlässen bin. Ob das ein Grund dafür ist, dass ich Gott kein Vertrauen schenke? 

Das Bedürfnis meine Augen zu verdrehen, als der Pastor über den christlichen Glauben erzählt, halte ich zurück, weiß ich doch wie sehr die geliebte Person doch auf Jesus und die Bibel gesetzt hat. Ich habe meine ganz eigene Ansicht zu dieser Religion und bin damit in meiner Familie nur teilweise alleine und doch verspüre ich die größte Einsamkeit in diesem Moment. 

Es ist unbehaglich ruhig, während der alte Herr vor mir die einstudierte Rede hält. Er erzählt von den tollen Dingen die der Verstorbene geschaffen hat, von seinem warmherzigen Charakter und gelehrten Geist. Sachen, die selbst aus dem Munde eines Fremden mein Herz weiter zerreißen. Meine Gedanken driften ab, zu den schönen Momenten die ich mit ihm geteilt habe und niemals wiederholen kann. Weiter dahin, dass er nie wissen wird was aus mir wird. 


Schon seit meinem ersten Verlust verfolgt mich das Wissen, dass all diese mir doch so wichtigen Personen, niemals erfahren werden ob ich meinen Schulabschluss mache, einen Job finde, heirate. Ich weiß es ist nicht richtig von mir und doch steigt in mir oft die Wut deswegen auf. 

Ich tue ihnen Unrecht und doch gebe ich meinen Eltern die schuld, dass sie mich so spät geboren haben. Es ist dumm. Niemand kann etwas dafür, doch versuche ich einen Schuldigen zu finden. Mein Bruder, meine Cousinen und Cousins, sie alle sind älter, sie alle hatten die Chance, dass wenigstens eines ihrer wichtigsten Lebensereignisse mit Stolz betrachtet werden konnte. 

In einem Moment wie diesen kommt einen das Leben so ungerecht vor, als würde man alleine leiden.

Ich sitze in der zweiten Reihe, wie eigentlich immer, als das hölzerne Gefäß an mir vorbei getragen wird. Ich habe Angst irgendwann ganz vorne zu sitzen, als Frau oder Tochter, ist doch schon dies ein unerträglicher Schmerz. Ich verstehe nicht, wie sie alle noch die Fassung bewahren können, fällt es mir doch schwer nicht auch noch laut aufzuschluchzen. Kein Wort bringe ich über meine Lippen, welche bereits salzig durch die Tränen sind. Der Weg über die knirschenden Steine scheint ewig und doch will ich nicht, dass er endet.

Auch dem jetzigen Gebet kann ich nicht viel abgewinnen, trotzdem falte ich meine Hände und sehe auf das tiefe Loch, welches nur wenige Meter von mir entfernt ist.

Ich bete nicht dafür, dass er in den Himmel kommt, gibt es in meiner Vorstellung für jeden das am Ende was er verdient. Und er kommt garantiert an einen wunderschönen Ort, mit all seinen Lieben. Vermutlich ein Garten, so einer wie der, den er immer gepflegt hat, mit einem Fahrrad im Schuppen. Ich bitte Gott nicht um mein täglich Brot oder dem vergeben meiner Sünden, bin ich doch mein härtester Richter. Ich sage nicht Amen, stimme ich dem Gesagten doch nicht zu. Ich sage Danke, stumm in meinem Kopf. Ich bedanke mich für die Zeit die ich mit ihm gehabt habe, für den wundervollen Menschen der für immer ein Teil meines Lebens sein wird. 

Die Rose fallen zu lassen kostet mich unendlich viel Überwindung, bedeutet es doch einen endgültigen Abschied, den ich nicht nehmen will. Nur leise, mit krächzender Stimme kann ich meine letzten Worte zu ihm sagen, bevor ich dem nächsten die Möglichkeit gewähre, ihm die letzte Ehre zu erweisen. Seltsam distanziert stehe ich von meinen Eltern, fühle mich schlecht weil meine Mutter doch einen größeren Verlust erlitten hat und ich mehr weine. Seltsam nah stehe ich meinem Bruder, welcher mir wortlos ein Taschentuch reicht, seinen Arm um meine Schulter legt. Geborgenheit, die ich selten bei ihm verspüre, für die ich aber dankbar bin.

Wir sind mit die Letzten die noch an dem Grab stehen. Meine Eltern scheinen schon wieder ganz wo anders, halten Smalltalk mit meiner Cousine und ihrem Freund, welche wir fast nie zu Gesicht bekommen. Ich bin noch immer bedrückt. Auf der Fahrt zum Leichenschmaus würde ich am liebsten aus dem Auto springen. Das Gespräch darüber wie schön die Rede des Pastors doch gewesen wäre, ertrage ich nicht. Ich kriege kein bissen des Brötchens vor mir herunter. Die älteren Jungen um mich herum bedienen sich gierig, tauschen sich freudig über Neuigkeiten aus. Ich bleibe still, verstehe ich sie alle doch nicht.

Erst zu Hause überkommt mich die Erleichterung, als ich in meinem Zimmer alleine trauern kann. Ich schreie in mein Kissen die Wut hinaus. Wut darüber, wie ungerecht es ist, dass eine so tolle Person gegangen ist. Wut darüber, dass er niemals wirklich stolz auf mich sein kann. Wut darüber, dass wohl niemand aus seiner Generation meine Kindheit und Jugend überstehen wird. Wut darüber, dass andere es besser haben. Sogar Urgroßeltern haben, noch all ihre Opas und Omas. Wut darüber, dass ich so denke. Wut darüber, dass ich wieder die letzte gewesen bin die von seiner Krankheit erfahren hat und auch das nur durch Zufall. Wut darüber, dass ich mir wünsche andere hätten eben solche Verluste. Wut darüber, dass ich schon so viele gehen lassen musste. 

Der Tod ist etwas natürliches, unaufhaltsames, schreckliches und gutes zu gleich. Er hat einige Erlöst aus ihren Leiden, doch so viele damit verletzt. Vor sieben Jahren habe ich das erste Mal erlebt wie eine Person die ich liebe gestorben ist. Ich war noch jung und habe all das nicht wirklich mitbekommen und doch verfolgt mich seitdem der Schmerz. Ich habe keine Angst zu sterben, ich habe Angst noch jemanden sterben zu sehen.

Wenn ich meine letzten älteren Angehörigen besuche, begleitet mich stehts der Gedanke, dass es das letzte Mal sein könnte. Ein grausames Gefühl. Und doch ändere ich nicht viel. Ich sollte mir mehr Zeit für sie nehmen, sie öfters besuchen, doch finde ich nicht die Möglichkeit dazu. Vielleicht möchte ich es auch nicht. Irgendetwas hindert mich daran, auch wenn ich bereits weiß, dass ich es all zu bald bereuen könnte diese wertvolle Zeit vertan zu haben.

Zwei Dinge habe ich nach so vielen Malen gelernt. Der Schmerz ist vielleicht nicht immer präsent, doch wenn er es ist, nicht weniger stark als zuvor. Nein er wird schlimmer. Die Angst steigt. Die meisten Erinnerungen habe ich in jungen Jahren gemacht, mit jedem Monat verwischen sie mehr. Ich habe Angst, bald nichts mehr von diesen Personen zu wissen. Das wenige was mir von ihnen geblieben ist, die wundervollen Momente, zu vergessen. 

Die zweite Sache ist, dass mit Trauer blinde Wut einher geht und der Versuch, einen Schuldigen zu finden. Es mag immer wer anders sein, aus den unterschiedlichsten, banalsten und vermeintlichsten Gründen und doch versuchen wir immer den Verlust zu erklären. Ich weiß nicht ob es ein Abwehrmechanismus unseres Geistes ist. Ob es einfacher ist auf jemand unschuldigen wütend zu sein, als einfach zu akzeptieren. 

Das was ich weiß ist, dass es schwer ist.

HirngespinsteWhere stories live. Discover now