Etenia

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Das wasserstoffblonde Haar fällt ihr strähnig ins Gesicht, während sich ihre leeren Augen umsehen.
Immer wieder trifft eine Welle sanft auf das kleine Bott. Schwapp Schwapp.
Ein tiefes Summen verlässt die Kehle des alten Mannes als er über den endlos wirkenden See rudert. Etenia schenkt ihm ein kurzes Lächeln, welches kurz erwidert wird.

Das kleine Mädchen nimmt all ihren Mut zusammen und stellt die Frage, die ihr schon die ganze Zeit auf der Seele brennt. Die helle Stimme durchschneidet die Stille wie ein Messer und obwohl sie flüstert wirkt es in dieser Idylle wie ein Schrei. "Wo bringst du mich hin?"

Der Unbekannte hört auf zu Rudern, sieht sie überrascht an. "Das weiß ich doch nicht. Ich fahre dich dort hin, wo auch immer dein Herz dich hin trägt." Eine Antwort mit der das blasse Mädchen nicht viel anfangen kann. Voller Fragen blickt sie sich um, legt ihre Hand auf ihr Herz um herauszufinden was es ihr sagt. Es schlägt immer wieder. Bumm Bumm.

"Ich will zurück."

Ironisch lachend schüttelt der Bootsfahrer den Kopf und erklärt, dass dies nicht ginge. "Im Leben kannst du auch nicht einfach umdrehen, es gibt immer nur den Weg nach vorn."

Etenia versteht die unsinnigen Worte nicht. Sie möchte nur zurück zu ihren Eltern. Wieso sollte das nicht gehen?

Ihr unsicherer Blick bleibt auf einem großen, weißen Schloss hängen. Bis noch tief in die Wolken reichen die Türme. Die Schönheit dieses Ortes fängt das Mädchen in einem Bann. Die wunderschönsten Blumen offenbaren sich ihr, als das Boot darauf zu steuert. Vögel zwitschern und umfliegen die hohen Gebäude. Der alte Mann hat nicht einmal angelegt, da ist sie schon auf die grüne Wiese gesprungen.

Noch feucht vom Morgentau kühlt das Gras ihre nackten Füße, als diese sie bis zu den großen Toren tragen, welche sich in dem Augenblick öffnen in dem sie davor Halt macht. Ebenso furchtlos wie sie kurz zuvor in das Boot gestiegen ist tritt sie in den Palast ein.
Erstaunt dreht sie sich um ihre eigene Achse, lässt ihr Kleid rumwirbeln. Etenia bewundert jede Blume und jeden verzierten Stein, bis sie aus ihrer Schwärmerei gerissen wird.

Eine Frau, nicht weniger schön als das Schloss, steht sanft lächelnd vor ihr. Ein weißes Gewand umhüllt sie, goldenes Haar fällt ihr auf die Brust. Doch wovon das kleine Mädchen die Augen nicht lösen kann, sind die Federn auf ihrem Rücken. Weit erstrecken sie sich in beide Richtungen, lassen die Frau wunderschön und stark zugleich wirken.

"Hallo Etenia, wie schön, dass du her gefunden hast. Wir haben bereits gewartet."

Eine Hand wird ihr hingehalten, welche die Wasserstoffblonde zögerlich ergreift.

"Ich hab das hier nicht gefunden, der alte Mann hat mich her gebracht."

"Oh nein, das warst allein du."

Verwirrt bleibt das Mädchen stehen und sieht hinauf. All das versteht sie nicht und anstatt Antworten zu bekommen werfen sich nur immer wieder neue Fragen auf.
Wut und Enttäuschung machen sich in ihr breit. Sie fühlt sich nicht ernst genommen und das ist etwas was Etenia noch nie haben konnte.

"Ich wollte hier nicht her, ich will zurück." Erklärt sie, während sie ihre Arme bockig vor der Brust verschränkt. Wieso versteht denn keiner was sie will?

Seufzend bleibt die Frau stehen und hockt sich herunter. Sie streicht einige Strähnen hinter Etenias Ohr, bevor sie beginnt zu sprechen:"Der alte Mann, Jakob, fährt dich stehts zu den Orten nach denen dein Herz sich sehnt."

"Und wieso dann nicht zurück? Nach Hause?"

"Weil dein Steg gebrochen ist, du kannst nicht mehr hier weg. Aber sei nicht traurig, dies ist der schönste Ort den du je zu Augen bekommst."

HirngespinsteWhere stories live. Discover now