Kapitel 7

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Der Wolf

Blut. Überall roch es nach Blut, Feuer, Asche und Tot. Ich rannte schneller, meine Pfoten flogen beinahe über den erdigen Boden, wobei Äste und Blätter aufstoben. Ein gutes Stück hinter mir hörte ich, wie mir ein weiterer Wolf folgte. Doch je näher wir dem Ziel kamen, desto größer wurde unser Abstand. Es war schwierig für andere mich einzuholen, oder überhaupt mitzuhalten, wenn ich Lunte gerochen, wenn ich eine Beute ins Visier genommen hatte. Und das war hier definitiv der Fall. Meine Neugierde trieb mich immer schneller voran. Ich musste wissen was passiert war.

Vor mehreren Stunden waren ich und der zweite Wolf auf Patrouille gewesen, als ein Feuerball am Himmel explodiert, und anschließend hier in dieser Gegend abgestürzt war. Vermutlich ein Helikopter. Sehr wahrscheinlich ein feindlicher. Aber ich musste es genau wissen. Was zum Henker wollte ein feindlicher Hubschrauber in diesem abgelegenen Gebiet? Zwar gehörte es zu unserem Territorium, aber es war so gering bevölkert, dass wir nur sporadisch kontrollierten, ob alles in Ordnung war. Eigentlich war es sogar ein langweiliger Strafdienst, wenn man hier für einige Wochen Wache schieben musste. Hätte ich gewusst, was mich als Strafe erwartete oder mit wem ich sie absitzen musste, hätte ich mir mein Handeln verdammt nochmal besser überlegt. Doch jetzt war es zu spät. Vier Wochen träger Patrouillendienst, bei dem das aufregendste ein Hirsch zur Jagd anstatt von Hasen gewesen war, lähmte Körper und Geist auf die Dauer. Umso mehr Adrenalin überschwemmte jetzt meine Adern, trieb meine Muskeln an und ließ mein Herz kräftig schlagen. Je näher ich der verkohlten, blutigen Absturzstelle kam, desto mehr schlich sich der beginnende Geruch von Verwesung hinzu. Gerade als ich langsamer wurde, da ich begriff, dass ich mich nicht mehr beeilen musste, weil bereits alle tot waren, drang der Geruch von frischerem Blut weiter nördlich in meine Nase. Ein Überlebender! Abrupt wendete ich in einem Bogen und stürzte erneut vor, auf mein neues Ziel zu. Unwillkürlich stieg ein wütendes Knurren meine Kehle hinauf und ich hätte schwören können, meine Reißzähne wuchsen sogar noch einige Zentimeter. In der Erwartung jeden Moment eine verdammte Hexe vor mir zu haben, konnte ich es kaum erwarten, meine Reißzähne in weiches Fleisch zu schlagen, mit meinen Krallen Haut und Sehnen zu zerfetzen. Eine Sekunde schob sich das Bild eines brennenden zweistöckigen Hauses vor meine Augen. Dann blinzelte ich zornig und die Erinnerung verschwand. Energisch stopfe ich sie zurück in die Tiefen meiner Seele, wo sie sich in der Dunkelheit verkriechen sollte. Ich hatte jetzt und überhaupt keine Lust auf die Vergangenheit. Was war, war für immer vorbei, tot und unwiderruflich. Alles was blieb, war Wut und der Wunsch nach Vergeltung.

Mit einem großen Sprung hechtete ich eine Anhöhe hinauf und kam schlitternd zum Stehen. Hinter einem großen Felsen lag ein Mädchen, dessen Haar nass vom Regen dennoch wie ein Rubin schimmerte. Ihre Augen waren geschlossen, die Haut eindeutig wächsern, wie sie nur die Toten trugen. Unter ihr hatte sich eine Pfütze Blut gemischt mit Regen ausgebreitet. Der Kupfergeruch war unglaublich stark, er umspülte mich, bis ich beinahe glaubte, bereits in saftiges, blutendes Fleisch gebissen zu haben. Ein Knurren rollte über meine Lefzen, ich fühlte mich mehr als Tier denn als Mensch. Unbehaglich schüttelte ich den Kopf, was half ihn klar zu bekommen und meine tierischen Instinkte abzuschütteln.

Dann sah ich sie. Eine weitere junge Frau saß mit starrem Blick hinter der Leiche. Sie hatte etwas Mystisches an sich, wie sie da vollkommen bewegungslos im Regen saß. Rund herum rieselte es sachte, doch über ihr plätscherte der Regen erbarmungslos nieder, als hätte sich eine Fontäne nur über ihr geöffnet. Lange dunkle Haare, blasses Gesicht, dunkle Kleidung und stechend veilchenblauviolette Augen. Ein zarter Schmollmund und eine zierliche Nase, ein Gesicht, das sie zerbrechlich und gleichzeitig unbeugsam erscheinen ließ. So stellte ich mir einen hübschen Racheengel des Todes vor. In der Hand hielt sie einen dünnen, blutigen Ast, nur wenige Zentimeter über der blutigen Brust des anderen Mädchens. Das Holzstück war nicht besonders groß, nicht gefährlich, dennoch bekam ich ein sonderbares Gefühl bei dem Anblick. Ihre andere Hand hatte sie in den aufgeschlagenen Mantel des toten Mädchens gekrallt. Der Wind fuhr in das offene Haar der trauernden, jungen Frau. Nun bewegte sich das feuchte Haar ein wenig, dennoch sah es aus wie ein dunkler Totenfächer rund um ihr Gesicht. Trotz des Nieselns hatten sich einige Sonnenstrahlen zwischen die Baumkronen gekämpft, die direkt auf ihr Haar fielen und es sonderbar zum Schimmern brachte. Es war dunkel, aber auch wieder nicht, wie ich jetzt erkannte. Je nach Lichteinfall glitzerte es in den Farben grün, blau, türkis, violett. Wie die Haut eines Skarabäus, wie man sich die Haare einer Nymphe oder eine Meerjungfrau vorstellte. Sie war keines davon. Sondern eine beschissene Hexe.

Eine verdammte Hexe saß nur wenige Schritte entfernt, vollkommen abwesend und furchtbar lebendig. Das würde ich ändern, jetzt und auf der Stelle, bevor mein Partner hier eintraf. Heute war mein Tag der Rache, ich hatte das Anrecht darauf. Ich tapste näher, vorsichtig und leise, um sie nicht aufzuschrecken. Wer weiß, ob nicht alles gespielt und eine Täuschung war, um uns anzulocken und anschließend gnadenlos mit ihrer Teufelsmagie zu töten. Wäre nicht das erste Mal. Das Gras machte keine Geräusche unter meinen Pfoten, ich atmete langsam und ruhig. Nur noch einen Meter, einen halben. Jede Sekunde achtete ich auf die scheinbar geistig abwesende Hexe, auf verräterische Bewegungen, die nicht kamen. Schließlich blickte ich in ihr Gesicht und sie sah mir direkt in die Augen. Stille Tränen benetzen ihr blasses Gesicht, obwohl der Schmerz ihr tief in das Gesicht geschnitten war. Ein lautes, verzweifeltes Schluchzen wäre weniger Haare sträubend gewesen als diese vollkommene, stumme Hinnahme größter Trauer. Ich rechnete mit einem Schrecken, Angst oder Panik, als sie mich sah, aber in ihren Augen konnte ich nichts dergleichen erkennen. Ihr Ausdruck schien beinahe Erleichterung anzunehmen. Es sollte mich nicht kümmern, was hier vorging. Sie war eine Hexe und gemeinsam mit dem abgestürzten Helikopter war es klar, dass sie einen Angriff geplant hatten. Nun würde dieses Mädchen den gleichen Weg wie die anderen gehen und die Rechnung präsentiert bekommen. Angriffsbereit hob ich meine schwere Pfote und bewegten die scharfen, tödlichen Krallen, die im Sonnenlicht gefährlich blitzten.

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Witch of the WolvesWhere stories live. Discover now