Kapitel 6. 1 - Zwei Deppen, ein Gedanke

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Kurz nach Sonnenaufgang bestiegen wir den Helikopter, der uns zu unserem nächsten Ziel bringen sollte. Gestern früh wurden wir mit ordentlichen Kopfschmerzen und einer größeren Maschine nach Rabat in Marokko geflogen: ein fast elf Stunden Flug über den Atlantik. Diese Stunden nutzten wir nicht nur, um zu schlafen, was ich nach der Feier dringend nötig gehabt hatte, sondern um uns zu unserer Mission briefen zu lassen und das Vorgehen zu planen. Wir hatten den Auftrag bekommen, in zwei kleinen Teams in Südspanien zu landen und anschließend über eine westliche und eine östliche Route das Land zu infiltrierten. Am Ende würden wir zur Front in Toulouse stoßen, wo die Kämpfe im Moment am stärksten waren. Dort sollten wir die Befehlshaber über unsere Sichtungen informieren, um anschließend nach Hause zu fliegen. Unser Ziel war es herausfinden, wie weit Lacarus' Einflussgebiet tatsächlich reichte und welche Gegend für einen größeren Trupp am besten geeignet war, um unbemerkt zu bleiben, bevor wir in die Offensive gingen. General Obera hatte also nicht gelogen, sie wollte in den aktiven Angriff übergehen und wir sollten die Vorhut sein. Oder zumindest dieser Front einen Weg vorgeben.

Afrika war wie Australien neutral, was bedeutete, wir Hexen würden keine Truppen in Afrika zwischenstationieren dürfen, um mit Schiffen über Gibraltar anzugreifen. Daher plante General Obera anscheinend einen größeren Angriff mit Schiffen über den Atlantik und wollte dazu die spanische oder französische Küste ansteuern. Je nachdem, was wir nach unserer Mission zu berichten hatten.

In diesem Moment kauerten wir in der metallischen Höhle im hinteren Teil des Hubschraubers. Jeder von uns fest mit einem Gurt an die Rückenlehne angeschnallt, um die kommenden Turbulenzen zu überstehen. Insgesamt, ohne Pilot gerechnet, waren wir zu siebent, eine wichtige Zahl in unserer Welt. Sie brachte Glück. Was ich bisher nicht behaupten konnte, denn zu meinem ‚Glück' saß ich Clerise gegenüber, die mir schon die letzten Stunden mit ihrem säuerlichen Blicken die Zeit vermiest hatte. Es könnte aber auch dran liegen, dass ihr wegen des Ciders ebenfalls noch übel war, aber eigentlich war das ihr Standartblick. Ich seufzte verhalten. Ausgerechnet sie musste bei dieser Mission mit on Board sein, was wie saure Zitronen schmeckte. Wenigstens würde Clerise mit ihrem Dreier Team und einer Soldatin des erfahrenen Infiltrations-Duos die westliche Route nehmen und ich mit Soulin und der zweiten Elite-Soldatin die östliche. Erst in drei Wochen sollten wir uns an einem Treffpunkt in Frankreich wiedersehen und dort die Lage sondieren. Drei Wochen ohne der wichtigtuerischen Clerise war zumindest ein kleiner positiver Ausblick auf die kommenden Tage. Es würde mir aber nicht helfen, meinen Bruder zu vermissen und ständig die Frage in meinem Kopf zu wälzen, ob es ihm gut ging.

„Alles okay, Fain?", fragte mich Soulin über den Lärm des Hubschraubers hinweg. Womöglich war mir das Grübeln durch die gerunzelte Stirn anzusehen. Doch ich schüttelte den Kopf, um ihr zu verstehen zu geben, dass nicht der rechte Zeitpunkt dafür war, deswegen konzentrierte ich mich auf Soulin, die schwach lächelte.

„Ja, klar. Danke. Reden wir später. Und bei dir? Soll ich dir was zu Trinken bringen? Eine Tüte... oder beides?", stammelte ich, während ich ihr verkniffenes Gesicht betrachtete. Immerhin wusste ich, dass sie kein Fan von Höhen war und sie sah tatsächlich sehr grün um die Nase aus, als käme ihr gleich das Frühstück hoch. Vielleicht lag es an den Nachwirkungen des Punsches oder eben an dem wackeligen Flug. Auf alle Fälle tat sie mir leid. Zwei Schritte von mir entfernt standen unsere gepackten Rucksäcke am Boden befestigt. Gefüllt mit unserem Proviant und den Wasserflaschen.

„Nein, danke. Geht schon-", antwortete sie just in dem Moment, als eine Turbulenz den Hubschrauber absacken und schwanken ließ. Selbst mir hob sich ungemütlich der Magen und ich hielt einiges aus. Soulin hingegen war nun so grünlich bleich um die Nase und presste die Lippen fest zusammen, als könnte meine Sorge mit ihrem Frühstück jeden Moment Realität werden. Sobald der Hubschrauber wieder normal flog, schnallte ich mich rasch ab, um zu den Rucksäcken zu gelangen, damit Soulin ihr Wasser bekam. Das half ihr vielleicht. Sie hatte wohl die gleiche Idee, da sie nun ebenfalls abgeschnallt war.

„Ich das Wasser?", fragte ich aufmunternd.

„Bitte. Ja. Ich hol... die Tüte", gestand sie schwach und griff tastend unter sich. Sobald ich aufgestanden war, wurde ich von der Missionsleiterin Sergeant Glosna angebrüllt: „Soldaten! Anschnallen, sofort! Seid ihr verrückt geworden? Wollt ihr draufgehen, falls wir abstürzen?"

Ich wollte gar nicht abstürzen, denn ich bezweifelte stark, ob mir dann so ein Gurt noch das Leben retten konnte. Nope, eher unwahrscheinlich.

„Ma'am, Nein, Ma'am!", echoten Soulin und ich trotzdem gleichzeitig und ich bekam ein höhnisches Grinsen von Clerise zugeworfen. Wobei sie genauso den Gurt geöffnet hatte, an dem sie gerade herum nestelte, damit der Sergeant es nicht ebenfalls bemerkte. Missmutig setzte ich mich wieder hin, Soulin flüsterte ebenso grimmig: „Als ob uns dann so ein Gurt retten würde."

Ich grinste sie an. „Genau mein Gedanke."

Das brachte sie ebenfalls zum Grinsen und beide flüsterten wir: „Zwei Deppen, ein Gedanke."

Vermutlich spürten wir beide noch die Nachwirkungen des blubbernden Ciders in uns, ansonsten würden wir nicht rumalbern wie zwei kleine Schulmädchen. Vielleicht hätte ich doch nicht so viel trinken sollen, was ich nun bereute. Ich musste fokussiert bleiben, wenngleich es ungemein schwer war, wenn durch die Getränke ständig ein Lachen über meine Lippen purzeln wollte. Verdammter Cider!

„Kann ich nur bestätigen", hörte ich Clerise hinter vorgehaltener Hand murmeln. Statt mich auf sie zu konzentrieren, zwinkerte ich Soulin zu und war froh, dass sie abgelenkt war und schon nicht mehr so blass aussah. Dafür liebte ich sie, dass wir gleich dachten und es ihr ebenfalls egal war, was andere von uns hielten. Außer Sergeant Glosna, die genervt in unsere Richtung blickte.

„Seid ihr fertig mit eurem Gequatsche? Das ist kein Mädchenausflug, sondern eine Mission. Reißt euch zusammen! Und verdammt nochmal, schnallt euch endlich-"

Ruckartig wurde ich nach vorne geschleudert und der offene Gurt schnitt in meine Oberarme, anstatt mich an der Brust und am Bauch festzuhalten. Gleichzeitig hallte ein ohrenbetäubendes Klingeln in meinen Ohren wider, das nur von einer lauten Explosion stammen konnte. Gleichzeitig drehte sich der Hubschrauber so schnell um seine eigene Achse, sodass mir schwindelig wurde und ich mich mit aller Kraft am Gurt festhalten musste, damit ich nicht hinausgeschleudert wurde. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten, oder was gerade passiert war. Trotzdem versuchte ich meinen Kopf zu drehen, sah langsam nach rechts und blickte auf der gegenüberliegenden Seite in ein offenes Loch, mitten im Helikopter. Dort wo zuvor noch ein Mädchen aus Clerise' Team gesessen hatte. Mir stockte der Atem, das Blut gefror mir in den Adern. Was war nur passiert?

Neben dem leeren Platz schrie Clerise mit geschlossenen Augen wie am Spieß und krallte sich in den Gurt. Trotz meines Schwindels und obwohl sich mein Gesichtsfeld dunkel an den Rändern eintrübte, drehte ich mit aller Willenskraft den Kopf auf die andere Seite, zu Soulin. Plötzlich knallte mein Kopf gegen den Rückenteil und die Schwärze verschluckte mich gänzlich, wie der Tod.


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Witch of the WolvesDove le storie prendono vita. Scoprilo ora