Kapitel 4. 3

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Vier Tage lang war ich auf der Krankenstation gelegen. Gemeinsam mit fünf anderen Prüflingen, die verletzt worden waren. Einige schlimmer als ich und drei von uns waren bei dem Test sogar umgekommen. Immer, wenn ich an diese Prüfung zurückdachte, musste ich die Zähne zusammenbeißen. Zum Glück lenkte mich Soulin, Lexlain, Zora oder Salie an meinem Krankenbett ab, brachte mir Bücher, Süßigkeiten und jedes Brettspiel, das in unserem Zimmer gewesen waren und die wir seit Jahre nicht mehr gespielt hatten. Einmal war auch Soulins kleine Schwester Amberly mitgekommen, um zu sehen, ob es mir gut ging und um mir die Zeit zu vertreiben. Ich wusste es besser. Sobald Soulin auf die Toilette gegangen und wir zu zweit gewesen waren, hatte Amberly meinen Unterarm gedrückt und mir gedankt, dass ich Soulin heil aus der Prüfung geschafft hatte.

„Ich weiß nicht, was da drinnen passiert ist, Soulin darf mir nichts verraten, aber es muss schlimm gewesen sein. Nachts hat sie Alpträume davon. Also danke. Danke, dass du sie unverletzt rausgeholt hast."

„Sie ist meine beste Freundin, ich würde alles für sie tun. Außerdem war das nicht mein Verdienst. Wir sind ein Team."

„Doch, und das wissen wir alle drei. Soulin hat vielleicht mehr magische Kraft, aber du bist jemand, der handelt, wenn es darauf ankommt. Nimm meinen Dank an. Und wir sind ebenfalls Freunde, du hast mehr, als du denkst."

„Okay, danke."

Für ihre sechzehn Jahre hatte Amberly eine ruhige, aber energisch durchdringende Art, der man nur schwer widersprechen konnte. Daher hatte ich es gelassen und ihre Worte so angenommen, wie sie waren. Dankbar, freundlich und aufbauend. Dann war Soulin zurückgekommen und wir hatten das Thema gewechselt. Neben den beiden war Luna, meine früher Lehrerin, oft an meinem Bett erschienen und hatte mich mit lustigen Geschichten von den Hexenkindern abgelenkt. Luna lebte dafür, die Kleinsten von uns mit ihrer Windmagie ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Wie oft hatte ich versucht fliegende Blüten oder Blätter zu fangen, wenn Luna uns früher in Mums Haus besucht hatte? Das war einer meiner frühesten Kindheitserinnerungen an sie.

Neben meinen Freundinnen hatte sich einmal Jeromei oder sogar Nyle eines Abends zu mir geschlichen. Obwohl ich mich unglaublich gefreut hatte, meinen Bruder unversehrt zu sehen, hatte ich ihn bald wieder weggeschickt, damit ihn niemand bei mir entdeckte. Sicher war sicher. Es gab sowieso schon zu viel Getuschel, wegen meiner Besuche im Jungenwohnheim. Außerdem hatte ich schon das eine oder andere Mal gehört, wie Väter oder Brüder in andere Ausbildungsstätten im Land geschickt worden waren, wenn sich eine Hexe zu eng an einen gebunden hatte. Es störte das hierarchische Gefüge der Hexengesellschafft, - was immer das heißen sollte - in der weibliche Hexen herrschten, weil sie diejenigen mit der Magie waren. Ich wollte nicht von Nyle getrennt werden. Bestimmt nicht.

„Wir sind gleich da", informierte mich in diesem Moment eine Hexe, die mich durch das Weiße Haus Salem führte. „Oberhexe General Lilianna wird nicht warten wollen. Ihre Zeit ist begrenzt."

Damit riss sie mich aus den Erinnerungen und machte mir klar, wie bedeutsam das bevorstehende Treffen war. Nichtsdestotrotz musste ich mir auf die Zunge beißen, um keinen Kommentar abzugeben. Immerhin hatte nicht ich um dieses Treffen gebeten, sondern wurde hierher beordert. Es fühlte sich an, als hätte ich etwas angestellt und wäre zum Direktor nach Washington DC zitiert worden. Gegen dieses Gefühl half auch die schicke, ehrfurchtserregende Umgebung nichts. Golden gerahmte Bilder über die Geschichte des Landes hingen an den cremefarbenen Wänden, Mahagonitische und Stühle mit roten Samtbezug standen in Nischen zusammen und luden zum Verweilen ein. Marmorsäulen säumten einzelne Hallen und ein roter, dicker Läufer schlängelte sich vom Eingang über die Treppen hinauf bis hierher, zur Tür des Büros des Generals, und bedeckte damit einen teuren, weißen Marmorboden. Hier waren wir also, im Herzen der Macht. Mir wurde leicht übel.

Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen jeden Moment auf unsere Anführerin zu treffen, obwohl ich wusste, dass meine Mum und Oberhexe General Lilianna Obera Stormbreaker früher befreundet gewesen waren. Das dürfte aber nicht der Grund für diese kurzfristige Audienz sein. Oder doch? Wohl eher mein schlechtes Abschneiden bei der Prüfung. Warum sie ausgerechnet mich sehen wollte, war mir jedoch ein Rätsel. Soulin und ich waren nicht die Besten und auch nicht die Schlechtesten gewesen, sondern gutes Mittelfeld. Da ich beim Test verletzt worden war, während Soulin große magische Kräfte unter Beweis gestellt hatte, war in meinem Team Soulin sogar einen Rang über mir. Leider hatte ich in Erfahrung gebracht, dass auch Clerise höherrangiger als wir abgeschlossen hatte, was bedeutete, im Einsatz mussten wir ihren Befehlen gebrochen. Was ich ehrlich gesagt ziemlich zum Kotzen fand. Da ich Soulin unter Einsatz meines Lebens gerettet hatte, war ich zusätzlich zu ihrer Hüterin erklärt worden, was mir ganz gut passte. Eine Hüterin war jemand, der eine magisch hochbegabte Hexe mit ihrem Leben beschützte. Daher genau das, was wir sowieso gegenseitig für den anderen taten. Soulin mit ihrem Zauber und ich mit den anderen Tricks, die ich draufhatte.

„Bereit. Sie empfängt dich nun", informierte mich eine der zwei Soldatinnen, die links und rechts der Tür gestanden hatten. Soweit ich wusste, waren diese Hexen ebenfalls Hüterinnen. Die schwere Holztür schwang auf und gab den Blick auf das große, gediegene Büro frei, das früher Oval Office genannt wurde, als noch die menschlichen amerikanischen Präsidenten die Fäden gezogen hatten. Diesen Zeiten waren längst vorüber.

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Witch of the WolvesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt