Kapitel 6. 1

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Mit mir fehlten vier Soldatinnen. Clerise, Soulin und unsere Teamanführerin Sergeant Glosna. Neuen Mutes drehte ich mich um und inspizierte die Umgebung. Dabei hörte ich ein leises Plätschern aus der östlichen Richtung. Wasser war ein wichtiger Teil, um in dieser Wildnis zu überleben. Ich schnappte mir einen der heruntergefallenen Rucksäcke aus dem Hubschrauber, die alle gleich gefüllt waren. Eigentlich waren es keine Rucksäcke im herkömmlichen Sinn, sondern kleine magische Beutel namens MagBag. Sie hatten langen Riemen, um sie sich über die Schultern zu hängen oder sie quer über den Oberkörper zu tragen. Dabei waren die MagBags nur ungefähr dreißig Zentimeter lang und bestanden aus weichem schwarzem Stoff. Das größte an ihnen war die Öffnung, die einen Durchmesser von rund siebzig Zentimeter hatte, wodurch man so einiges rein, aber auch wieder rausholen konnte. Sobald der Beutel zugeschnürt war, wurde alles darin durch Zauberei klein und praktisch verstaut. Wenn ich wollte, könnte ich sogar einen Sessel, Tresor oder von mir aus einen kleinen Wolf hineinstecken. War der Beutel zu, aktivierte sich die Magie und alles darin war leichter zu transportieren. Das einzige, was die Magie nicht umwandeln konnte, war das Gewicht. Ein Tresor verschwand zwar darin, aber das Gewicht, das er hatte, war auch in seiner kleinen Form fast genauso schwer wie außerhalb des MagBags. Daher war der MagBag für diese Mission leicht beladen: mit Foliendecken, konzentrierter Riegelnahrung, Kompass, eine Wasserflasche und einem Wasserreinigungsapparat. Den MagBag schulterte ich über meinen Rücken, dann ging ich los Richtung dem plätscherten Geräusches. Es war kein langer Weg. Bloß zehn Meter durch den dichten Wald, lichtete sich dieser und ein Fluss kam zum Vorschein, der sich durch den uralten Wald schlängelte. Eigentlich ein idyllisches Bild. Würde nicht eine Leiche zwei Schritte entfernt mit dem Unterkörper im Wasser liegen, und einen blutigen Abdruck auf dem Erdreich hinterlassen. Es war der teilweise zerrissene Körper von Hexe Glosna. Zuvor noch ein Mensch, jetzt nur noch ein lebloses Stück Fleisch. Es schauderte mich. Eines ihrer Augen blickte trüb und dennoch anklagend Richtung Himmel, wo sich die Wolken zuzogen und Wind auffrischte. Die andere Gesichtshälfte, sowie die rechte Seite waren aufgeschlitzt, mit blauem Hämatomen übersäht, voller Blut und teilweise derart zerfetzt, sodass die Knochen hervorblitzten, als wäre sie in eine Schiffsschraube gekommen. Vermutlich eher in den Propeller. Eine Überlebende weniger. Ich schluckte die Übelkeit und die Angst um meine Freundin hinunter und ging den Fluss entlang, anstatt frisches Wasser in meine Flasche zu fühlen. Es fühlte sich schmutzig an und das abgestandene Wasser war mir lieber, als jenes mit ihrem Blut verwaschen. Daher wandte ich den Blick auf den Boden und meine Umgebung, immer auf der Suche nach verräterischen Fußspuren. Entweder von denen von Clerise oder von Soulin. Würde ich in der nächsten halben Stunde nichts finden, war mein Plan, umzukehren und zum Hubschrauber zurück zu gehen. Dort wollte ich mir über Nacht einen Platz in den Bäumen suchen, wo ich geschützt und dennoch Blick auf das Wrack hätte. Morgen wäre ein weiterer Tag, die zwei anderen zu suchen, sollte ich heute kein Glück mehr haben, was ich nicht hoffte. Die Sorge würde mich kein Auge zumachen lassen. Daher musste ich mich beeilen, bald kam die Dunkelheit der Nacht. Und mit ihr die Gefahren, die im Finstern lauerten. Die Sonne war bereits hinter dicken Regenwolken verschwunden, die nach einer ungemütlichen Nacht aussahen. Mit beschleunigten Schritten ging ich weiter und hielt Ausschau. Einige Minuten vergingen, wurden zu einer halben Stunde, schließlich zu einer vollen. Anstatt den gleichen Weg zurück zu gehen, beschloss ich kurzerhand querfeldein Richtung Wrack zu marschieren. Damit vergrößerte ich den abgesicherten Bereich und hätte keine Zeit vergeudet. Wieder vergingen einige Minuten und ich spürte erste feine Tropfen auf meiner Nasenspitze. Ich hob leicht den Kopf und weitere folgten. Auf die Wange, die Stirn, die zusammen gepressten Lippen. Grimmig senkte ich den Kopf und wollte soeben über einen Ast steigen, als mich etwas im Augenwinkel erstarren ließ. Zuerst ergriff mich Panik, dann wallte Hoffnung in mir auf. Wenige Meter entfernt gab es eine erhöhte Böschung, die ungefähr so hoch wie meine Körpergröße war. Ein großer Stein thronte darauf, doch was meine Aufmerksamkeit erregt hatte, war das rot, orangene Blitzen dahinter. Soulins Haare. Sie musste ohnmächtig sein, vermutlich verletzt, wenn sie hier lag. Aber zumindest hatte ich sie gefunden. Nun konnte ich ihr helfen, sie war da. Stürmisch rannte ich los, unterdrückte ein schmerzhaftes Stöhnen, während meine Rippen protestierten und kletterte stattdessen noch schneller den Hügel hinauf. Dabei klammerte ich mich an Baumwurzeln und vereinzelten Steinen fest, die meine Handflächen aufrissen und Nägel abbrachen. Keuchend kam ich oben an, hastete zu ihr und plapperte drauf los: „Soulin, Soulin! Verdammt, hast du mir einen Schrecken eingejagt. Endlich hab' ich dich gefunden, Lady."

Sie lag mit dem Rücken auf dem weichen Gras, die Augen waren geschlossen und ihr Haar lag wie ein roter Fächer rund um ihr blasses Gesicht. Ein viel zu blasses Gesicht. Ich schluckte und trat näher, scannte ihren Körper, konnte aber keine Verletzungen erkennen. Langsam kniete ich mich neben sie, meine Beine weich wie Butter. Unter mir spürte ich Feuchtigkeit, aber ich sah nicht hinunter, sondern in ihr Gesicht, das wie im Schlaf entspannt vor mir lag. Irgendetwas stimmte nicht.

„Komm schon, Süße. Was ist los? Wach auf", bat ich in die Stille hinein. Ihre Antwort blieb aus.

Mit zittrigen Händen streckte ich meinen Arm nach ihrem Hals aus, um einen Puls zu ertasten. Meine Fingerspitzen berührten ihre Haut und ein Wimmern stieg in mir auf. Ihr Körper war eiskalt, fühlte sich wie lebloser Wachs unter meinen tauben Fingern an, die immer heftiger zitterten. Das konnte nicht sein, das würde ich nicht hinnehmen. Nein. Nein. Nein!

Nun plötzlich wütend untersuchte ich mit fahrigen Händen entschlossen ihren Körper. Über Gesicht, Kopf, Rippen... dort! Ich hielt inne. Vorsichtig schlug ich ihren MagMan weiter auf, den sie nicht geschlossen gehabt hatte und der locker über ihrer Brust lag. Darunter kam ihre schwarze Tunika zum Vorschein und mitten in ihrer linken Brust steckte ein dünner Zweig. Nur mit einem Durchmesser von zwei Zentimeter ragte er nicht einmal handbreit aus ihrer Brust, wo ihr Herz geschlagen hatte. So klein, so unscheinbar und doch so tödlich. Es war, als hätte jemand einen Schalter in mir umgelegt. Ich sackte in mir zusammen. Der Schmerz und die Trauer rissen mich tief in ein dunkles Loch, aus dem ich nicht mehr hervorkriechen würde. Soulin war tot und ich wollte mit ihr sterben.


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Witch of the WolvesWhere stories live. Discover now