Kapitel 6. 2

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Ein Hämmern pochte schmerzhaft in meinem Schädel, als würden darin rachsüchtige Hexen unzählige Raketen anzünden. Genauso laut klingelten meine Ohren und ich glaubte sogar den rhythmischen Kopfschmerz als Ton wahrzunehmen. Mir war direkt schlecht davon und ich presste die Kiefer fest aufeinander. Dennoch sammelte sich Spuke in meinem Mund. Erst in der nächsten Sekunde schmeckte ich den Eisengeschmack. Warum hatte ich Blut im Mund? Und warum zum Teufel tat mir der ganze Körper weh, als hätte mich ein Wolf durch die Mangel genommen. Neben dem Kopf pulsierte meine linke Seite und an den Oberarmen fühlte es sich an, als hätte mich ein Rammbock getroffen. Vielleicht sollte ich endlich die Augen öffnen, aber selbst das tat weh, wie mein ganzes Gesicht. Das Blut rauschte in meinen Ohren und das Gesicht pulsierte und brannte. Scheiße, was war nur passiert?

Blinzelnd öffnete ich behutsam die Lider. Vor mir hingen grün belaubte Äste und ein üppig bewachsener Waldboden baumelte über mir. Das gab überhaupt keinen Sinn. Ich drehte den Kopf weiter und sah an mir herunter, was weh tat und mich schwindelig werden ließ. Aber dafür endlich Sinn machte. Ich hing kopfüber in einem Baum, eingefädelt mit dem Gürtel meines MagMan an einem Ast rund fünf Meter über den Waldbo-

Plötzlich fiel mir wieder ein, was passiert war. Der Auftrag! Die Mission in Spanien! Der Hubschrauber und unser Absturz. Verdammter Scheiterhaufen! Soulin! Wo war Soulin?

„Soulin", brüllte ich. Es kam aber nur als raues Krächzen heraus. Bevor ich erneut schrie, biss ich mir fest auf die Lippen. Scheiße! Scheiße! Scheiße! Ich musste mich zuerst beruhigen. Wenn ich wie eine Irre im Baum gefangen herumbrüllte, würde das nur ungewollte Feinde anlocken. Wir befanden uns auf Feindesgebiet, dementsprechend musste ich logisch und bedacht vorgehen, wie wir es trainiert hatten. Daher schloss ich für zehn Sekunden die Augen, atmete tief ein uns aus, wobei ich die Schmerzen an den linken Rippen ignorierte. Sobald mein Puls trotz der Umstände, halbwegs normal ging, öffnete ich die Augen, um meine Lage zu sondieren. Tatsächlich hing ich rund fünf Meter über den mit Büschen und hohen Gras bewucherten Waldboden, bei dem ich mir bei einem Sturz dennoch den Hals brechen würde. Gehalten wurde ich nur durch einen dünnen Ast, der mich wie durch ein Wunder am Gürtel aufgefangen hatte. Wäre dieser nicht ordentlich mit doppelten Knoten zusammengebunden, oder bestünde nicht aus dem gleichen reißfesten magischen Material, wie der restliche Mantel, läge ich nun dort unten. Zerbrochenen wie eine kaputte Marionette. Daher konnte ich es vergessen, mit einem meiner Tantos, den Gürtel aufzuschneiden. Ebenso nicht den MagMan.

Damit blieb mir nur übrig, mich über einen anderen Ast zu hanteln, und den Baum hinunter zu klettern, egal wie lädiert ich mich fühlte. Ich streckte den Arm aus und griff nach einem anderen Ast schräg über mir. Es fehlten mindestens zwanzig Zentimeter, das konnte ich vergessen. Eine weitere Option war, mich mit dem Oberkörper hoch zu schwingen, den Ast, der mich aufgegabelt hatte, zu ergreifen, mich hochzuziehen und dann weiter zu machen. Bei der ganzen Turnerei, die vor mir lag, mochte ich gar nicht an die schmerzenden Rippen denken. Aber es half nichts, da musste ich durch. Einmal holte ich tief Luft, anschließend schwang ich zwei Mal vor und zurück, bis ich den dritten Schwung nutzte und mich nach oben zu katapultieren, den Ast erwischte und mich schwungvoll über den Ast drehte, um mich anschließend ächzend nach oben zu hieven. Dabei ging mir beinahe die Puste aus. Und es tat weh. Höllisch weh. Verdammter Hexenbesen! Blitzende Sterne bildeten sich in meinem Blickfeld und die Brust stach, als hätte ich einen Dolch darin stecken. Okay, vermutlich war eine Rippe gebrochenen. Die brauchte ich genauso dringend wie eine Warze auf der Nase, verflucht. Ich verbiss mir einen lautstarken Fluch. Es brachte mir rein gar nichts, hier auf dem Ast sitzend herum zu heulen, sondern ich musste hier runter und nach den anderen suchen. Ich konnte nicht die einzige Überlebende sein. Wenn ich mit einer gebrochenen Rippe und verschrammten Gesichtshälfte einen Hubschrauberabsturz überlebt hatte, durfte ich nicht die einzige mit so einem Glück gewesen sein. Nur hatte ich keine Ahnung, wie schwer die anderen verletzt waren. Nach dem verbrannten Geruch zu urteilen, der beißend wie eine dunkle Wolke über den Kiefernduft lag, konnte der Helikopterwrack nicht weit entfernt sein. Mit zittrigen Fingern, die dem Adrenalin und meiner Angst um die anderen geschuldet waren, öffnete ich den Knoten meines Gurtes. Sofort konnte ich mich in eine sitzende Position aufrichten und war von dem Ast befreit, der mich aufgespießt und gleichzeitig gerettet hatte. Rasch tätschelte ich die raue Rinde. „Danke, du knorriges, altes Ding. Hast was gut bei mir."

Anschließend rutschte ich über den Ast zum Baum, den ich mit zusammengebissenen Zähnen hinunterkletterte. Erneut schimpfte ich lautlos über den Schmerz an meiner linken Seite. Einen aufgerissenen Arm oder ein blutendes Bein könnte ich verarzten, aber hier war ich machtlos. Wenn diese dumme Rippe keine wichtigen Organe angepickt hatte, musste ich mir keine Sorgen machen, sondern einfach nur genervt abwarten, bis die langwierige und schmerzhafte Verletzung abgeheilt war.

Sobald ich den weichen Waldboden unter meinen Füßen spürte, atmete ich erleichtert auf und marschierte schnurstracks in die Richtung, die nach geschmolzenen Plastik roch. Ich musste nicht weit gehen. Zwischen zwei meterhohen Tannen, Buchen und Birken hingen zwei Hälften des Helikopters. In der Mitte auseinandergerissen wie ein Spielzeug, klaffte der Innenraum offen hervor, verbunden nur noch durch ein paar Kabel. Der vordere Teil des Hubschraubers berührte mit seiner Spitze beinahe den Boden. Bei dem Absturz hatte er sich durch das dichte Blattwerk gefräst und die Sonne schien in einer Schneise auf den Unfallort wie ein Heiligenschein. Durch das Cockpitfenster sah ich die aufgespießte Pilotin. Zwischen ihrer Brust steckte ein Ast, an dem dickflüssiges Blut herab tropfte. Fluchend wandte ich mich ab. Der hintere Teil des verunglückten Fluggefährts hing zwei Meter über den Boden. An einer Seite befand sich ein halbrunder schwarz ausgefranster Teil, als hätte es dort eine Explosion gegeben. Ein technischer Fehler? Eine Rakete, die vom Boden aus gekommen war? Eine Bombe an Bord geschmuggelt? Es gab zu viele Möglichkeiten, ich musste es genauer untersuchten, sobald ich auf weitere Überlebende gestoßen war. Hier am Wrack hatte ich damit kein Glück. Der offene Frachtraum hing klaffend über mir. Drei Hexen hingen schlaff in ihren Gurten. Allesamt waren sie tot. Entweder das Genick gebrochen, von Ästen durchsiebt, oder stark am Hinterkopf und Nase blutend, was auf einen Schädelbruch hindeutete. Bei ihren Anblick spürte ich Trauer, aber auch ein Funken Erleichterung. Schlechtes Gewissen packte mich, aber wem sollte ich etwas vormachen? Soulin war nicht unter den Toten, was bedeutete, dass sie ebenfalls noch am Leben sein konnte. Meine ganze Hoffnung klammerte sich daran. Ich würde sie finden und verarzten, dann wäre alles wieder gut. Zumindest in meiner kleinen, persönlichen Welt. Den Rest konnten wir anschließend zu zweit oder den anderen aufklären.

Witch of the WolvesWhere stories live. Discover now