Ein paar Stunden später wachte ich grummelnd auf.
Mein Handy vibrierte gerade zum ungefähr fünfhundertsten Mal. Jetzt riss mir der Geduldsfaden.
Ich öffnete mühsam die Augen – und merkte, dass ich direkt auf den Abgrund hinuntersah.
Ähhh, ich meinte natürlich den Teppich, auf dem das Bett stand.
Außerdem spürte ich alle paar Sekunden einen leichten Lufthauch an meinem Nacken, der mir kleine Schauer den Rücken hinunterjagte. Und zwei starke Arme ruhten um meine Taille, sodass ich mich keinen Millimeter in irgendeine Richtung bewegen konnte.
Unwillkürlich musste ich grinsen und pustete mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
Harry hatte mich also, während wir beide wie zwei Steine geschlafen hatten, bis an die Kante des Bettes gedrängt. Wenn er noch ein paar Zentimeter weiterrutschen würde, würde ich Bekanntschaft mit dem geradeeben schon erwähnten Teppich machen.
Untersteh dich, Harold, dachte ich und musste mir ein Lachen verkneifen.
Ich schälte meine Hand vorsichtig unter der Decke hervor, um Harry nicht aufzuwecken, und griff nach meinem Handy, das ich erreichen konnte, ohne dass ich mich strecken musste.
Ich entsperrte die Displaysperre und hätte beinahe aufgestöhnt, als ich sah, dass bei der Whatsapp-App eine kleine rote 27 stand.
Siebenundzwanzig!
Na super. Nicht mal in Ruhe schlafen kann man, Jana. – Es war natürlich klar, von wem der Großteil der Nachrichten stammen würde, keine Frage, inzwischen ist meine Lieblingscousine ja mehr als nur gut dafür bekannt, dass sie gerne hunderttausend Nachrichten hintereinander verschickte.
Guuut, dann widmen wir uns eben den bestimmt wahnsinnig unwichtigen Nachrichten. Man hat ja sonst nichts zu tun, wenn man wach ist und sich eh keinen Nanometer von der Stelle rühren kann. – Nicht dass ich mich über meine Situation beschwerte, im Gegenteil, ich würde am liebsten für immer so liegen bleiben.
Ich tippte auf die App und wartete, bis alles geladen war.
Harry hinter mir seufzte im Schlaf und ich spürte, wie er sein Gesicht in meinen Nacken kuschelte und mich sowohl mit Nase, Stirn als auch seinen Lippen berührte. Sein Griff um meine Taille verstärkte sich noch ein wenig und er fuhr mit der einen Hand an meinem Arm herunter bis zu meinem Handrücken, wo er seine Hand liegen ließ.
Eine warme Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter und mein Herz machte einen riesigen Satz, wonach es unregelmäßig weiterklopfte. Frühmorgens schon solche Konfrontationen, das hielt es wirklich nicht aus. Aber wie gesagt, ich beschwerte mich nicht über meine Lage.
Ich hätte mich so gerne umgedreht und hätte Harry einfach nur angesehen. Aber dann wäre er wahrscheinlich aufgewacht, und außerdem war ich doch ehrlich gesagt zu neugierig, was Jana mir schon wieder alles geschickt hatte.
Ich scrollte in ihrem Chat nach oben zur ersten Nachricht.
Und mir blieb das Herz stehen.
Ich hörte auf zu atmen.
Zu blinzeln.
Zu denken.
Alles in mir erstarrte.
Jana hatte mir unzählige Fotos geschickt.
Und alle zeigten fast das Gleiche.
Screenshots.
Screenshots von Artikeln auf Internetseiten.
„Aufgepasst, Directioner!
Wer ist das mysteriöse Mädchen, mit dem Harry Styles (19) gestern München unsicher gemacht hat?"
Ich schnappte lautlos nach Luft und mir schnürte es die Kehle zu.
Mit starren Fingern wischte ich über das Display und das nächste Bild erschien.
„Wen hat One-Direction-Schnuckel Harry Styles denn diesmal wieder abgeschleppt?"
Und das nächste.
„Möchte jemand wetten, wie lange diese Liebelei mit einem deutschen, unbekannten Mädchen wohl halten wird? 2 Tage? 2,5 Tage?"
Ich löste Harrys Arme von mir und achtete nicht einmal darauf, ob ich ihn weckte – was ich Gott sei Dank nicht tat, nebenbei bemerkt.
Ich stand aus dem Bett auf und lief lautlos auf das luxuriöse Badezimmer zu, das zu diesem Hotelzimmer gehörte. Sofort fing ich an zu frieren.
Ich schloss die Tür hinter mir ab und ließ mich zittrig auf dem Rand der Badewanne nieder.
„Schon wieder die nächste, Harry?
– Wer das diesmal wohl wieder ist?"
...Und überall waren Bilder von Harry und mir, wie wir lachend und Hand in Hand durch die dunklen Straßen von München liefen.
„Next, please!
– Hazza hat mal wieder eine Neue am Start! Wundert das noch irgendwen?!"
Mir lief eine eiskalte Gänsehaut über die Arme und ließ beinahe kraftlos mein Handy auf die Marmorfliesen fallen.
„Yippieh, eine Neue!
Harry Styles (19) Hand in Hand mit einer unbekannten Schönheit in München gesichtet!"
Ich hatte diese Paparazzi nicht einmal gesehen. Ich hatte nichts außer Harry wahrgenommen.
„What the f@&$, Harry?
Gerade einmal einen Tag in München und schon hast du eine wunderschöne, schwarzhaarige Schönheit an der Angel?!"
Ich scrollte weiter und es erschienen immer mehr Bilder. Immer mehr Screenshots von Internet-Artikeln, die über Harry und mich erschienen waren. Nicht nur deutsche, nein, Jana hatte auch englische, italienische, spanische und sogar einen japanischen oder chinesischen (was auch immer) gefunden.
Es hatte sich wie ein Lauffeuer auf der ganzen Welt verbreitet.
Harry Styles hatte wieder eine neue Flamme am Start.
Und die Welt wartete nur darauf, dass sie sich wieder trennen würden.
Die Welt wartete darauf, dass Harry Styles, der Player schlechthin, das kleine, arme, deutsche Mädchen fallen lassen würde.
Meine Sicht verschwamm, weil mir bittere Tränen in die Augen stiegen, und ich sah von meinem Handy auf.
Ich hatte Recht gehabt.
Ich hatte von Anfang an Recht gehabt.
Mein Unterbewusstsein hatte mich nicht umsonst rund um die Uhr gewarnt.
Es war nie auch nur eine hauchdünne Chance vorhanden gewesen, dass Harry und ich ernsthaft eine Beziehung führen konnten.
Nie. Niemals war eine Chance irgendwo in Sicht gewesen.
Die Welt hasste mich jetzt schon, und jeder wartete darauf, dass er mich verbal im Internet zerfleischen konnte.
Oh Gott, und erst die Directioner!!!
Ich schluchzte auf und presste mir die Hand auf den Mund.
Ich wollte mir gar nicht ausmalen, in was für Wallungen und Panik und Hass die ganze One-Direction-Welt versetzt worden ist, als diese Fotos aufgetaucht sind! Ich wollte gar nicht wissen, wie jetzt schon über mich, die „neue arme Flamme" von Harry Styles, hergezogen wurde!
Wie sie mich alle jetzt schon hassten, bevor sie überhaupt meinen Namen kannten.
Ich rutschte vom Badewannenrand und sank hinunter auf meine nackten Knie. Ich stützte mich vorneüber auf meinen Händen ab und der kalte Marmor des Fußbodens brannte auf meinen Handflächen. Mein Handy war mir jetzt endgültig aus der Hand gerutscht und lag jetzt neben mir auf dem Badewannenvorleger. Einer der Artikel strahlte mir unbarmherzig entgegen und das Messer, das sich mit jedem Wort, das ich gelesen hatte, immer tiefer in meine Brust gedrückt hatte, raubte mir so sehr den Atem, dass mir schwarz vor Augen wurde.
Plötzlich klopfte es an die Tür.
„Sam? Bist du da drinnen?"