War of Hearts
Ruelle
Sam
Völlig erschöpft ließ sich Percy auf die Couch und damit auch halb auf mich fallen, sobald er seine Schuhe abgestreift hatte. Schmunzelnd hob ich mein Buch, sah zu ihm hinab, während er es sich auf meinem Schoß gemütlich machte. »Dir auch Hallo.«, begrüßte ich ihn. Grummelnd verschränkte er die Hände hinter seinem Kopf und schloss die Augen, »Du glaubst nicht, wie kurz davor ich bin, einfach ein Restaurant in der Karibik aufzumachen und diesen ganzen Idioten in Anzügen einfach zurück zulassen.« Ich verkniff mir ihm mit zuteilen, dass er auch in die Kategorie Idiot im Anzug fiel und strich ihm stattdessen über die Haare. »Darf ich mit kommen?«, fragte ich und er blinzelte verschlafen zu mir hinauf.
Heute war ein anstrengender Tag für ihn gewesen, was vor allem daran lag, das morgen das Jahr zu Ende sein würde und so ziemlich jeder sich bei dem zukünftigen Boss einschleichen wollte, bevor es offiziell war. »Klar. Nur denke ich nicht, dass du es lange ohne deine geordneten Kugelschreiber und Berichte aushalten wirst.« Ich verzog skeptisch die Stirn. »Du bist praktisch süchtig, nach Druckertinte und langweiligen Meetings.«, legte er nach und ich warf schnaubend meinen Kopf in den Nacken. »Du übertreibst.«
»Wahrscheinlich.«
Percy sah lächelnd zu mir hinauf, und ich wurde schon nervös unter seinem Blick, als er sich ruckartig aufrichtete, als wäre ihm etwas eingefallen. Als sein Blick zum Gästezimmer wanderte, wusste ich auch was. »Ist Milena bereits -?«
»Sie hat heute Nachmittag das Gästezimmer bezogen.«, seufzte ich und legte mein Buch zur Seite. Percy nickte, ein Muskel in seinem Kiefer zuckte. »Wo ist Darcy?«, fragte er dann, als er sich zu mir wandte. Ich erhob mich und steuerte die Küche an, »Sie ist mit ihrer Mutter einkaufen gegangen.«
»Einkaufen?«, kam es verwirrt von der Couch. »Aber Darcy hasst shoppen!« Nickend goss ich mir ein Wasserglas ein. Das hatte ich auch gedacht.
Percy folgte mir, lehnte sich mit verschränkten Armen gegen einen Barhocker. Seine Züge waren verzogen, und sah damit so dermaßen aus, wie ein besorgter Vater, dass ich auf lachen musste. »Sie verbringen nur ein wenig Zeit mit einander. Und du weißt, dass man Darcy zu nichts bringen kann, wenn sie es nicht tun will.« Dementsprechend ist die freiwillig mit in die Mall. Sein Gesichtsausdruck wurde noch schlimmer. »Warum verteidigst du sie?« Ich stellte das Glas auf die Platte. »Hm?«
»Milena.«, stellte er klar. »Ist shoppen den ein Verbrechen?«, lachte ich und trat auf ihn zu.
Ich nahm seine Arme und legte sie um meine Hüften, zog ihn so an mich. »Sie hat mich heute Morgen gebeten, ein gutes Wort für sie einzulegen.« meinte ich und er verdrehte die Augen. Ich fragte mich, wie er wohl reagieren würde, würde ich ihm sagen, dass sie mir heute morgen auch praktisch gestanden hatte, dass sie ihn nach all den Jahren immer noch liebte und gerade dabei war, zu versuchen ihn zurück zu gewinnen. »Und?«, raunte er, seine Arme fest um meine Hüften. »Bist du jetzt in ihrem Team? Trägst du ihre Banner?« Mein Nasenrücken streifte seine Wange, als ich mich näher zu ihm lehnte, »Jetzt gibt es schon Teams?« Seine Hände wanderten zu meiner Brust, drückten mich sanft ein Stück zurück. »Sam.«, meinte er ernst und ich legte fragend den Kopf schief. »Du,« begann er und schien zu hadern.
»Du kannst mir nicht weiß machen, dass das für dich alles so okay ist!«, raunte er energisch und sah mich an, schien auf etwas von mir zu erwarten. Ich lächelte schwach, schob ihm die Brille zurecht. Ob es für mich okay ist? Ob er mich das auch fragen würde, wenn er wüsste, was wirklich in mir vor sich ging? Ich hatte kein Recht darauf, eifersüchtig zu sein. Wütend auf die Tatsache zu sein, dass sie es nun war, die in genau dem selben Gästezimmer schlief, dass noch vor ein paar Monaten meines gewesen war. Oder dass Darcy nun mit ihr Abba-Songs auf dem Weg zur Schule singen würde. Oder dass Milena jetzt die Erste sein würde, die nun den verschlafenen Percy am Morgen sehen durfte.
Denn die Wahrheit war, ich wollte sie hier nicht. Nicht an Percivals Seite und schon gar nicht dieser Wohnung. Ich wollte nicht teilen. Gottverdammt nochmal, ich wollte noch nie so sehr jemand anderes sein, wie in dem Moment in dem ich Milena Heart kennenlernte! Denn sie war alles, was ich nie sein würde. Percivals erste Liebe. Darcys richtige Familie. Ich wollte mich aufführen, sie anbrüllen, dass sie diejenige war die kein Recht hatte! Aber das wäre eine Lüge. Und das wusste ich.
Ihr gehörte das alles. Mein Platz. Es war von Anfang an ihrer.
Ich hielt das Lächeln aufrecht, ließ mir nichts anmerken wie immer, als ich meine Stirn gegen seine lehnte, seinen Duft einatmete, als wäre es das erste Mal. Shit. Ich wollte nicht, dass er wusste, welch kindische Gedanken mich in den Wahnsinn trieben.
Wenn ich könnte, würde ich dafür sorgen, dass jeder in diesem ganzen Land wissen würde, dass ich es war, der Percival Moreau berühren durfte. Gott, es brachte mich um, in den Schatten zu bleiben.
Aber es gab eine wichtigere Sache, als meine Wünsche. Und das waren sie. Und das Beste für sie - Darcy, Percy- war die Chance auf eine Mutter, auf ein weiteres Elternteil in in ihrem Leben. Jemand, der sie kannte. Jemand, der an ihrer Seite stehen konnte. Und wenn ich ihnen auch nur die Chance auf so etwas ermöglichen konnte, würde ich mit tausendmal auf die Zunge beißen, das Blut schmecken.
An Percy zerrten schon genug Dinge. Ich würde nicht auch zu einem der Dingen werden, über die er sich Sorgen machen musste.
Deswegen lächelte ich nur, legte meine Hände an seine Kehle, spürte seinen Puls an meinem. »Wäre es dir lieber wenn ich mich aufführen würde, wie eine eifersüchtige Affäre?« Percy schloss unter meiner Berührung die Augen, »Du bist keine Affäre.«
»Mhh.«, brummte ich und küsste ihn kurz auf die Lippen. »Gut zu wissen.«
Er war gerade dabei den Kuss zu vertiefen, als ich mich von ihm löste und zum Kühlschrank marschierte. »Morgen ist dein großer Tag.«, erinnerte ich ihn, als ich mich durch die Lebensmittel grub. Percy setzte sich hinter mich auf einen Hocker, »Das klingt, als würde ich eingeschult werden.« Ich schnaubte, während ich checkte ob ein Joghurt bereits abgelaufen waren. »Ich dachte, vielleicht koche ich uns etwas? So als letzten Abend, bevor du Geschäftsführer wirst?«, schlug ich vor und sah über die Schulter zu ihm nach hinten. Er hatte seinen Kopf auf seine Hände geschützt, lächelte, »Du bist dir also sicher, dass ich es werde?« Die Würfel waren bereits gefallen. Jeder in der Firma wusste es bereits. Ich schnalzte verächtlich mit der Zunge, »Natürlich. Also, was ist mit einem Ess-? Hey, jetzt schau nicht so!«, ermahnte ich ihn, als ich seine Grimasse sah. »Du bist nicht der einzige der kochen kann!«
Percy hob grinsend die Hände, setzte gerade zum Widerspruch an, als die Tür sich krachend öffnete. »Dad!«, erklang Darcys aufgeregte Stimme aus der Diele, »Du musst dir das ansehen!« Sofort erhoben wir uns, doch das war gar nicht nötig, da das Mädchen bereits voll bepackt in die Küche stürmte. Unzählige Tüten hingen um ihre Arme, verbargen fast ihr Antlitz, als sie vor uns zum stehen kam, hinter dem Berg zu uns hinauf grinste. »Was zum-?«, begann Percy, der Schock deutlich in seinen Zügen. »Mom hat mir ein paar Sachen gekauft!«
»Ein paar?!«, fuhr er entsetzt auf.
»Ach, hab' dich nicht so!«, meinte Milena, die Darcy in die Küche folgte, auch ihre Arme waren nicht frei von Taschen. Doch mein Blick lag eher auf dem strahlenden Lächeln in ihrem Gesicht. Sie schienen Spaß gehabt zu haben. »Jedes Mädchen braucht Klamotten!«
»Oh, sie hat Klamotten!«, argumentierte Percy, anscheinend ziemlich wütend. »Und dank dir, könnte sie jetzt wahrscheinlich ein ganzes Waisenhaus einkleiden!« Milena winkte ab, »Jetzt, hab dich nicht so! Ich habe ihre gerne diese Dinge gekauft. Außerdem ist es mein Geld.«
»Es geht nicht ums Geld, Milena! Es geht um-«
Die Beiden brachen in eine Diskussion aus, während Darcy euphorisch um die beiden herum tänzelte, ihre neuen Errungenschaften in die Luft hielt um sie zu präsentieren.
Die Szene nahm eine seltsame Distanz an, und das Gefühl kam mir mittlerweile sehr bekannt vor. Ich hatte es auch Gestern bei dem Essen gespürt. Es schien, als wäre da plötzlich eine Wand. Als hätte sich die Luft verhärtet und würde mich von ihnen abgrenzen, den Klang ihrer Stimmen mit sich nehmen und mich an einen neuen Ort befördern. Es schien, als wäre ich auf einmal Unterwasser. Meilen von ihnen entfernt und doch mitten unter ihnen. Verdammt zu einem stillen Beobachter der Szenen vor mir.
Vor sehr vielen Jahren, nach dem Nadine endlich eine Familie gefunden hatte, die sie für immer adoptierte, hatte sie mich angerufen. Sie erzählte mir Dinge - an viele davon konnte ich mich nicht daran erinnern- aber eine Frage würde ich nie wieder vergessen. Ich hatte damals bei einer Familie gewohnt, die Pflegekinder als eine Art Investitionen sah und durch uns an die finanziellen Hilfen vom Staat kommen wollte. Dementsprechend viele von uns, teilten uns ein Zimmer. Um dem Lärm der anderen zu entkommen, hatte ich mich an jenem Abend mit dem Telefon in einem der Schränke verkochen und den Hörer dicht an mein Ohr gedrückt um ihre Antwort ja nicht zu verpassen.
Wie ist es so? Eine richtige Familie?
Ich hatte mich lange an ihre Worte geklammert, bis ich sie irgendwann zwischen Akten und Berichten vergessen hatte. Doch in diesem erinnerte ich mich plötzlich klar an ihre Stimme, als würde ich den Hörer immer noch gegen mein Ohr drücken. Wir streiten viel. Percy verschränkte genervt die Arme, doch ich kannte diese Art von Kopfschütteln. Seine Wut war bereits verflogen. Aber die meiste Zeit geht es um sehr banale Dinge. Milena lächelte entschuldigend und schien etwas zu erwidern. Ich glaube, sie sind nie wirklich sauer. Darcy grinste, als sie Percy ein Shirt zeigte. Liebevoll fuhr er ihr über die Haare. Sie machen sich nur Sorgen um einen. Ich lächelte, auch wenn das Gefühl in meiner Brust nicht dazu verleiten würde.
Ich glaube in einer Familie will man nur das Beste für den anderen.