Heimatgefühle

By Nymeriija

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Fünf Jahren ist es nun her, seit Hermine und Draco England verlassen haben. Doch die Rückkehr in ihre Heimat... More

Zurück in die Heimat
Besuch in der Winkelgasse
Familientreffen im Fuchsbau
Tonks und Teddy
Traute Zweisamkeit
Angespannte Familienverhältnisse
Einweihungsparty
Alltag
Gespräche über die Vergangenheit
Das Wiedersehen
Vorwürfe
Eskalation
Trostspender
Grillfeier bei Freunden
Schuldgefühle
Besuch bei Andromeda
Streit und Kompromisse
Mädelstag
Denkanstöße
Leise Zweifel
Friedensangebot
Das neueste Familienmitglied
Familienbande

Eine unverhoffte Aussprache

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By Nymeriija

Endlich hatte sie etwas Zeit für sich. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wurde mit jedem Buchrücken, über den sie strich, breiter. Der Geruch von Büchern und Pergament war allgegenwärtig.

Glücklicherweise war es zu dieser Zeit nicht sehr voll in der Winkelgasse. In den letzten Monaten hatte sie diesen Ort meist gemieden, da sie zum Einen keine großen Menschenansammlungen mochte und sie zum Anderen seit dem Krieg leider keine unbekannte Person mehr war. Daran hatten auch fünf Jahre in Australien nichts geändert. Kaum zu glauben, aber aufdringliche Reporter gab es nicht nur in der Muggelwelt. Sie seufzte bei dem Gedanken an ihr letztes Mal in der Winkelgasse, als eine Hexe, die sich als Kolumnistin der Hexenwoche vorgestellt hatte, sie mit allen möglichen unverschämten Fragen über ihr Privatleben belästigt hatte. Sie hatte nur ein Buch über Desinfektionszauber kaufen wollen, stattdessen war sie nach wenigen Metern wieder umgedreht, um schnell wieder nach Hause zu kommen. Schlussendlich hatte George ihr das Buch besorgt.

Hermine ging das Regal entlang, überflog die Titel und zog amüsiert die Augenbrauen hoch, als sie eine Ausgabe von „Zauberisches Ich" erblickte. In dieser Abteilung war sie definitiv falsch. Sie schlenderte zum nächsten Regal.

Mittlerweile war es fast Ende Oktober, der große Andrang in der Winkelgasse hatte nachgelassen, seit das Schuljahr in Hogwarts begonnen hatte und so war sie, bis auf eine Dame an der Kasse, die einzige Kundin ‚Flourish and Blotts'. Es war ihr nur recht. In ihrem Zustand war es weitaus schwieriger vor irgendwelchen Reportern wegzulaufen, als noch vor ein paar Monaten.

Hermine schnaufte kurz und presste den kleinen Stapel in ihrem Arm etwas fester an sich, als sie einige starke Tritte spürte. Sie lachte leise auf schüttelte den Kopf. „Da scheint aber jemand ungeduldig zu sein. Lass deiner Mami doch ein bisschen Zeit fürs Einkaufen." Während sie das sagte, strich sie leicht über ihren Bauch. Sie schaute auf die Bücher in ihrem Arm. „Okay, vielleicht hast du recht. Drei sollten erst einmal reichen."

An der Kasse angekommen fiel ihr auf, dass sie ausgerechnet die neueste Ausgabe von Asiatische Gegengifte vergessen hatte. Kurz überlegte sie, es doch noch zu suchen, aber ihre geschwollenen Füße protestierten heftigst. Sie zuckte mit den Schultern. Dann hatte sie wenigstens einen Grund, noch einmal herzukommen. Nicht, dass sie einen brauchte.

Ein Klingeln machte darauf aufmerksam, dass ein weiterer Kunde den Laden betreten hatte. Hermine drehte kurz den Kopf, sah in den Augenwinkeln die andere Person, bevor sie sich wieder dem Verkäufer zuwandte. Ihre Augen weiteten sich, als ihr Gehirn die visuelle Information verarbeitet und sie eine Vermutung hatte, wer da nur ein paar Meter von ihr entfernt stand. Hermine schluckte und schaute vorsichtig in Richtung Tür. Sie war es wirklich, aber sie schien sie nicht gesehen zu haben.

Schnell holte sie die Galleonen aus ihrer Geldbörse, stopfte die Bücher in ihre Tasche und watschelte, so schnell sie konnte, zur Tür. Fast dort angekommen, schaute sie nochmal nach links, genau in die Augen von Ginny Weasley.

Die Zeit schien stillzustehen. Keine von beiden sagte ein Wort. Tausend Gedanken rasten Hermine durch den Kopf. Was sagte man nach fünf Jahren? Sollte sie überhaupt etwas sagen? Sie waren nicht gerade als Freundinnen auseinandergegangen.

„Hallo Hermine."

Sie blinzelte zwei Mal, öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne, dass ein Laut über ihre Lippen kam. Ihr Herz pochte und ihr Mund war trocken. Beinahe ruckartig drehte sie sich zur Tür und machte einen Schritt nach vorn, bevor sie abermals stehen blieb. Verdammt, konnte sie jetzt wirklich so einfach gehen? Hermine schloss die Augen und ballte ihre rechte Hand zur Faust, bevor sie tief einatmete und sich wieder Ginny zuwandte, die noch immer wie angewurzelt dastand.

„Hallo." Mehr kam ihr nicht über die Lippen.

Auch Ginny blieb abermals stumm, strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und schaute auf die Dekoration im Fenster. Hermine kaute auf ihrer Unterlippe, während sie zwischen Ginny und ihrer Tasche hin und her schaute. Hätte sie doch nur nicht so lange gestöbert, dann stünde sie jetzt nicht hier wie der letzte Depp, auf der Suche nach einem Ausweg aus dieser absolut unangenehmen Situation.

„Hermine?"

„Was?" Ruckartig richtete sie ihren Blick wieder auf Ginny, die sie erwartungsvoll ansah. Hatte sie ihr etwa eine Frage gestellt? „Entschuldige, was hast du gesagt?

„Ich, ähm-" Sie kratzte sich an der Nase. „Es war eine dumme Idee, entschuldige." Sie machte Anstalten, an Hermine vorbei Richtung Tür zu gehen, als Hermine sie aufhielt.

„Nein, bitte, was wolltest du fragen?"

„Ich hab dich gefragt, ob du vielleicht mit mir Essen gehen möchtest. Fortescue's hat in dieser Jahreszeit ganz wundervolle Pfannkuchenkreationen."

Hermine blinzelte und bevor sie richtig darüber nachdenken konnte, hörte sie sich selbst „Ja, das würde ich gerne" sagen. Innerlich stöhnte sie auf. Wo hatte sie sich da nur reingeritten. Aber gut, es war nur ein Mittagessen, das würde sie schon irgendwie hinter sich bringen können.

Fortescue's war um die Mittagszeit gut besucht. Sie bekamen einen Tisch im hinteren Bereich des Ladens, der durch große Topfpflanzen etwas abgeschirmt wurde, sodass sie ungestört waren. Sicherheitshalber zauberte Hermine trotzdem einen ‚Muffliato', um unerwünschte Zuhörer auszuschließen.

Beide bestellten einen herzhaften Pfannkuchen, Hermine mit gebackenem Tomate-Mozzarella und Rucola, Ginny mit Hähnchenbrustfilet in Erdnusssoße, sowie eine Flasche Wasser. Das waren auch die einzigen Worte, die an ihrem Tisch gesprochen wurden. Hermine hoffte, dass das Essen schnell gebracht wurde, nicht nur, weil sie Hunger hatte, sondern viel mehr aus dem Grund, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie ein Gespräch mit Ginny führen sollte.

Wieder war es ihr Gegenüber, die die Stille unterbrach. „Wann ist es soweit?"

Hermine legte den Kopf leicht schief, bis ihr einfiel, worauf Ginny hinauswollte. „Ende November. Ich bin in der fünfunddreißigsten Woche."

„Lass mich raten, deine Füße bringen dich um und du rennst dauernd auf die Toilette?" Ginny lachte.

„Ja, ich bin froh, wenn das vorbei ist", stimmte Hermine ihr mit einem Grinsen zu.

„Bei James ging es mir genauso. Wenn ich ihn sehe, frage ich mich immer wo die Zeit geblieben ist."

„Wie alt ist er denn?"

„Vierzehn Monate." Sie lächelte und kramte ein Foto aus ihrer Geldbörse, das sie Hermine reichte. Auf dem Bild war ein lachender Harry zu sehen, der einen kleinen, ebenfalls lachenden Jungen ein klein wenig in die Luft warf und wieder auffing. Sie strahlten pures Glück aus und Hermine konnte ihren Blick kaum abwenden. Der kleine James hatte die gleichen unbändigen, schwarzen Haare wie sein Vater.

„Seit er laufen kann, setzt Harry ihn immer öfter auf einen Besen."

„Ja, das passt zu ihm. Ich wette, Draco wartet auch nur darauf, unserem Kind das Fliegen beizubringen." Hermine schaute auf und sah, dass Ginnys Lächeln verschwunden und einem leicht gequältem Gesichtsausdruck gewichen war. Natürlich war es die bloße Erwähnung seines Namens, der die gerade gelöste Stimmung direkt wieder zunichte machte. Sie war es so leid.

„Na sag es schon", forderte sie Ginny auf. „Sag mir, dass ich eine Verräterin bin."

Ginnys Augen weiteten sich und sie schüttelte leicht den Kopf.

„Das wollte ich gar nicht."

„Ach nein?"

„Nein."

Wieder Stille, die zum Glück durch das gebrachte Essen unterbrochen wurde. Hermine war eingeschnappt und hatte jetzt schon keine Lust mehr auf die Gesellschaft. Sie würde essen und gehen, dann war das Thema ein für alle Mal erledigt.

Beide Frauen probierten ihre Pfannkuchen, peinlich darauf bedacht, sich nicht anzusehen. Es war wirklich lecker, da hatte Ginny nicht zu viel versprochen, aber Hermine vermisste den Ketchup. Sie hörte schon Draco genervtes Stöhnen, wie er es immer tat, wenn sie sein Essen, seiner Meinung nach, ‚versaute'. Es wurde wirklich Zeit, dass ihre Kleine kam, damit ihre Geschmacksnerven wieder normal wurden. Kurzerhand hatte sie den Balsamico in Tomatenketchup verwandelt. Zufrieden mit ihrer Kreation nahm sie einen großen Bissen und nahm Ginnys verständnisvolles und wissendes Lächeln nur am Rande wahr.

„Bei mir war es Mintsoße."

Nachdem sie eine Weile stumm gegessen hatten, war es Hermine, die zuerst agierte und ihr Besteck ablegte. Sie wollte nichts mehr sagen, aber sie konnte nicht anders.

„Wieso hast du mich gefragt, ob wir zusammen Essen gehen, Ginny?"

Ginny zögerte kurz. „Ehrlich gesagt weiß ich es selbst nicht."

Hermine schnaubte belustigt, wusste aber nicht, ob und was sie erwidern sollte.

„Ich schätze, ich wollte wissen, ob es unsere Freundschaft noch gibt."

„Nach allem, was war?" ‚Nachdem du dich wie eine ignorante, dumme Kuh verhalten und mich schlecht gemacht hast.' Aber sie sprach es nicht aus. Im besten Fall wusste Ginny selbst, dass es so war.

„Wir haben uns beide nicht mit Ruhm bekleckert", murmelte Ginny.

Abermals schnaubte Hermine, sagte aber nichts. Sie lehnte sich zurück, strich über ihren Bauch und wartete darauf, dass Ginny wieder das Wort ergriff.

„Warum hast du unsere Freundschaft beendet? Damals in Hogwarts."

„Das habe ich nicht", schnappte Hermine.

„Ach nein? Du hast uns ausgeschlossen, hast dich abgekapselt und wenn du Gesellschaft wolltest, dann nur die der Slytherins. Und jetzt sag nicht, dass das nicht stimmt", fügte Ginny hinzu, als Hermine den Mund aufmachte.

Statt sich zu verteidigen, starrte Hermine auf ihren Teller, wohl wissend, dass Ginny zumindest teilweise Recht hatte. Wie oft hatte sie dieses Gespräch mit Draco geführt. Oder besser gesagt: wie oft hatte Draco sie dazu bringen wollen, mit ihm darüber zu sprechen und all das zu verarbeiten, was sich seit dem Krieg aufgestaut hatte. Sie konnte nicht darüber reden. Deshalb hatte sie angefangen, die Tagebücher zu schreiben. Mittlerweile hatte sie sechs kleine Notizbücher vollgeschrieben und sie war noch lange nicht fertig.

„Ich konnte es einfach nicht", sagte Hermine mehr zu sich selbst als zu Ginny. Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „All das Lachen, die Ungezwungenheit. Nach allem, was wir gesehen haben. Nach all dem Tod und der Zerstörung." Sie hob den Kopf und sah Ginny in die Augen. „Alle haben sich benommen, als wäre nie etwas passiert."

„Jeder verarbeitet solche Dinge anders."

„Offensichtlich." Sie fing an, in ihrem Pfannkuchen herumzustochern.

„Du hättest mit jemandem reden können. Du hättest mit m-"

„Mit wem denn? Harry und Ron waren nicht da, Neville ebenfalls nicht. Ich war die einzige aus unserem Jahrgang, die das Schuljahr nachgeholt hat."

„Aber ich war doch da."

„Du hattest deine eigenen Freunde. Außerdem konnte ich diese Blicke nicht ertragen. Dieses Mitleid auf der einen und diese Bewunderung auf der anderen Seite. Diese dauernden Fragen über unsere Mission, die Lügen der Klatschblätter. Ich kam mir vor wie eine Trophäe." Sie schluckte. „Es hat doch niemanden interessiert, wie es wirklich war und wie es mir ging."

„Du hast keinem von uns eine Chance dazu gegeben. Stattdessen hast du dich versteckt."

Hermine kaute auf ihrer Unterlippe. Wieder etwas, das ihr schon öfter vorgeworfen worden war. Auch das hatte sie in ihren Tagebücher zugeben müssen.

„Es war so viel einfacher." Sie dachte an ihr letztes Jahr in Hogwarts zurück. „In der Bibliothek war niemand, der Fragen stellte." Bücher stellten keine Fragen. Wenn überhaupt gaben sie Antworten. Oder sie ermöglichten die Flucht in andere Welten. Alles in allem waren sie vielfach die bessere Gesellschaft gewesen. „Es war jeden Tag dasselbe. Am Nebentisch saßen Draco, Blaise, Theo und Daphne und sie ließen mich einfach in Ruhe. Hin und wieder haben wir uns Tinte oder Pergament geliehen. Irgendwann haben wir angefangen, uns bei Aufsätzen zu helfen." Wieder redete sie mehr mit sich selbst als mit Ginny, die sie nicht unterbrach, worüber Hermine sehr dankbar war. „Sie waren genauso Außenseiter wie ich. Es hat sich einfach so entwickelt." Sie wollte sich nicht rechtfertigen, aber die Worte sprudelten förmlich aus ihrem Mund. „Und dann kam der Heuler."

Ginny stöhnte. „Erinnere mich nicht daran. Das war dermaßen peinlich."

„Das fandest du auch?"

„Natürlich. Die Jungs wurden damals direkt für die Verhaftungen der restlichen Todesser eingeteilt, obwohl sie noch Anfänger waren. Die meisten waren ehemalige Schüler von Slytherin, was es nicht leichter macht, von Vorurteilen abzusehen. Ron hat sich Sorgen gemacht."

„Das nennst du sich Sorgen machen?"

„Du kennst doch Ron."

„Und was sollte dann die Szene auf der Abschlussfeier?"

„Oh je, die Abschlussfeier." Ginny schüttelte den Kopf. „Ich glaube einfach, sie waren mit den Konstellationen überfordert. Dazu waren die beiden gedanklich so in ihrer Arbeit vertieft, dass sie keinen unvoreingenommenen Blick auf das Leben außerhalb hatten. Zumindest hat Harry mir das mal so erklärt."

„Aha." Überzeugend fand Hermine das nicht, aber sie wollte es auch nicht weiter vertiefen. Wollte keine weiteren fadenscheinigen Entschuldigungen hören. Dann kam ihr das Abendessen bei Tonks wieder in den Sinn. „Wenn es damals so war, okay, interessiert mich nicht mehr, aber was sollte dann das Verhalten bei Tonks? Ich nehme an, Harry hat dir von dem Abendessen erzählt?"

Ginny nickte.

„Harry sieht in Draco immer noch nur einen Todesser und Ron-." Sie schnaubte. „Er glaubt, er weiß wie unsere Beziehung aussieht und will mich daraus retten, weil er nicht darüber hinwegkommt, dass es mit uns nicht funktioniert hat!"

„Moment, Stopp", fuhr Ginny dazwischen. „Ich weiß, was Ron gesagt hat, aber glaub mir, er ist schon sehr lange über dich hinweg."

„Ach wirklich?"

„Ja, wirklich. Er hat das Aus eurer Freundschaft nur schlecht verarbeitet, aber was die Liebe angeht, da hat er seit Längerem jemanden."

Hermine zog die Augenbrauen hoch, eine Aufforderung an Ginny, mehr zu verraten. Diese grinste nur.

„Er geht mit Padma."

„Padma? Padma Patil?"

Ginny nickte.

„Wow. Also damit hätte ich nie gerechnet. Ich hätte eher gedacht, dass er wieder was mit Lavender anfängt, aber Padma?"

„Frag mich mal", lachte Ginny. „Es grenzt ja schon an ein Wunder, dass sie nach dem verpatzten Weihnachtsball überhaupt noch mit ihm redet."

Hermine gluckste bei der Erinnerung an das Debakel von damals. „Seit wann geht das schon?"

„Seit einem etwas mehr als einem halben Jahr, glaube ich. Er weiß aber nicht, dass ich es weiß. Er versucht, es noch geheim zu halten. Ich hab die beiden irgendwann in Muggellondon gesehen. Eng umschlungen. Es war irgendwie süß."

Ron und Padma also. Ein seltsames Pärchen, doch irgendwie freute Hermine sich für die beiden. Allerdings wurde sie aus Ron nun erst recht nicht schlau. „Aber dann verstehe ich nicht-"

„Das tut niemand. Aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass das die unbeholfene Art und Weise der Jungs ist, dir zu zeigen, dass sie dich vermissen und dich beschützen wollen. Sie haben Angst, dass Malfoy dich nur ausnutzt, um in der Öffentlichkeit besser dazustehen. Und wenn ich ehrlich bin, glaube ich das auch."

„Danke für euer Vertrauen", murmelte Hermine, was Ginny wiederum ein unsicheres und beinahe entschuldigendes Lächeln entlockte.

Eine Weile aßen sie schweigend ihre Pfannkuchen zu Ende. Es war seltsam, hier in der Winkelgasse zu sitzen, mit Ginny zu plaudern als ob es die letzten Jahre nicht gegeben hätte. Sie wusste nicht warum, aber es fühlte sich richtig an. Es war das erste Mal, dass sie mit jemand anderem als Draco ein so direktes Gespräch über die Vergangenheit führte und es war in Ordnung. Sie fühlte sich gut, auch wenn manche Anschuldigungen und Themen schmerzten.

Hermine dachte über das nach, was Ginny ihr erzählt hatte. In einigen Dingen hatte sie leider recht, sie selbst war es gewesen, die die anderen von sich geschoben hat. Andererseits hatten sie sich nie die Mühe gemacht, ihre Beweggründe zu erfahren, vor allem wenn es um ihre Freunde aus dem Hause Slytherin ging.

„Hermine." Ginny hatte ihren mittlerweile leeren Teller ein Stück von sich weggeschoben und schaute sie mit schuldbewusster Miene an. „Ich muss mich bei dir entschuldigen, denke ich."

Hermine war verwirrt. „Wofür?"

„Ich habe mich nicht gerade wie eine Freundin verhalten. Weder damals noch heute, das ist mir im letzten halben Jahr klargeworden." Sie strich sich die Haarsträhne, die ihr vor die Augen gefallen war, wieder hinters Ohr. „Nach eurem Abendessen bei Tonks habe ich viel mit George gesprochen und, na ja ... er hat mir deine Sicht der Dinge erzählt."

„Wie du schon gesagt hast, wir haben wohl beide unseren Anteil daran."

„Ja, mag sein, aber lass es mich dir erklären. Bitte", fügte sie noch hinzu. „Ich habe dich damals nicht verstanden, aber es war deine Entscheidung, zu gehen, also habe ich mich irgendwann damit abgefunden. Aber Harry leider nicht. Er wollte dich unbedingt zur Hochzeit einladen und er hat so sehr gehofft, dass du kommst."

Sie erinnerte sich an den Moment, als die Eule mit der Einladungskarte auf ihrem Fensterbrett saß. Im ersten Moment hatte sie es für einen grausamen Scherz gehalten, der sie vollkommen unvorbereitet getroffen und ihre Gedanken den ganzen Tag unaufhörlich um ihre Freundschaft und das Desaster nach dem letzten Schuljahr hatte kreisen lassen. Draco meinte damals, sie wäre gar nicht mehr ansprechbar gewesen, so sehr hatte sie diese Einladung aus der Bahn geworfen.

„Wieso wollte er mich dabei haben?" Es war nur ein Murmeln, aber Ginny verstand sie trotzdem.

„Du bist seine beste Freundin, natürlich wollte er dich bei seiner Hochzeit haben. Wir beide wollten das, denke ich. Genau das war der Grund, weshalb ich dich gehasst habe." Ginny rieb sich mit den Fingern durch ihr linkes Auge, als wollte sie eine Träne wegwischen. Sie sah mit einem Mal unendlich traurig aus. Hermine wurde schlecht. Nun war sie an allem schuld, weil sie nicht zu Harrys und Ginnys Hochzeit gekommen war?

Die Türglocke deutete an, dass weitere Gäste das Lokal betreten hatten. Einmal mehr war Hermine froh, dass sie in einer abgeschirmten Ecke saßen. Dieser Ort an sich war sowieso schon absolut ungeeignet für dieses Gespräch, da brauchte sie nicht noch irgendwelche unfreiwilligen Zuschauer. Gut, dass sie anfangs an den ‚Muffliato' gedacht hatte.

Noch immer blieb Hermine stumm und Ginnys Blick hatte nun etwas Flehendes.

„Kannst du dir vorstellen, wie das ist, am Altar zu stehen, den Mann zu heiraten, den du liebst, aber anstatt auf dich, schaut er nur zur Tür, in der Hoffnung, dass eine andere Frau hereinkommt?" Eine Träne glitzerte auf Ginnys Wange. „Man sagt, es sei der schönste Tag im Leben und für mich war er einfach nur der Horror."

Hermines Eingeweide zogen sich zusammen und sie schwankte zwischen Mitleid und Verärgerung. Ginny hatte Harry noch nie ganz für sich gehabt, dafür war er zu berühmt. Das Ganze letztendlich an Hermine auszulassen, war mehr als unfair.

„Heute weiß ich, es war nicht deine Schuld. Ich bin nicht stolz darauf, aber es war leichter, dich zu verabscheuen als Harry." Sie war immer leiser geworden und am Ende war es kaum mehr als ein Flüstern. „Ich hoffe, du kannst mir irgendwann verzeihen."

Sie könnte einfach aufstehen und gehen. Sie musste sich nicht weiter anhören, wie Ginny ihr Herz ausschüttete, müsste nicht sämtliche Themen, die sie die letzten Jahre beschäftigt hatten, im Schnelldurchlauf durchgehen und abhaken. Sie könnte nach Hause zu Draco apparieren und diese Unterhaltung aus ihrem Gedächtnis streichen.

Aber sie blieb sitzen.

So schmerzhaft diese Begegnung und dieses Gespräch mit Ginny war, es fühlte sich noch immer richtig an. Sie hatte Ginny immer dafür bewundert, dass sie Dinge abwog, bevor sie sich ein endgültiges Urteil bildete. Umso enttäuschender und vor allem schmerzlicher war es gewesen, dass sie sich auf Harrys und Rons Seite und damit gegen sie gestellt hatte, ohne sich ihre Seite anzuhören. Hermine wollte es nicht zugeben, aber diese, wenn auch sehr verspätete Erklärung und Entschuldigung, war Balsam für ihre Seele.

Sie presste die Lippen aufeinander und schaute blinzelnd an die Decke, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

„Hermine?"

Sie starrte noch immer an die Decke und schüttelte leicht den Kopf, unfähig etwas zu erwidern.

„Ich kann verstehen, dass du Zeit brauchst und ich will dich nicht drängen." Ginny seufzte. „Ich weiß von George, dass du sehr glücklich bist und dass Malf-... dass Draco einen sehr großen Anteil daran hat. Dass ihr ein Kind erwartet ist Beweis genug. Also... Ich wünsche euch nur das Allerbeste! Und Harry tut das auch. Ich denke, das solltest du wissen", fügte sie noch hinzu.

Da war die erste Träne, die sich ihren Weg über ihre Wange bahnte. Eine zweite folgte kurz danach und ihre Sicht verschwamm. Sie hörte das Scharren von Stuhlbeinen und konnte undeutlich sehen, wie Ginny Anstalten machte, aufzustehen.

„Bleib sitzen", presste sie hervor. „Bitte!"

Ein Ziehen machte sich in ihrem Unterleib bemerkbar. Hermine zog die Nase hoch versuchte weiterhin vergeblich, die Tränen zurückzuhalten, als Ginny ihr ungefragt ein Taschentuch reichte, woraufhin alles aus ihr herausbrach. Die ganze Anspannung, die auf ihr gelegen hatte, seit sie Ginny bei ‚Flourish and Blotts' über den Weg gelaufen war, fiel von ihr ab. Seit sie wieder in England war, hatte sie Angst gehabt, ihren alten Freunden über den Weg zu laufen. Angst vor der Reaktion und Anschuldigungen. Die Aufeinandertreffen mit Harry und Ron hatten ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

Und nun saß sie hier mit Ginny. Sie führten ein absurdes Gespräch an einem noch absurderen Ort und saßen sich mittlerweile heulend gegenüber.

Und es ging ihr gut. Es war dermaßen lächerlich, dass Hermine nicht anders konnte, als laut aufzulachen. Sie wischte sich die Tränen weg und versuchte, sich zu beruhigen. Ein Blick auf Ginny zeigte, dass es ihr nicht nicht anders ging.

Dem Kellner, der die Teller abräumte und ihre Nachtischbestellung aufnahm, konnten sie seine Verwirrung über den Anblick, den sie bieten mussten, deutlich ansehen, was einen weiteren Lachanfall bei den Frauen auslöste. Wieder weinten sie, aber dieses Mal war es vor Lachen.

Hermine wurde bewusst, wie sehr sie das hier vermisst hatte. Früher hatte sie Ginny als Schwester betrachtet, genau wie Harry ihr Bruder gewesen war. Sie wusste, dass es kein Zurück gab und das wollte sie auch nicht. Aber vielleicht war das hier ein kleiner Anfang, um wieder so etwas wie eine Freundschaft aufbauen zu können.

Eines ließ sie dennoch nicht los und sie wurde wieder ernst.

„Ginny?"

„Ja", stammelte Ginny, während sie durchatmete und die letzten Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte. Sie hatte den ernsthaften Tonfall bemerkt und räusperte sich, um zu signalisieren, dass sie zuhörte.

„Was du eben gesagt hast-" Sollte sie dieses Thema wirklich noch einmal ansprechen? Egal, sie musste. Aber Ginny schien gar nicht richtig zuzuhören. „Ist alles okay?", fragte Hermine.

„Ja, alles gut. Es spannt ein bisschen, mehr nicht", erwiderte Ginny, während mit einer Hand eine Stelle am Oberkörper knetete, als würde sie Spannungen lösen wollen.

„Ah, Spannungen in der Brust, das kenn ich auch noch aus den ersten-" Sie stockte. „Moment ... bist du-" Hermine deutete auf Ginnys Bauch. „Bist du wieder schwanger?"

Ginnys Lächeln war Antwort genug. Wieso hatte sie das nicht früher bemerkt? Schwangere erkannten andere schwangere doch normalerweise zehn Meilen gegen den Wind. Zumindest sagte man das.

„Wie weit bist du?"

„Es ist noch recht frisch. Ich bin in der zehnten Woche. Bisher weiß es auch nur Harry. Der Familie wollen wir es erst in zwei Wochen beim Abendessen sagen. Aber ich befürchte, Mum ahnt schon etwas."

„Sie hat sieben Kinder bekommen, es würde mich wundern, wenn es nicht so wäre."

„Ja, da hast du recht. Andererseits passt es nicht zu ihr, dass sie nichts sagt, du weißt, was für eine Glucke sie ist."

Ja, das wusste Hermine nur zu gut.

„Herzlichen Glückwunsch, Ginny! Ich freue mich wirklich für euch." Es lag pure Aufrichtigkeit in diesen Worten. Hermine lehnte sich zurück und strich sanft über ihren Babybauch. Das Ziehen war verschwunden, ihre Kleine hatte sich anscheinend wieder beruhigt und bewegte sich nur wenig.

Ginny lächelte sie an. „Sieht so aus, als würden unsere Kinder zusammen nach Hogwarts gehen."

„Na das kann ja heiter werden", lachte Hermine. Sie konnten nur hoffen, dass Draco und Harry ihre Rivalität nicht auf ihre Kinder übertragen würden. Aber bis dahin war noch genug Zeit. Sie schaute zu Ginny und lächelte. Mit ihrer Freundin hatte sie eine Verbündete, mit der sie solche Kindereien unterbinden würde.

„Was wird es eigentlich?"

„Das wissen wir nicht. Beim Ultraschall lag es immer falsch, sodass die Ärztin es nicht klar erkennen konnte, also haben wir irgendwann gesagt, dass wir uns einfach überraschen lassen. Draco meint, es wird Junge, aber ich denke, dass es ein Mädchen ist", sagte sie, während sie lächelnd auf ihre Bauch schaute, den sie weiter sanft streichelte.

„Mütter haben bei sowas immer recht, sag das deinem Göttergatten", erwiderte Ginny. „Und sag ihm, wenn er dir wehtut, hexe ich so viele Flederwichtflüche an den Hals, dass er sich wünschen würde, er wäre für immer in die Arktis ausgewandert."

„Ich werde es ihm ausrichten", sagte Hermine lachend.

„Ich weiß, diese Frage ist etwas anmaßend, aber ... seid ihr eigentlich verheiratet?"

Hermine verschluckte sich an ihrer eigenen Spucke, so überrascht war sie von dieser Frage. Sie merkte, wie sie rot wurde. „Ähm ... wenn ich ehrlich bin, haben wir darüber noch nie-"

Weiter kam sie nicht, denn auf einmal tauchte eine brünette Frau neben ihnen auf und fing an, sie mit Fragen zu bombardieren. Hinter ihr wimmelte es von Blitzlichtern von Fotographen, die ihnen ihre Kameras ins Gesicht hielten. Hermine und Ginny sahen sich panisch an.

„Verdammt, Fabian, was soll das?", rief Ginny wütend in die Menge und Hermine konnte hinter der Meute den Sohn von Florean Fortescue und neuen Eigentümer des Lokals sehen, der entschuldigend die Schultern hob.

„Es tut mir leid, Mrs. Potter, die haben sich nach und nach in den Laden geschlichen, ich dachte, es wären normale Kunden", entschuldigte sich Mr. Fortescue, als sie sich einen Weg durch die Reporter gebahnt hatten.

Hermine versuchte mehr schlecht als recht, ihr Gesicht vor den Kameras zu verbergen. Was das anging war Australien wahrlich ein Paradies gewesen. Niemand kannte sie dort und sie konnte hingehen, wohin sie wollte. Am Vormittag hatte sie zwar auch ein oder zwei Reporter gesehen, aber die hatten sie in Ruhe gelassen. Dass sie hier zusammen mit ebenfalls berühmten Ginny Potter, der Frau des großen Harry Potter und Jägerin der Holyhead Harpies, saß, würde natürlich eine große Schlagzeile werden. Es war nicht wirklich ein Geheimnis, dass sie das ehemalige Trio auseinandergelebt hatte und nun gab es endlich wieder Nachschub für die Klatschblätter.

Hermine atmete schneller. Sie blickte sich um und wusste nicht mehr, wo vorne und hinten war. Sie sah nur Menschen um sich rum, sah das Blitzen der Kameras und krallte sich an einem Arm fest, von dem sie hoffte, dass es Ginnys war.

Eine Hand löste ihren Griff und Ginny tauchte in ihrem Blickfeld auf. Sie nahm Hermines Hand in ihre und führte sie langsam Richtung Ausgang. „Am liebsten würde ich ihnen allen einen Fluch aufhalsen", fluchte sie so leise, dass nur Hermine sie hören konnte. „Gut, dass ich James nicht mitgenommen habe. Harry wird sauer sein, wenn er erfährt, dass die uns aufgelauert haben."

Hermine hörte gar nicht zu, denn das unangenehme Ziehen in ihrem Unterbauch war wieder da. Nur, dass es dieses Mal nicht nur ein Ziehen, sondern ein schmerzhaftes Stechen war.

„Oh nein", wimmerte Hermine und hielt sich den Bauch, während sie vor Schmerz ein wenig in die Knie ging. Ginny, die die Situation sofort erkannte, kam direkt an ihre Seite und hielt sie aufrecht, bevor sie sich an Mr. Fortescue wandte.

„Fabian, wir brauchen sofort deinen Kamin!"

„Ja ja, natürlich. Er ist im Hinterzimmer. Flohpulver steht auf dem Sims", erwiderte er und versuchte, sie von den Presseleuten abgeschirmt, zu den Privaträumen zu führen. Dort angekommen, schob er die Frauen hinein und schloß die Tür hinter ihnen, bevor er damit anfing, die unliebsamen, falschen Gäste rauszuschmeißen.

„Es ist zu früh, ich bin noch nicht so weit", weinte Hermine und stöhnte leise, als sich eine weitere Wehe ankündigte.

„Ganz ruhig, Hermine, du schaffst das. Atme ruhig ein und aus und konzentrier dich auf mich", redete Ginny ihr gut zu, während sie Hermine auf einen Stuhl setzte und das Flohpulver suchte.

„Aber ... ich brauche Draco. Und meine Mama." Hermine zitterte. „Sie ist nicht da, sie kommt erst nächste Woche nach England. Ich kann das doch nicht ohne sie." Nicht zum ersten Mal an diesem Tag strömten Tränen über ihr Gesicht. Diese ganze Aufregung an diesem Tag war zu viel gewesen.

„Doch, Hermine, natürlich kannst du das." Ginny schwang ihren Zauberstab und beschwor ihren Patronus hervor. Sie redete auf die Pferdegestalt ein, welche sich daraufhin aufbäumte und davongaloppierte.

Auf Hermines fragenden Blick, zwinkerte Ginny ihr zu und sagte: „Der Vater muss doch wissen, was los ist. Und meiner Hebamme im St. Mungos habe ich auch gleich Bescheid gesagt, dass wir kommen. Du wirst Mary lieben, sie ist ein Engel."

Nicht diese Mary, sondern Ginny war ein Engel. Sie war die Ruhe in Person, behielt einen klaren Kopf. Hermine dagegen war vollkommen überfordert. Wofür hatte sie sich im Voraus so viele Pläne gemacht? Es lief alles ganz falsch. Ihr Geburtstermin war erst in knapp fünf Wochen und sie sollte in Begleitung von Draco und ihren Eltern ins Krankenhaus gehen und sich dort langsam auf die Geburt vorbereiten. Keiner ihrer Pläne beinhaltete frühzeitige Wehen und eine Flucht vor Klatschreportern.

„Na komm schon, hier ist das Flohpulver", sagte Ginny, die ihr die Schale mit dem grünen Pulver hin.

Sie ließ sich von ihr aufhelfen und stieg in den Kamin, um ins St. Mungos zu flohen.

Es war soweit. In ein paar Stunden würde sie ihr Kind im Arm halten.

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