Der Buchladen im Ligusterweg

By Pheephy

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Im Ligusterweg gibt es einen Buchladen. Harry war nie drin, das hat ihm Tante Petunia verboten, aber er weiß... More

Vorstellung des Diebesguts
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EPILOG
BONUS
1 - Was hältst du von einem Date?
2 - Wie die Mutter so der Sohn

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By Pheephy

Während Lukes eigentlicher Geburtstag ein recht unspektakulärer Tag war, weil sie alle arbeiten und er in der Schule war, fand die richtige Feier einen Tag später, am Samstag, statt. Hannah Jackson war zu Besuch, genau wie zwei weitere Schulfreunde von ihnen, Adam Maple und Luke Svensson. Die Dopplung des Vornamens war anscheinend ein großer Faktor zu Beginn ihrer Freundschaft gewesen und sorgte unter den Kindern (und ganz ehrlich auch bei Sirius und Remus) nach wie vor für großes Amüsement. Es waren einfach viel zu viele gute Gelegenheiten für schlechte Witze, wie konnte man da widerstehen? 

Edyta war natürlich auch da und hatte noch einen zweiten Kuchen gebacken - und als sie gesehen hatte, was Mary, Remus und Sirius mit dem von gestern veranstaltet hatten, hatte sie ihn diesmal sogar selbst dekoriert. Er war selbstverständlich makellos, wunderschön mit hellgrüner Creme eingestrichen und darauf stand in feiner Kalligraphie Sto lat, Łukasiu. Es bedeutete nicht, wie Remus am Anfang angenommen hatte, Alles Gute zum Geburtstag, Luke, sondern wörtlich übersetzt Hundert Jahre, Luke - eine Anspielung auf das Lied, was in Polen zum Geburtstag gesungen wurde. Remus hatte ein oder zweimal versucht, es zu lernen, aber ihm waren da entschieden zu viele Zischlaute drin, als dass es irgendeinen Zweck gehabt hatte. Was er jedoch kannte, war die Übersetzung: Hundert Jahre soll er leben. Und das konnte er durchaus so unterschreiben. 

Also ja, Edyta war da mit dem perfekten Kuchen, Hannah, Adam und die beiden Lukes turnten durch die Wohnung und landeten irgendwann mit dem Gameboy auf dem Sofa, was Regulus' Interesse weckte, der ihnen eine Weile zusah und dann von den Kindern überredet wurde, sich auch einmal daran zu versuchen. 

Sirius gesellte sich ebenfalls zu ihnen, angelockt von Tetrismusik und Flüchen seines Bruders und Remus und Edyta blieben am Küchentisch zurück, durch die weit offene Tür zum Wohnzimmer einen guten Blick auf die vier elfjährigen und zwei dreißigjährigen Kinder. 

"Dafür dass er erst seit einer Woche wach ist, macht er sich erstaunlich gut", sagte Edyta leise. Sie hatte die ganze Eskapade mit Regulus am Rande mitbekommen, als Muggel allerdings natürlich wenig dazu beitragen zu können. Es hatte Remus allerdings mal wieder gezeigt, wie gut integriert sie in die Familie war, dass sie nicht einmal mit der Wimper gezuckt hatte, bei dem Gedanken, dass Sirius einen Bruder hatte, der dreizehneinhalb Jahre lang in der Zeit eingefroren gewesen war. Remus nickte. 

"Ich bin auch überrascht", gab er zu. "Wenn ich daran denke, wie es Sirius ging, als er damals zurückkam...ich meine, versteh mich nicht falsch, ich bin erleichtert, dass Regulus so okay ist. Aber..."

"Aber du fragst dich, wie viel davon gespielt ist und wie kaputt er unten drunter ist und nur nicht zeigt?"

Remus nickte und Edyta lächelte traurig und griff nach seiner Hand. 

"Du betrachtest die Situation von der falschen Seite", sagte sie ruhig. Er runzelte irritiert die Stirn. "Regulus durchlebt nicht das gleiche wie Sirius. Er durchlebt das gleiche wie du." 

Remus schüttelte den Kopf. 

"Nein, es ist die gleiche Situation wie bei Sirius!", protestierte er. "Er hat Jahre verloren und muss sich jetzt wieder in eine Welt einfinden, die ohne ihn weitergemacht hat. Es ist im Grunde eine billige Kopie von der Sache damals." 

Edyta schmunzelte und drückte seine Finger. 

"Aber für ihn ist es nicht so", erinnerte sie ihn. "Er hat keine Zeit verloren. Für ihn hat sich die ganze Welt in einem Wimpernschlag gedreht. Von einem Moment auf den anderen war der Krieg vorbei, sein Lebensziel erreicht und auf einmal hat er eine Familie, ein neues Leben, das seine Aufmerksamkeit braucht. Kommt dir das nicht bekannt vor?" 

Remus blinzelte. Jetzt, wo sie es so formulierte...

"Ok", sagte er dann. "Aber das bedeutet, dass er nicht ok ist, oder? Er tut so, als wäre er es, aber er ist es nicht." 

Edyta klickte mit der Zunge. 

"Natürlich ist er das nicht", sagte sie mitleidig. "Wie könnte er?"

Remus holte tief Luft. 

"Und wie helfen wir ihm?", fragte er dann unsicher. Edyta hob die Schultern. 

"Wie hast du es denn damals geschafft?"

Remus starrte sie an, dann grummelte er unzufrieden.

"Zeit", gab er zu. "Und Dinge, an die ich mich klammern konnte. Luke. Meine Mission, Sirius zu befreien." 

Edyta nickte und sah mit einem vielsagenden Blick in Richtung der Kinder. 

"Geschichte wiederholt sich", sagte sie. "Und schau dir seine Augen an, wenn er denkt, niemand beobachtet ihn. Er hat seine Mission zum Dranklammern längst gefunden." 

Remus runzelte die Stirn. 

"Luke?", fragte er. Edyta nickte. 

"Auch", antwortete sie. "Aber da ist noch etwas." 

Remus rutschte auf der Kante seines Stuhls gespannt weiter nach vorne. 

"Was?", wollte er wissen. "Seine Mission von vorher ist doch abgeschlossen. Was ist das Neue, was er gefunden hat?"

Edyta hob die Hände. 

"Das wirst du ihn wohl selbst fragen müssen", sagte sie. "Ich bin nur alt und gut im Beobachten, aber ich kann nicht hellsehen, mein Lieber." 

Remus seufzte frustriert. Aber er nahm sich vor, Regulus im Auge zu behalten. Was auch immer er vor ihnen geheim hielt - und es war natürlich sein gutes Recht, das zu tun -, irgendwann würde es ihm vermutlich auf die Füße fallen, wenn er nur entfernt so war, wie sein Bruder. 

Zum Glück klickte jetzt der Schlüssel in der Wohnungstür und im Flur wurden Gespräche laut. 

"Hallo?", rief eine nur allzu vertraute Stimme, "wo ist das Geburtstagskind?" 

Sofort sprang Luke auf, um die Neuankömmlinge zu begrüßen und auch der Rest folgte ihm in den Flur, wo Mary gerade die Autoschlüssel zurück ans Schlüsselbrett hängte, vom Bahnhof zurück, mit den beiden letzten Gästen im Gepäck.

"Jerry!", rief Luke begeistert, als hätte er sein älteres Geschwisterkind nicht gerade vor einer Woche das letzte Mal gesehen, bevor der nach der Nacht, in der Regulus aufgewacht war, wieder nach London gefahren war. "Jhalak!" 

Jerrys beste Freundin und Mitbewohnerin grinste breit, als Luke auch ihr begeistert um den Hals fiel. Sie sah wie immer absolut großartig aus. Remus kannte sie und Triv inzwischen wirklich gut, vor allem dadurch, dass sie wohl die beiden besten Freundinnen von Jerry waren. Beide hatten ein sehr starkes Modebewusstsein (im Grunde musste man Jerry mit einschließen und sagen, dass sie alle drei ein sehr starkes Modebewusstsein hatten) - aber während Triv und Jerry einen Londoner Trend nach dem anderen verfolgten, hielt Jhalak sich an indische Mode. Ihre Kleidung war immer weit und bunt und kombiniert mit ihrem ausgefallenen Schmuck und Frisuren und ihrem starken Selbstbewusstsein konnte Remus sich nichts anderes vorstellen, als dass die Männer ihr in Scharen hinterherliefen. Nicht, dass sie das wirklich interessiert hätte - Jhalak machte kein Geheimnis daraus, das ihr Interesse ausschließlich Frauen galt. 

Remus scheuchte die ganze Gruppe wieder zurück ins Wohnzimmer, wo Luke jetzt endlich seinen Kuchen anschneiden und seine Geschenke auspacken durfte. 

Hannah, Adam und der andere Luke hatten zusammengelegt für einen Kinogutschein. Sie wollten sich alle gemeinsam Jurassic Park anschauen, der im Juli in die Kinos kommen sollte. Das war zwar noch eine ganze Weile hin, aber sie alle waren begeistert, schließlich ging es um Dinosaurier und die waren nun einmal cool. Remus war sich insgeheim ziemlich sicher, dass er sich den Film selbst auch anschauen würde und auch dass Sirius und Mary ihn selbstverständlich begleiten würden. 

Mary hatte ein neues Spiel für den Gameboy besorgt und Sirius ein T-Shirt im Stil der Star-Trek-Das-nächste-Jahrhundert-Uniformen (in rot für Kommandooffiziere, natürlich). Remus hatte sich an die vernünftigen Geschenke gehalten, wohlwissend dass Mary und Sirius sich um Albernheiten kümmern würde, und so hatte er einige dringend benötigte T-Shirts und zwei Bücher gekauft - Luke war zwar kein begeisterter Leser, aber Sachbüchern für Jugendliche über Raumschiffe und Dinosaurier konnte er trotzdem nicht abschlagen. 

Zuletzt schob Jhalak ein kleines Paket über den Tisch. Luke griff danach und befühlte es - es schien weich zu sein. 

"Es ist von Jerry und mir zusammen", erklärte sie. 

"Es war Jhalaks Idee", ergänzte Jerry. Jhalak grinste. 

"Weil du so aufmerksam bist, wie eine Bananenschale", stichelte sie. Jerry hob die Augenbrauen. 

"Ach ja?", fragte er, "lass mich dir verraten, dass Bananen Kalium enthalten, was verdammt nützlich sein kann." Jhalak verdrehte die Augen. 

"Das ist ein absolutes Nullargument", meinte sie. "Ich hab nie behauptet, dass du nicht nützlich wärst. Du hast dich zum Beispiel wunderbar geschlagen, das da mit auszusuchen." 

Jerry grinste und zog scherzhaft an ihrem bunt bestickten Schultertuch. 

Das Reißen von Geschenkpapier lenkte ihre (und auch Remus') Aufmerksamkeit wieder auf seinen Sohn. Gespannt sahen alle zu, wie er vorsichtig ein kleidartiges Etwas herausholte. Es war tiefgrün, hatte lange Ärmel und als er es hochhielt, konnte man sehen, dass es ihm bis zu den Knien reichen würde. Mit einem helleren Faden waren feine Muster hineingewebt und der Saum war mit filigranen goldenen Blättern und Pflanzen bestickt. Lukes Augen leuchteten auf. 

"Ein Kurta!", rief er aufgeregt. Jhalak lächelte. 

"Du warst so begeistert von meinem, als wir uns im Winter gesehen haben und ich dachte, es würde dir vielleicht gefallen, einen eigenen zu haben." 

Luke nickte, er strahlte immer noch übers ganze Gesicht, stand auf und zog sich seinen Pullover aus, um den Kurta überzuziehen.

"Was ist ein Kurta?", fragte Adam neugierig. 

"Es ist ein indisches Kleidungsstück", erklärte Jerry, als Jhalak aufstand, um Luke zu helfen, den Kurta zurecht zu zupfen. Als sie fertig war, trat sie einen Schritt zurück und begutachtete ihr Werk, bevor sie zufrieden nickte. Luke lief sofort in den Flur, wo ein großer Spiegel hing, um sich selbst zu betrachten. Dann kam er, immer noch strahlend über das ganze Gesicht, wieder zurück und fiel ihr und Jerry noch einmal um den Hals. 

"Ist es nicht traditionell ein Kleidungsstück für Frauen?", fragte Mary neugierig. Jhalak schüttelte entschieden den Kopf.

"Es wird sowohl von Männern als auch von Frauen getragen", erklärte sie. "Tatsächlich noch mehr von Männern, Frauen tragen meist Kurtis, die sind kürzer."

"Es sieht aus wie ein Kleid", sagte Hannah und ihre Augen leuchteten begeistert. Luke stutzte und er sah an sich herunter, schien das jetzt erst so richtig wahrzunehmen. 

Jerry zuckte mit den Schultern. 

"Ja und?", fragte er und zupfte zwei Falten an Lukes neuem Kurta zurecht. 

Mary legte den Kopf schräg und sah Luke etwas besorgt an. 

"Fühlst du dich wohl damit?", fragte sie. "Weil es in Ordnung ist, wenn es nicht so ist." 

Remus beobachtete Luke, in dessen Augen jetzt zunehmend Unsicherheit aufblitzte. Jerry sah wenig begeistert zu Mary und Hannah hinüber, dann lehnte er sich nach vorne, und sah Luke direkt an. 

"Hey", sagte er leise. Luke hob etwas unwillig den Blick. "Mum hat recht, wenn du dich unwohl fühlst, ist das okay. Aber wehe, du lässt dich von irgendjemandem dazu überreden, dass du dich unwohl fühlen solltest. Erstens hat Jhalak vollkommen recht und Kurtas werden von Männern getragen. Und zweitens: selbst wenn es aussieht, wie ein Kleid, du kannst tragen, was immer du möchtest. Selbst wenn du Kleider und Röcke magst, macht dich das nicht automatisch weniger zum Jungen. Du musst niemandem etwas beweisen. Und du schuldest es niemandem, dich maskulin zu kleiden. Genauso wenig, wie ich es irgendjemandem schulde, androgyn zu sein. Okay?"

Kurz zögerte Luke, dann nickte er und sah noch einmal an sich herunter. 

"Ich mag den Kurta", murmelte er. Seine Augen huschten zu Jhalak hinüber. "Aber ist es ok, wenn ich ihn nur zu Hause trage?"

Jhalak schmunzelte und fuhr ihm durch die Haare. 

"Das ist mehr als ok", versicherte sie ihm. "Was auch immer es wert ist, ich finde auf jeden Fall, dass du absolut fantastisch aussiehst."

Luke lächelte. Dann zog er den Kurta wieder über seinen Kopf.

"Ich glaube, ich ziehe ihn jetzt wieder aus. Nicht, dass gleich Schokolade drauf kommt." 

~~~~~

Die Party war ein voller Erfolg. Irgendwann mussten Hannah, Adam und der andere Luke nach Hause, Edyta verabschiedete sich ebenfalls nach unten und auch Regulus machte sich auf den Weg zurück zum Grimmauldplatz, irgendetwas von "wichtigen Dingen" murmelnd, die er noch zu tun hatte. Remus hätte das vor seinem Gespräch mit Edyta vermutlich als Ausrede gedeutet, dass er genug soziale Kontakte gehabt hatte, aber jetzt konnte er nicht umhin, sich zu fragen, ob da nicht tatsächlich mehr dahinter steckte. Wenn Regulus allerdings irgendwie Sirius ähnlich war (und Remus hatte festgestellt, dass sich die beiden sehr viel ähnlicher waren, als ihm lieb war), dann hätte es keinerlei Zweck, nachzubohren, also ließ er es sein. 

Stattdessen schlug er Luke vor, dass sie gemeinsam das Abendessen vorbereiten konnten und da Jerry und Jhalak gerade gingen, um noch gegenüber bei den Rezas vorbeizuschneien und Mary und Sirius sich in einem Tetris-Krieg bis zum bitteren Ende befanden, nickte sein Sohn und folgte ihm in die Küche. Remus schloss die Tür jetzt doch, vor allem, um Marys und Sirius' Siegesschreie ein wenig zu dämpfen und legte Luke einen Bund Möhren zum Schälen und Schneiden hin, während er sich selbst einer Zucchini und einigen Zwiebeln für die Lasagne widmete, die es nachher geben sollte.

"Ich wollte mir dir noch über was reden", schnitt er dann das Thema an, von dem er seit einigen Wochen wusste, dass er es nicht mehr lange vor sich her schieben konnte. Luke sah ihn misstrauisch von der Seite an. 

"Wird das jetzt das Gespräch über Sex?", fragte er alarmiert, "weil wir das schon in der Schule hatten und wir da wirklich nicht drüber reden müssen!" 

Remus lachte leise. 

"Keine Sorge", beruhigte er seinen Sohn, "das war überhaupt nicht das Thema, was ich anschneiden wollte."

"Wird es das Gespräch darüber, dass ich doch nach Hogwarts gehen muss?", riet Luke weiter. Remus schüttelte den Kopf. 

"Auch nicht." Er musterte Luke, der mit langsamen, sorgfältigen Zügen die Möhren schälte. "Ich wollte noch einmal über dich reden und darüber...als wer du leben möchtest." 

Luke hielt inne und sah von seinen Möhren auf. 

"Wegen dem Kurta?", fragte er unsicher. Remus schüttelte den Kopf. 

"Völlig unabhängig von dem Kurta", meinte er. "Es ist nur so - du lebst jetzt seit fünfeinhalb Jahren als Junge. Als Luke. Und bisher war das auch überhaupt kein Problem, weil es eben nur eine andere Frisur und ein neuer Name waren. Aber du bist jetzt elf und dein Körper fängt an, sich zu verändern. Und die Frage ist, wie wir damit umgehen." 

Lukes Finger nestelten am Grünzeug der Möhren herum. Remus berührte ihn sanft am Oberarm. 

"Niemand setzt dich unter Druck, irgendetwas zu entscheiden, nicht jetzt und auch in der Zukunft nicht", beruhigte er ihn. "Und du hast unsere volle Unterstützung, vollkommen egal, wie du dich entscheidest." 

Er kehrte zu seiner Zucchini zurück und Luke begann, die Möhren zu schneiden und für einen Moment war es still zwischen ihnen. 

"Ich will nicht wieder Julie werden", sagte Luke dann. "Ich...ich bin gerne Luke. Ich bin Luke." 

Remus brummte eine Zustimmung und schenkte ihm ein Lächeln. 

"Das ist doch schon einmal ein Wort", sagte er aufmunternd. Luke schob konzentriert die zerkleinerten Möhren auf seinem Brett in den Topf zwischen ihnen. 

"Welche...Möglichkeiten habe ich denn?", fragte er dann. Remus leerte sein Brett mit Zucchini ebenfalls und griff dann zu einer Zwiebel. 

"Naja, wenn wir nichts machen, dann wirst du die Freuden der Pubertät erleben, wie alle anderen weiblich geborenen Menschen", erklärte er. "Ich weiß nicht, welche Optionen es gibt, das zu umgehen, ich wollte nicht anfangen, zu recherchieren, bevor ich mir dir geredet habe. Aber ich kenne mehrere Heiler sehr gut und wenn du möchtest, können wir fragen, ob ihnen etwas einfällt, diese Entwicklungen aufzuhalten oder vielleicht sogar zu schauen, ob du als Junge weitermachen kannst." 

Luke schien zu überlegen. 

"Muss ich das jetzt entscheiden?"

Remus wog den Kopf hin und her. 

"Jetzt in dieser Minute musst du überhaupt nichts entscheiden", sagte er. "Und auch grundsätzlich kannst du dir so viel Zeit lassen, wie du möchtest." Er hielt kurz inne. "Ich bin allerdings ganz ehrlich: wenn du vollständig verhindern möchtest, dass dein Körper Veränderungen beginnt, die du nicht willst, wäre es gut, sich in nächster Zeit damit zu beschäftigen. Ansonsten finden sich aber auch später Lösungen, das wieder rückgängig zu machen." Er musterte Luke von der Seite: "Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass die Vorstellung, sie erst einmal durchleben zu müssen, nicht gerade reizvoll klingt." 

Luke schüttelte schnell den Kopf. Remus zog ihn mit einer Hand in eine seitliche Umarmung.

"Wie auch immer du dich entscheidest und wann auch immer du dich entscheidest", erinnerte er ihn noch einmal, "für alle Leute, die zählen, bist und bleibst du Luke. Wir stehen hinter dir und wir bekommen das hin, dass du das Leben führen kannst, was du willst, auf genau die Art und Weise, die du willst. Und wenn du jetzt keine solche große Entscheidung treffen und lieber noch ein paar Jahre warten möchtest, dann ist das auch ok. Selbst wenn du der Natur ihren Lauf lassen willst und trotzdem als Junge angesprochen werden möchtest, ist das ok. Egal, wie du dich entscheidest und egal, welche positiven oder negativen Konsequenzen das irgendwann hat, wir sind hier. Wir bekommen das hin." 

Luke nickte und Remus meinte für einen Moment, in seinen Augen Tränen glitzern zu sehen. 

Aber das lag bestimmt an den Zwiebeln. Nur an den Zwiebeln. 






Ok, kurze Erklärungsrunde zum Thema Transitioning bei trans Menschen - Stand HEUTE.
Bei Kindern, die schon sehr früh wissen, dass sie trans sind, gibt es die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit Psychologen und Kinderendokrinologen (Endokrinologen sind Ärzte die sich u.a. mit Hormonen beschäftigen) Hormonblocker zu nehmen. Die verhindern erst einmal, dass irgendeine Art Pubertät stattfindet. Später können dann Hormone des richtigen Geschlechts genommen werden, sodass eine Pubertät in diese Richtung stattfindet (dann meistens etwas später). Das hat den Vorteil, dass trans Frauen keinen Stimmbruch und keine vermehrte Körperbehaarung inklusive Bart bekommen und dass trans Männer auf die Ausbildung der Brust und den Einsatz der Menstruation verzichten.
Werden keine Hormonblocker genommen oder findet das Coming Out erst später statt, sind ein paar der Veränderungen irreversibel, zum Beispiel der Stimmbruch und auch die Brust kann dann nur noch mit einer Operation (Mastektomie) wieder entfernt werden.
Diese sowie auch alle anderen Operationen sind meines Wissens überall bisher nur möglich, wenn man über 18 ist und in der trans Community herrscht auch ziemliche Einigkeit, dass das gut so ist. Insbesondere durch die Entfernung der unteren Genitalien, also Hoden und Eierstöcke, ist man im Anschluss sein Leben lang auf künstliche Hormone angewiesen, da der Körper keine eigenen (wenn auch falschen) mehr produziert. Vorher könnte man sonst theoretisch immer noch die Hormone wieder absetzen und "Re-transition", also zurück zum Geburtsgeschlecht kehren.
Das passiert aber nur in 1-3% der Fälle (und hat meist nichts mit Bereuen, sondern mit Druck von außen zu tun).
Bei Kindern, die Hormonblocker nehmen, weil sie trans sind, sieht es übrigens ähnlich aus. Die überwiegende Mehrheit nimmt im Anschluss Hormone des anderen Geschlechts als das, das ihnen zugeordnet wurde.

Wie sieht das alles jetzt 1993 aus?
Nicht gut. Es gab zwar vorher schon Hormonbehandlungen und auch Operationen (die ersten OPs zur Geschlechtsangleichung fanden in den 1920ern statt), aber der erste Fall von Hormonblockern für Kinder fand 1994 erst statt.

Ich habe die volle Absicht, all diese Probleme für Luke mit Magie zu umgehen, aber da meine Hauptmission ist, über LGBTQ+ aufzuklären, bekommt ihr trotzdem die volle Ladung :)

Hier sind ein paar Quellen für den ganzen Kram, den ich eben erzählt habe (sonst könnte ich ja sonstwas behaupten), auch wenn die meisten von euch vermutlich für das Kapitel hier sind und nicht für Vorträge über Hormone (was absolut okay ist ^^).

Hormonblocker: 
https://en.wikipedia.org/wiki/Puberty_blocker 
https://www.mayoclinic.org/diseases-conditions/gender-dysphoria/in-depth/pubertal-blockers/art-20459075

Geschichte von Hormonblockern (erster Einsatz 1994):
https://mronline.org/2022/01/23/hormonal-wars-a-brief-regulatory-history-of-puberty-blockers/

Geschlechtsangleichende Operationen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtsangleichende_Operation

Aktuelle Situation in Deutschland: 
https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/308625/die-rechtsstellung-von-trans-personen-in-deutschland/ (rechtlich)
https://www.aerzteblatt.de/archiv/216299/Geschlechtsangleichende-Hormontherapie-bei-Geschlechtsinkongruenz (Hormone)

Und der Vollständigkeit halber, die Eckpunkte vom Selbstbestimmungsgesetz, das die Ampel versprochen hat: 
https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/aktuelles/alle-meldungen/eckpunkte-fuer-das-selbstbestimmungsgesetz-vorgestellt-199378

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