Panik schoss durch Remus' Venen, wie er es selten erlebt hatte. War das der Moment, den er seit Jahren fürchtete? Er holte tief Luft und gab sich Mühe, seine Furcht nicht in seine Stimme fließen zu lassen.
"Jules", sagte er, so ruhig, wie er konnte, "bitte leg den Feuerwerkskörper zur Seite."
Der kleine Junge wedelte fröhlich mit der Rakete herum und geriet dabei in gefährliche Nähe der Wunderkerzen, die Harry durch die Luft zog, während er (größtenteils frei erfundene) Zaubersprüche rief und im Anschluss immer laute Explosionsgeräusche machte.
"Ich heiße jetzt Luke!", erklärte Remus' jüngerer Sohn vehement. Remus schloss kurz die Augen, das war ihm kurz entfallen, während er sich den Fünfjährigen in Flammen in der Notaufnahme vorgestellt hatte, weil Sirius' Risikobereitschaft in seinen Genen doch die Überhand gewonnen hatte.
"Luke", wiederholte er also, diesmal strenger, "gib mir die Rakete!"
Luke grinste und wedelte schneller damit herum.
"Es ist keine Rakete!", rief er begeistert, "es ist mein Lichtschwert! Nyoooom, nyoooom!"
"Luke!"
Ehe Remus wirklich laut wurde, etwas, was er wirklich, wirklich zu vermeiden versuchte, aber es war ihm lieber, als dass eines seiner Kinder Körperteile verlor, verpuffte der Feuerwerkskörper in Jules' Hand zu einer ganzen Menge Konfetti. Sie sahen beide auf und entdeckten Sirius, der mit gezücktem Zauberstab in der Gartentür stand und Jules...nein, halt, Luke, streng ansah.
"Wir hatten doch gesagt, die Raketen werden nur von den Erwachsenen angefasst", erinnerte er seinen Sohn. Luke sah nicht wirklich schuldbewusst aus und Remus war sich ziemlich sicher, dass in genau diesem Moment ein weiteres seiner Haare grau wurde. Wer hätte gedacht, dass Kindererziehung so nervenaufreibend sein konnte?
"Sirius", grüßte er seinen Mann erleichtert, "habt ihr ein Stück Kohle gefunden?"
Sirius nickte und ließ es durch die Luft schweben und auf das kleinen Mäuerchen im Vorgarten sinken, wo schon eine Silbermünze und ein Stück Shortbread lagen. Diese Dinge waren essentiell wichtig für die schottische Tradition des First Footing. Mary hatte es mit in die Familie gebracht - dabei trug die erste Person, die am Neujahrstag die Türschwelle überschritt, Geschenke bei sich, die symbolisch für Gutes standen, das der Familie im folgenden Jahr passieren sollte. Der First Footer war traditionell ein dunkelhaariger Mann, da es so einen im Hause Lupin-Macdonald bisher nicht gegeben hatte (und Mary es ohnehin sexistisch fand), war sie es immer gewesen. Dieses Jahr jedoch hatten sie gemeinsam beschlossen, dass Sirius es machen sollte.
"Sicher, dass wir es ohne den Whiskey machen wollen?", fragte er verschmitzt. "Er bringt gute Laune fürs neue Jahr!"
Remus verdrehte die Augen.
"Ich glaube, mit Wohlstand, Essen und Wärme sind wir ganz gut bedient", meinte er. "Das mit der guten Laune bekommen wir auch so hin, oder Jungs?" Er drehte sich zu Ju- Luke und Harry, die mit Wunderkerzen in einen (Laser-)Schwertkampf verwickelt waren. Remus schritt dazwischen, bevor jemand die Haare angekokelt bekam. "Vorsicht mit dem Feuer!"
Jetzt erschienen auch Mary und Jerry in der Haustür, Jerry winkte sofort über die Straße zu den Rezas, die auch gerade aus dem Haus kamen.
"Haben wir alles?", fragte Mary und musterte die Dinge auf der Mauer. Remus nickte.
"Und noch besser, wir haben sogar zwei nicht brennende Kinder, was sagst du dazu?" Er schmunzelte und sie legte beide Hände an Remus' Gesicht, um ihm tief in die Augen schauen zu können.
"Ich bin stolz auf dich", erklärte sie. "Womit habe ich dich verdient." Sie musterte Sirius. "Du bist auch ok."
Sirius grinste und schubste sie freundschaftlich.
"Pass auf, was du sagst, oder ich verwandle dich in einen Frosch", drohte er und hob seinen Zauberstab. "Jetzt wo ich mein Baby wieder habe." Er ließ den Stab schnell in seinem Mantel verschwinden, als Triv und Jhalak über die Straße kamen und an den Gartenzaun traten.
"Apropos Baby", meinte Remus, "hast du schon mit Hagrid geredet, wann Minerva 2 ihren Weg zurück zu uns findet?"
"Habe ich", erklärte Sirius feierlich. "Er bringt sie übermorgen, ich hab ihn zum Tee eingeladen. Er wollte mal schauen, wie sich Harry so macht."
Bei seinem Namen horchte der Junge neugierig auf.
"Was ist mit mir?"
"Hagrid will dich kennen lernen."
"Wer ist Hagrid?"
Remus schmunzelte und wandte sich an Mary.
"Du musst mehr auf Dates gehen", scherzte er, "jetzt, wo ich dich nicht mehr Mitternacht an Silvester küssen kann."
Sie brach in schallendes Gelächter aus.
"Das ist der einzige Grund?", fragte sie. "Ich bin mir sicher, ich finde jemanden." Sie tippte Jerry auf die Schulter, der sich angeregt mit Triv unterhielt. "Hey, Jer, küsst du mich um Mitternacht?"
Jerry grinste, verzog dann aber entschuldigend das Gesicht und deutete auf Triv.
"Hab leider schon jemanden für platonische Mitternachtsküsse gefunden", erklärte er und Triv grinste.
"Ich küsse dich!", erklärte Luke heldenhaft, der sich jetzt zwischen ihnen aufbaute. Mary lachte und schnappte ihn sich, um ihn auf ihre Hüfte zu setzen.
"Danke, Luke", erklärte sie und strahlte in die Runde. "Seht ihr, ich brauche euch alle nicht, ich hab einen jungen Mann, der mich lieb hat!" Luke grinste wie ein Honigkuchenpferd.
"Es ist fast Mitternacht!", rief Taneesha begeistert, die gerade mit einer Flasche Sekt in der Hand über die Straße gelaufen kam. Nimit und die beiden jüngeren Kinder folgten ihr. "Seid ihr bereit für 1988?"
"Aber hallo!", erklärte Jerry grinsend. Avni sah sich um, sobald sie angekommen war.
"Wo ist Tatze?", fragte sie neugierig.
"Im Haus", erklärte Mary ohne mit der Wimper zu zucken. "Er mag kein Feuerwerk."
Remus drehte sich nach Sirius um, der seine Diskussion mit Harry anscheinend beendet hatte. Beide gesellten sich wieder mit zur Gruppe. Taneesha wirkte von ihm kurz aus dem Konzept gebracht und ihre Augen huschten zu Remus.
"Das ist Sirius", erklärte er mit einem kleinen Lächeln. "Mein Mann."
"Mein DAD!", ergänzte Luke und schlang seine Arme um Sirius' linkes Bein. Remus schmunzelte. An der Diskretion bezüglich der Zwei-Väter-Sache würden sie vielleicht noch arbeiten.
Taneesha musterte ihn für einen Moment, dann streckte sie ihm die Hand entgegen.
"Taneesha Reza", stellte sie sich vor. "Mein Mann Nimit. Unsere Töchter, Triveni, Jhalak, Avni und Leda."
Sirius schüttelte ihre Hand und grinste breit, verheimlichte dabei, dass er sie natürlich schon alle kannte. Remus konnte sein Glück nicht fassen, dass seine Familie endlich vollständig war.
Nachdem Minerva und ihre selbst erklärte Gang Peter in Gewahrsam genommen hatten, war alles ziemlich schnell gegangen. Zwischen Weihnachten und Silvester hatte die magische Welt quasi in Flammen gestanden - Peter Pettigrew war am Leben und der Black-Fall noch einmal neu eröffnet. Natürlich standen noch mehrere Verhandlungstage an, denn blöderweise hielt sich Peter an seine Version der Ereignisse. Aber vorgestern hatten Remus, Mary und Sirius vor Gericht ausgesagt und Sirius war zwar noch nicht offiziell als unschuldig erklärt worden, aber zumindest stand es wieder Aussage gegen Aussage. Laut Amelia gab es keinen Grund oder Rechtfertigung, dass er nicht bis zum Tag des Urteils ein freier Mann war - zumal ihm im Gegensatz zu Peter ironischer Weise keine Fluchtgefahr unterstellt werden konnte. Mary hatte zusätzlich noch für ihn gebürgt (Remus hatte es wegen seiner Vorstrafe nicht selbst machen dürfen).
Unter der Hand hatte Minerva gestern durchblitzen lassen, dass wohl Peters Zauberstab untersucht worden war und unter den letzten ausgeführten Sprüchen nicht nur mehrere Explosionszauber, sondern auch der Fidelius gewesen waren. Sie hatte nicht die Worte "wasserdichte Beweise" benutzt, aber wie Remus es einschätzte, standen ihre Chancen gar nicht schlecht, dass es nicht lange dauern würde, bis Sirius in allen Punkten frei gesprochen würde. Möglicherweise würde er einen kleinen Eintrag behalten für seine illegale Animagusverwandlung, die Peter natürlich bei erster Gelegenheit hatte auffliegen lassen. Und einen etwas größeren für seinen Ausbruch. Aber all das, da war sich Remus sicher, würde sich unterm Strich sicher abrechnen lassen mit der Entschädigung, die Sirius für seine sechs verlorenen Jahre winkte.
Wichtig war aber vor allem, dass Sirius hier war und hier bleiben würde. Er hatte seinen Zauberstab zurück und konnte endlich eine Therapie anfangen (Remus war skeptisch gegenüber der Therapeuten im St. Mungos, aber es war natürlich einfacher, als einen nichtsahnenden Muggeltherapeuten in ein größeres Drama hinein zu ziehen). Amelia hatte ihm recht deutlich mitgeteilt, dass eine Wiederanstellung als Auror in seiner Zukunft mit einer Vergangenheit in Askaban trotzdem nicht sehr realistisch war. (Und Sirius hatte ihr noch wesentlich deutlicher mitgeteilt, dass er überhaupt kein Interesse daran hatte, je wieder in den Dienst des Ministeriums zu treten. Stattdessen war sich Remus ziemlich sicher, dass Sirius vorhatte, Quinn zu fragen, ob er in der Werkstatt noch Hilfe brauchte.)
"Zehn...neun...acht...!"
Remus kehrte in die Gegenwart zurück, in der seine Familie und Freunde um ihn herum angefangen hatten, die Sekunden bis Mitternacht herunter zu zählen.
Er sah, wie Harry, Luke, Leda und Avni begeistert ihre Wunderkerzen schwangen. Nimit und Mary hatten ein paar Feuerwerkskörper vorbereitet, um sie gleich abzufeuern. Taneesha und Jhalak beobachteten sie, Jerry und Triv schienen schon einmal in Position zu gehen für ihren epischen Beste-Freunde-Silvesterkuss. Und zwischen alledem tastete eine raue Hand vorsichtig nach Remus'.
Er sah auf und konnte nicht anders als zu lächeln.
"...drei...zwei...eins...Frohes Neues Jahr!"
Jerry und Triv stürzten sich aufeinander in den vermutlich albernsten Kuss aller Zeiten. Nimit drückte Taneesha einen auf die Lippen und zwinkerte. Mary lehnte sich nach unten, sodass Harry und Luke beide auf jeweils einer Seite einen auf ihre Wange drücken konnten.
Remus drehte sein Gesicht zur Seite und nur ganz kurz, für eine Sekunde, vielleicht weniger, fanden seine Lippen die von Sirius.
"Frohes Neues Jahr", murmelte der, leise, sodass nur sie beide es hören konnten. Remus musste ungläubig lachen.
"Frohes Neues Jahr", gab er zurück.
"Feuerwerk!", krakeelte eine sehr vertraute Kinderstimme, dicht gefolgt von einem lauten "Luke, nein!"
Sirius trat einen beherzten Schritt nach vorne und zog ihren Sohn am Kragen aus der Flugbahn des Feuerwerkskörpers, den Nimit gerade anzünden wollte.
"Dad!", protestierte Luke unzufrieden, aber Sirius sah ihn so streng er konnte (also nicht besonders streng) an.
"Du siehst von hier genauso viel", argumentierte er. Luke verschränkte die Arme.
"Oder vielleicht nicht?" Jerry sprang neben sie und zog Luke seine Mütze über die Augen. Genau in diesem Moment sauste der erste Feuerwerkskörper aus ihrem Garten nach oben und gesellte sich zu denen der anderen. Luke schob eilig seine Mütze wieder nach oben.
"EY!", protestierte er aufgebracht, "Jetzt hab ich es verpasst!"
Jerry grinste nur.
"Wir haben ja noch welche", meinte er leichtherzig. Remus stupste ihn trotzdem von hinten an.
"Das war aber nicht nett", mahnte er. Jerry verdrehte die Augen und Remus musste grinsen. Am Ende des Tages waren sie eben Geschwister.
Sie schauten sich das restliche Feuerwerk an und verabschiedeten sich von den Rezas, die zu ihren eigenen Feierlichkeiten zurück gingen.
"Wer will noch heiße Schokolade?!", schlug Mary dann laut vor.
"Ich!", erklärten Harry und Luke gleichzeitig und sprinteten los ins Haus, dicht gefolgt von Jerry und Mary selbst.
Remus' Blick glitt über das Stück Kohle, die Münze und das Shortbread, die vergessen auf dem Mäuerchen lagen.
"Leute, was ist mit dem First Footing?", fragte er und hielt die Münze in die Höhe. Alle vier erstarrten in ihrer Bewegung. Keiner von ihnen konnte mehr so genau sagen, wer als erster über die Türschwelle gegangen war.
"Egal!", verkündete Sirius und schob sich das Shortbread in den Mund.
"Das nächste Jahr wird bestimmt trotzdem klasse", entschied Remus und sah in die Runde. Mary, Luke, Harry, Jerry und Sirius grinsten ihn an. Er grinste zurück.
In dieser Familie? Wie konnte es da auch anders sein!
~ ENDE VON TEIL VIER ~
Sooo da wären wir! Ich ärgere mich grad ein bisschen, dass ich es nicht Punkt 8:00 Uhr geschafft habe, aber well, ein bisschen Endgelaber muss noch schnell sein!
Danke, danke, danke euch allen fürs Lesen und Kommentieren und Countdownen! Es hat echt viel Spaß gemacht wieder.
Diese Geschichte ist noch NICHT vorbei! Es wird einen TEIL FÜNF geben. Der kommt allerdings erst nach Weihnachten bzw im neuen Jahr. Genauere Details bekommt ihr dann am Ende vom Adventskalender, je nachdem wie gut ich dann vorangekommen bin mit dem Schreiben.
Was mich sehr elegant zum nächsten Thema bringt: der "Lily-Evans-Weihnachtswette". Dad erste Kapitel kommt natürlich erst am Donnerstag, am 1. Dezember. Da ich aber Traditionen mag und es seit Jahren Tradition bei mir ist, dass ich das letzte Kapitel der einen Geschichte gleichzeitig mit dem ersten der nächsten hochlade, poste ich gleich noch einen kleinen Platzhalter. Da steht nichts Wesentliches drin, aber wenn ihr wollt, könnt ihr euch die Geschichte dann schonmal in eure Bibliothek tun oder so.
Von allen, die den Adventskalender nicht mit lesen verabschiede ich mich an dieser Stelle für die nächsten vier bis fünf Wochen - habt eine schöne und nicht allzu stressige Zeit :)
Der Rest - bis gleich!