Wie der Große Geist den India...

By Mopsgesicht

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Zwei junge Krieger hören von einem Händler eine unglaubliche Geschichte, von Männern mit Haaren im Gesicht, d... More

Klapptext
Der zerschlagener Bogen - Kapitel 1
Tonkawa - Kapitel 2
Adlerfedern - Kapitel 3
Wahrheit oder Lüge? - Kapitel 4
Weiter nach Süden - Kapitel 5
Zahnlücke - Kapitel 6
Veracruz - Kapitel 7
Don Bosco - Kapitel 8
Mit den Pferden in die Berge - Kapitel 9
Mexico Ciudad - Kapitel 11
Endlich zu Hause - Kapitel 12
Im Wald der Schmetterlinge - Kapitel 13
La Margarita - Kapitel 14
Reiten und Bogenschießen - Kapitel 15
Götter und Eulenmänner - Kapitel 16
Pumba und Chico - Kapitel 17
Die Geschäfte des Don Carlos - Kapitel 18
Viele Fohlen und ein Dorn im Fuß - Kapitel 19
Compostela - Kapitel 20
Alberto - Kapitel 21
Über den Yaqui - Kapitel 22
Mann und Frau - Kapitel 23
Auf der Fährte von Coronandos Armee - Kapitel 24
Hawiku - Kapitel 25
Pater Diego und Beatriz in Hawiku - Kapitel 26
Auf dem Weg nach Westen - Kapitel 27
Am größten Loch der Welt - Kapitel 28
Winterjagd - Kapitel 29
Die Strafe - Kapitel 30
Hochzeit und Verschwörung - Kapitel 31
Schlacht um Tashia - Kapitel 32
Verbrennung der Ketzer - Kapitel 33
Ehebruch und Mord - Kapitel 34
Die Vogelfreien - Kapitel 35
Im Grasland von Texas - Kapitel 36
Die eigene Herde - Kapitel 37
Der fliegende Eulenmann - Kapitel 38
Büffeljagd und Strafgericht - Kapitel 39
Schlagende Versöhnung - Kapitel 40
Apachen - Kapitel 41
Wilde Kröte - Kapitel 42
Die kleine Wildgans - Kapitel 43
Adlereule - Kapitel 44
Im Dorf der Stachelschweine - Kapitel 45
Zauberkreuze aus dem Geisterland - Kapitel 46
Status, Ansehen und Macht - Kapitel 47
Die Kohmát - Kapitel 48
Der neue Eulenmann - Kapitel 49
Neue Namen - Kapitel 50
Wie man die Angst besiegt - Kapitel 51
Auf nach Veracruz - Kapitel 52

Der Feuerberg - Kapitel 10

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By Mopsgesicht

Im Tal von Ayometitla fühlte Pumba sich fast wie im Himmel. Überall standen herrliche Blumen auf den Wiesen. Wunderschöne Vögel sangen ihre Lieder, Schmetterlinge, Hummeln und andere Insekten umschwirrten die süß duftenden Blumen auf ihrer Nahrungssuche. Immer wieder führte ihr Weg an kleinen Dörfern mit ihren herrlichen Gärten vorbei. Hier bauten die Menschen viele verschiedene Gemüsesorten an, von denen Pumba nur einen ganz kleinen Teil kannte. Das milde Klima war angenehm, der Boden eben und die Esel folgten brav ihrem Muli.

Wäre da nicht dieser neue riesige rauchende Berg an ihrer rechten Seite, dann hätte Pumba sich tatsächlich wie im Paradies gefühlt, aber dieser Berg machte ihr Angst. Bereits den ganzen Morgen fühlte sie bis in ihre Eingeweide hinein dieses dunkle Grummeln, das von dem Berg ausging und tief aus der Erde zu kommen schien. Immer wieder stieß er Rauch aus, der bis in den Himmel stieg. Aus dem Rauch fielen Asche und Steine auf den Berg zurück und bedeckten die weiße Kuppe mit einer schmutzig grauen Schicht.

Als sich am Abend alle am Lagerfeuer versammelten, hielt Pumba sich in der Nähe ihrer Herrin auf. Sie hatte eine solche Angst, dass sie sich nicht wie an den anderen Abenden, gleich nach dem Essen schlafen legte. Sie nahm sogar in Kauf, dass Beatriz ihr zusätzliche Arbeiten aufgeben konnte, wenn sie ihre Sklavin tatenlos sah. Alle anderen Leute am Feuer hatten anscheinend keine Angst vor dem Popocatepetl.

Nur dem stummen Vaquero der noch kein eigenes Pferd besaß, schien der grollende und fauchende Berg ebenfalls nicht geheuer. Immer wieder schaute er bei jedem Ausbruch zu dem Berg hinüber.

Er war heute allein am Feuer und schaufelte seine Bohnen mit dem Holzlöffel schnell in sich hinein. Kaum war er mit dem Essen fertig, brachte er seinem Freund einen gefüllten Teller zu den Pferden. Anscheinend waren die beiden auch heute Nacht wieder einmal für die Wache eingeteilt. Während Pumba Stab hinterherschaute, hörte sie in ihrem Rücken die schrille Stimme von Beatriz.

„Hattest du vor, mich für den Rest der Reise einfach zu ignorieren? Komm her und kümmere dich um mein Kleid. Ich habe es an einem Ast zerrissen. Danach bürstest du mir die Haare. Das kannst du auch noch machen, nach dem die Sonne untergegangen ist."

„Ja Herrin!"

Es war fast eine Erlösung für Pumba, dass sie jetzt etwas zu tun bekam und nicht die ganze Zeit zu dem schrecklichen Berg hinüberschauen musste. Sie widmete sich schweigend ihrer Aufgabe und konzentrierte sich darauf, den Riss im Kleid so zu vernähen, dass man ihn kaum bemerkte. Als die Sonne am Horizont verschwunden war, leuchteten ihre letzten Strahlen den Rauch des Berges von unten an. Der Anblick war atemberaubend. Ein feiner rot golden glänzender Kranz umgab die Aschewolke und zeichnete den Kopf einer gespenstisch wirkenden, riesigen Gestalt in den Himmel.

Pumba ließ die Haarbürste sinken und erwachte erst wieder zu neuem Leben, als Beatriz ihr einen leichten Schlag mit der Reitpeitsche auf die Hand versetzte.

„Träume nicht!"

„Ja Herrin!"

Als es noch dunkler wurde, sah sie, dass der Berg nicht nur Asche in den Himmel schleuderte. Dieser Berg spuckte Feuer! In der Nacht war jetzt deutlich zu erkennen, was dem Auge am Tage verborgen blieb. Große Brocken heißer Lava wurden in den Himmel geschleudert, fielen herab und zerplatzten glühend an den Hängen des Berges. Dies war der Eingang zur Hölle! Kein Wunder, dass die Wilden hier in teuflischen Ritualen dem gehörnten Hinkefuß huldigten, wo sie doch so nah am Eingang der Hölle lebten.

Auch Rabe und Stab ließen auf ihrer Pferdewache den Berg nicht aus den Augen. Die Herde war ruhig und graste friedlich im Mondlicht. Den Tieren machte das nächtliche Schauspiel des feuerspeienden Berges anscheinend gar nichts aus. Rabe stellte seinen leeren Teller zur Seite und lauschte den Geräuschen der Nacht. Fledermäuse schwirrten über ihren Köpfen und Zikaden sangen ihr Lied. Rabe konnte sich an viele Nächte in seinem Leben erinnern, aber diese Nacht würde ihn für immer begleiten. Die rote Glut, die mit gewaltiger Kraft aus den Tiefen der Erde in den Himmel geschleudert wurde, brannte sich tief in sein Gedächtnis ein.

„Hast du jemals etwas Schöneres gesehen?", fragte er gebannt und konnte nur schwer seinen Blick von dem nächtlichen Schauspiel lösen.

„Ja! Eine gebratene Büffellende auf dem Feuer meiner Tante." 

Rabe musste die Zeichen des Freundes in der Dunkelheit mehr erraten, als dass er sie sah.

Beide mussten lachen, aber Stab hätte dem Freund viel lieber gesagt, wie sehr er sich vor den Geistern an diesem Ort fürchtete. Aber weil er den verträumten Ausdruck in der Stimme des Raben kannte, behielt er seine Gedanken lieber für sich. Alles, was er über die Welt der Geister wusste, hatte Adlereule ihm beigebracht.

Der Eulenmann ihres Dorfes galt als ein mächtiger Zauberer und wie alle Kinder hatte Stab ihn gefürchtet, aber auch verehrt. Adlereule kannte die Geheimnisse, mit deren Hilfe er die Welt der Geister betreten konnte. Er hatte die Macht, Kranke zu heilen und andere Menschen so schlimm zu verfluchen, dass sie umfielen und starben. Oft kamen Menschen von weit her, wenn eine Krankheit sie plagte. Doch es war nie sicher, dass Adlereule sich ihrer annahm.

Er allein entschied, welcher Kranke seine Hütte betreten durfte. Manche wies er ab, nach dem er ihnen nur einmal ins Gesicht gesehen hatte. Diese Menschen starben oft nach sehr kurzer Zeit. Wenn er sich aber entschied, einen Kranken zu behandeln, dann tat er es mit vollem Einsatz. Er nahm dann immer ein winziges Stück des kleinen stachellosen Kaktus in den Mund, kaute und schluckte es und bat den Geist darin um Verzeihung.

Dieser Kaktus war so mächtig, dass selbst Adlereule ihn ehrfürchtig »Großvater Peyotl« nannte. Hatte der Geist ihn gepackt, war Adlereule nicht mehr derselbe Mann. Er wuchs über sich hinaus und wurde zu einem Riesen. Er bewegte sich vollkommen anders und die Last der Jahre fiel dann von ihm ab. Noch immer hatte er die gleichen dürren, vertrockneten Arme und Beine. Doch wer ihn sah, der wusste, dass er nach dem Verzehr von einem kleinen Stück von Großvater Peyotl kein Mensch mehr war.

Er war in die Welt der Geister eingetreten und er kämpfte mit ihnen. Oft dauerte es tagelang, bis er den Geist, der von dem Kranken Besitz ergriffen hatte, besiegen konnte und wenn Großvater Peyotl ihn endlich wieder verließ, schlief Adlereule zwei oder drei Tage hintereinander. Stab sehnte sich nach Hause und wollte dem alten Mann von diesem unheimlichen Berg und von seinen Ängsten erzählen. Mit Rabe konnte er darüber nicht reden. Der genoss den furchtbaren Anblick dieses schrecklichen Berges so sehr, dass es Stab peinlich gewesen wäre, ihm von seiner Angst zu erzählen.

Rabe erfreute sich tatsächlich an dem nächtlichen Feuerspiel, doch auch er dachte an zu Hause. Auch er vermisste seine Freunde und träumte sich in die Vergangenheit und in die Mitte seiner Familie. Sein Vater war vor mehreren großen Sonnen von einem Überfall auf die Keresan nicht zurückgekehrt. Wie fast alle anderen Stämme waren auch die Keresan Feinde.

Sie lebten weit im Südwesten, in festen Häusern und gruben wie Wühlmäuse im Boden. Sie ernährten sich von Mais und hatten für ihr hochnäsiges und beleidigendes Verhalten schon lange eine Strafe verdient. Die letzte Schlacht war schon viel zu lange her. Bevor die Krieger auf den Kriegspfad zogen, schmückten sie ihre Körper mit Farben aus Pflanzen und mit roter Erde. 

Sie legten ihre Federn von früheren Siegen an und nahmen ihre besten Pfeile. Dann versammelten sie sich in der Mitte des Dorfes. Dort tanzten und sangen sie einen ganzen Tag und die folgende Nacht. Adlereule war bei ihnen und schlug den Takt mit seiner Rassel. Kurz vor Sonnenaufgang beendete er den Kriegstanz und schickte die Männer los.

Ein paar Tage darauf waren sie zurück und brachten mehrere Skalpe mit. Doch sein Vater war nicht bei ihnen, sein Blut trocknete im Staub des Dorfes der Keresan. Die Siegesfeier wurde zu einer Trauerfeier. Mehrere runde Monde trauerte Rabe gemeinsam mit seiner Mutter. Als Adlereule die Trauerzeit beendete, zog Großvater Büffelkopf in ihre Hütte ein. Er brachte Rabe alles bei, was er als zukünftiger Krieger wissen musste. Der alte Mann war jetzt sein Großvater und Vater zugleich. Er lebte nicht nur mit Mutter in einer Hütte, er teilte auch das Fell mit ihr.

Weil er seine erste Frau in einem Wutanfall erschlagen hatte, fürchtete Roter Mond ihn und war ihm eine besonders gute Frau. Großvater Büffelkopf war in seiner Jugend ein großer Krieger und er trug noch immer die Federkrone des Dorfes.

Er war kein einfacher Mensch, aber zu seinem Enkel Rabe und zu seinen anderen vier Kindern, die er mit Mutter gezeugt hatte, war er immer gut gewesen. Rabe vermisste den alten Mann schmerzlich, genau wie seine beiden jüngeren Brüder und seine Schwestern. Oft waren sie eine Plage, aber es machte auch Spaß, ihnen die Welt zu erklären und ihnen Fertigkeiten beizubringen.

Genau wie seine Familie vermisste Rabe die anderen Leute seines Dorfes, auch wenn die ihm nicht so nahestanden. Denn oft wechselten Familien zu einem anderen Dorf, wenn sie Streit mit den Nachbarn hatten oder wenn sie in eine andere Richtung ziehen wollten, als der Rest ihres Dorfes. Die Leute folgten, wem sie vertrauten. Keiner herrschte über den anderen. Ein Anführer wurde wegen seiner Fähigkeit zu Führen ausgesucht und sobald er die Federkrone trug, erwarteten die Leute, dass er sie an seiner reichen Jagdbeute teilhaben ließ. Die Federkrone war eine große Last, aber auch eine große Ehre. 

Manchmal blieben zwei Familien über mehrere Jahre und manchmal sogar über Generationen zusammen, wie Großvater Büffelkopf und Adlereule. Doch das war eher selten. Die meisten trennten sich nach einigen Jahren wieder und fanden sich zu neuen Gruppen zusammen. 

Hunger war ein ständiger Begleiter seines Volkes, denn nicht immer konnten sie den wilden Büffel jagen. Manchmal blieben die Büffel ganze Monde lang fort. Dann versuchten die Teyas das große Geheimnis mit tagelangen Tänzen zu besänftigen, damit es ihnen erneut Büffel schickt. 

Doch viel zu oft lebten sie nur von Würmern, Insekten, Schlangen und Eidechsen. Gab es in einem Gebiet noch nicht einmal mehr genug Würmer, Eidechsen und Schlangen für alle, dann mussten sich große Gruppen trennen wenn sie überleben wollten. Wurde das Nahrungsangebot besser, fanden sich die Familien wieder zusammen. 

Doch oft waren es nicht die gleichen Leute, die dann in einem Dorf zusammenlebten. Oft hatten auch Familien von verschiedenen, ja sogar von verfeindeten Stämmen vereint in ihrem Dorf gelebt. So hatte Rabe die Sprache der anderen gelernt. Wie so oft konnten sich die Kinder auch in seinem Dorf besser verständigen als die alten Leute.

Rabe hatte bisher fünf Sprachen gelernt. Stab verstand ebenso viele Sprachen, auch wenn er sich nur mit der Zeichensprache mitteilen konnte. Das war auch nötig in einem Land, in dem kaum jemand die Sprache des anderen verstand. Es gab einfach zu viele verschiedene Stämme im Grasland. Allein die Zeichensprache wurde von allen verstanden. Bereits in sehr jungen Jahren lernten die Kinder diese alte Sprache im Spiel und probten sie bei jeder Gelegenheit.

Viele Stämme hatten sehr komplizierte Sprachen und einige Worte gingen Rabe nur sehr schwer über die Lippen. Dagegen fand er Spanisch sehr einfach. Er hatte bereits die wichtigsten Worte gelernt. Eine flüssige Unterhaltung war ihm noch nicht möglich, aber er lernte jeden Tag dazu. Vor Jahren hatte Adlereule einmal zu ihm gesagt, dass er jeden Tag so viele Worte einer fremden Sprache lernen sollte, wie er Finger an beiden Händen hätte. Seit dem hielt er es so und war bisher gut damit zurecht gekommen.

In seine Gedanken versunken schaute Rabe auf den Feuerberg und freute sich auf sein Dorf, die Stachelschweine. Was würden sie wohl sagen, wenn er ihnen diesen Anblick schilderte? Was würden sie wohl sagen, wenn er ihnen von den Schiffen der Spanier erzählte? 

Von diesem Moment träumte Rabe Tag und Nacht, zu jeder Zeit. Immer wieder stellte er sich vor, wie es wohl wäre, auf einem Pferd den fliehenden Büffeln hinterherzujagen. Wenn er Felipe auf seinem Pferd sah, dann konnte er ihn nur bewundern. Der sah immer so aus, als wäre er mit seinem Pferd fest zusammen gewachsen. Ob er wohl jemals lernen würde, so gut zu reiten, wie der Azteke?

Ganz besonders freute sich Rabe auf La Margarita. Dort wollte Don Bosco ihnen eigene Pferde geben und ihnen das Reiten richtig beibringen. Vermutlich glaubte Don Bosco, dass sie dann für immer dort bleiben würden. Aber Rabe wusste ganz genau, dass sie nicht länger dort bleiben würden, als nötig.

Sobald sie gut genug reiten konnten, wollten sie mit ihren Pferden in das Grasland im Norden reiten. Im Grasland würde sich ihr ganzes Leben ändern. Mit dem fauchenden und grollenden Berg vor Augen, träumte Rabe sich nach Hause in ihr Dorf und in die Weite des Graslandes zu den Büffeln.

Er konnte sich selbst geradezu sehen, wie er eines Tages mit seinem eigenen Pferd in sein Dorf zurückkehren würde. Die kraftvollen Hufe seines Pferdes würden den Boden erzittern lassen, während der Wind seine langen Haare wehen ließ.

Sein Herz sehnte sich danach, die Gesichter der Stachelschweine zu sehen, wie sie ihn mit offenen Armen empfingen und über sein Pferd staunten. Er träumte davon, wie er ihnen von seinen Abenteuern erzählen würde. Die Stachelschweine würden gespannt lauschen, während er von den ungewöhnlichsten Fremden berichtete, die auf dieser Erde lebten.

Mit einem breiten Lächeln dachte Rabe an seinen Freund Bärentatze. Der war so etwas wie der Laufbursche von Adlereule. Seit vielen großen Sonnen wurde er von ihm ausgebildet, denn eines Tages sollte er die heilige Rassel des alten Eulenmannes übernehmen. Deshalb brachte Adlereule ihm alles bei, was er in seinem langen Leben gelernt hatte.

Noch breiter grinste Rabe und versank in seinen Erinnerungen. Manchmal war Adlereule auch ganz schön gemein zu Bärentatze. Oft ließ er ihn den ganzen Tag rennen und schuften. Der hatte sehr viel weniger Freizeit als alle anderen Jungs. Trotzdem verstanden sich die beiden sehr gut und Bärentatze war gerade zu süchtig danach, alles Wissen des alten Mannes in sich aufzunehmen. Nie beschwerte er sich über Adlereule und seine Marotten. Gerade auf ihn und sein Gesicht freute er sich. Was würde Bärentatze staunen, wenn er auf seinem Pferd in das Dorf der Stachelschweine ritt!

Doch vor allem aber hoffte Rabe darauf, das stolze Lächeln von Adlereule zu sehen, wenn er es tatsächlich schaffte, mithilfe seines Pferdes, einen Büffel im offenen Grasland zu erlegen. Das Leben der Stachelschweine würde sich damit komplett ändern. Er wäre dann ein wirklich großer Mann seines Volkes, zu dem die Leute aufschauten.

Nach nur wenigen Stunden Schlaf waren die beiden Teyas im ersten Licht des Tages schon wieder wach. Interessiert standen sie ganz nah bei den grasenden Pferden und freuten sich, als die Tiere von ganz allein näher kamen und an ihnen schnupperten.

Mit einem breiten Lächeln im Gesicht strich Stab einer wunderschönen, hellgrauen Stute über den Kopf. „Diese Pferde sind so vollkommen anders, als ich gedacht habe." 

Rabe nickte. „Ich weiß ganz genau, was du meinst. Sie sind so elegant und schön und sie haben keine Ahnung wie stark sie sind."

Vorsichtig legte Stab der Stute die Hand auf den Widerrist und ahmte die Bewegung eines Pferdemauls nach, denn er hatte beobachtet, dass die Pferde sich gern gegenseitig an dieser Stelle beknabberten. Mit kräftigen Bewegungen kraulte er das Pferd. Sofort stand es still und schien die Berührung zu genießen. Glücklich schaute er seinen Freund an und lächelte.

In diesem Moment hörten sie eine vertraute Stimme. „Guten Morgen, Señores, seid ihr bereit für eine Reitstunde?" Felipe grinste die Teyas an und die konnten es kaum glauben. Sie sollten wirklich das Reiten erlernen? Staunend, voller Begeisterung, aber auch mit einem Hauch von Nervosität schauten sie auf Felipes Pferd. Es war voll aufgezäumt, gesattelt und es folgte seinem Reiter am Zügel.

Rabe nickte und in seinen Augen leuchtete die Vorfreude. 

Felipe lachte freundlich. „Keine Sorge, meine Freunde. Wir fangen langsam an. Ein Pferd zu reiten ist wie eine neue Sprache zu lernen. Ihr werdet euch wundern, wie schnell ihr mit den Tieren vertraut sein werdet."

In knappen Worten erklärte er ihnen, wie man auf ein Pferd aufsteigt. Dann zeigte er es ihnen, saß auf und stieg sofort wieder ab.

„Jetzt bist du dran." Mit einem Lächeln schaute er Rabe an und der ließ sich nicht lange bitten. Er trat näher und atmete tief ein. Allein schon der Geruch des Pferdes, eine Mischung aus Leder, Fell und Schweiß, war aufregend. Sofort setzte er seinen Fuß in den Steigbügel, zog sich hoch und schwang sich geschmeidig in den Sattel. Dieser Sattel fühlte sich sehr stabil, aber auch sehr glatt an. Ein Glücksgefühl durchströmte den Reiter. Stab grinste ihn an und Rabes Herz schlug schneller vor Aufregung.

„Denk daran, entspannt, aber immer oben zu bleiben!", ermutigte Felipe Rabe mit einem wissenden, geheimnisvollen Lächeln. „Pferde sind viel schlauer als du glaubst. Sie spüren, was du willst, noch bevor du den Gedanken zu Ende gedacht hast."

Die ersten Momente auf dem Pferderücken waren wackelig und als Felipe sein Pferd am Zügel im Kreis führte, wurde es noch viel wackeliger. Doch es dauerte nicht lange, da hatte Rabe sich an die ungewohnte Höhe und die Bewegung gewöhnt. Schon bald hatte er mehr Vertrauen in sich selbst und in das Pferd und fühlte sich im Sattel sicherer.

Noch immer führte Felipe sein Pferd im Schritt und erklärte ihnen, wie man das Pferd als Reiter lenkt und wie man sich im Einklang mit ihm bewegt.

Inzwischen wurden sie von den anderen Vaqueros und auch von Don Bosco beobachtet. Als endlich die Sonne am Himmel erstrahlte, konnten beide Teyas bereits sicher auf- und absteigen, das Pferd lenken und sie wussten, wie sie im Sattel sitzen mussten. Felipe hatte ihnen die verschiedenen Gangarten der Pferde erklärt und wie man anhält. Doch das sollte Rabe jetzt selbst ausprobieren. In einem ganz leichten Galopp, der das Pferd kaum anstrengte, ritt Rabe im Kreis. Mutig zog er viel zu fest am Zügel, das Pferd hielt an und Rabe flog aus dem Sattel.

Laut lachten die anderen Vaqueros los, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und auch Don Bosco hielt sich den Bauch vor Lachen. Auch Stab und Felipe lachten mit ihnen und Rabe stimmte ein, als er sich erhob. Ihm war nichts passiert, ein wenig peinlich berührt ging er zu dem Pferd und wollte sofort wieder aufsitzen. Doch Felipe schüttelte den Kopf.

„Wir werden zusammen noch viel üben und ich bin mir sicher, ihr werdet es lernen. Ihr habt beide großes Talent zum Reiten. Doch jetzt sollten wir etwas Essen und danach geht es los. Dann bringen wir die Herde in Bewegung. Heute Abend zeige ich euch, wie man richtig anhält." Mit einem breiten Grinsen stieg er auf sein Pferd und ritt die paar Schritte zum Koch. Dort verteilte der Küchenjunge Chico bereits die ersten Bohnen des Tages.

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