Wie der Große Geist den India...

By Mopsgesicht

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Zwei junge Krieger hören von einem Händler eine unglaubliche Geschichte, von Männern mit Haaren im Gesicht, d... More

Klapptext
Der zerschlagener Bogen - Kapitel 1
Tonkawa - Kapitel 2
Adlerfedern - Kapitel 3
Wahrheit oder Lüge? - Kapitel 4
Weiter nach Süden - Kapitel 5
Zahnlücke - Kapitel 6
Veracruz - Kapitel 7
Mit den Pferden in die Berge - Kapitel 9
Der Feuerberg - Kapitel 10
Mexico Ciudad - Kapitel 11
Endlich zu Hause - Kapitel 12
Im Wald der Schmetterlinge - Kapitel 13
La Margarita - Kapitel 14
Reiten und Bogenschießen - Kapitel 15
Götter und Eulenmänner - Kapitel 16
Pumba und Chico - Kapitel 17
Die Geschäfte des Don Carlos - Kapitel 18
Viele Fohlen und ein Dorn im Fuß - Kapitel 19
Compostela - Kapitel 20
Alberto - Kapitel 21
Über den Yaqui - Kapitel 22
Mann und Frau - Kapitel 23
Auf der Fährte von Coronandos Armee - Kapitel 24
Hawiku - Kapitel 25
Pater Diego und Beatriz in Hawiku - Kapitel 26
Auf dem Weg nach Westen - Kapitel 27
Am größten Loch der Welt - Kapitel 28
Winterjagd - Kapitel 29
Die Strafe - Kapitel 30
Hochzeit und Verschwörung - Kapitel 31
Schlacht um Tashia - Kapitel 32
Verbrennung der Ketzer - Kapitel 33
Ehebruch und Mord - Kapitel 34
Die Vogelfreien - Kapitel 35
Im Grasland von Texas - Kapitel 36
Die eigene Herde - Kapitel 37
Der fliegende Eulenmann - Kapitel 38
Büffeljagd und Strafgericht - Kapitel 39
Schlagende Versöhnung - Kapitel 40
Apachen - Kapitel 41
Wilde Kröte - Kapitel 42
Die kleine Wildgans - Kapitel 43
Adlereule - Kapitel 44
Im Dorf der Stachelschweine - Kapitel 45
Zauberkreuze aus dem Geisterland - Kapitel 46
Status, Ansehen und Macht - Kapitel 47
Die Kohmát - Kapitel 48
Der neue Eulenmann - Kapitel 49
Neue Namen - Kapitel 50
Wie man die Angst besiegt - Kapitel 51
Auf nach Veracruz - Kapitel 52

Don Bosco - Kapitel 8

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By Mopsgesicht

Don Bosco ließ seine Vaqueros nicht aus den Augen. Er hatte seinen riesigen Sombrero in den Nacken geschoben und stieg aus Höflichkeit von dem Zaun herunter, um die beiden Männer und die junge Frau zu begrüßen. Dabei klirrten seine Sporen. Er deutete eine kleine Verbeugung vor dem Pater und der jungen Dame an, den alten Haudegen mit seiner Augenklappe beachtete er nicht.

Pater Diego trat einen halben Schritt vor. „Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr Don Bosco seid? Wir haben in der Schmiede gehört, dass die Pferde des Vizekönigs nach La Margarita ins Innere des Landes bringen werdet. Da wir ebenfalls in diese Richtung wollen und einen erfahrenen Führer suchen, würden wir uns gern anschließen, wenn es euch recht ist. Könnt ihr uns zumindest sicher über die Berge bringen?"

„Natürlich kann ich euch mitnehmen, aber ihr werdet noch warten müssen. Einige Schiffe haben mit dem Entladen der Pferde noch nicht einmal angefangen und es kommen immer neue Schiffe dazu. Wenn ihr Glück habt, bekommt ihr eine Unterkunft in Veracruz und könnt dort warten bis ich alle Pferde zusammen habe. Wenn ihr keine Unterkunft bekommt, werdet ihr genau wie wir im Freien übernachten müssen."

Pater Diego lächelte den Mann an. „Macht euch um uns keine Gedanken, der Herr sorgt für die Seinen." Er war froh, dass er eine so gute und sichere Reisebegleitung in die Hauptstadt gefunden hatte und mit seiner Bibel würde ihm die Zeit des Wartens nicht lang werden.

Noch ein paar weitere Tage in Veracruz zu bleiben, war auch Jorge, dem alten Soldaten, ganz recht. Ihm hatten die Spelunken in der Stadt gefallen. Dort würde er sicher etwas zu trinken bekommen und auch eine Unterkunft für sich und seine Schutzbefohlene finden.

Beatriz fand sich nur widerwillig damit ab. Sie wollte endlich ihren Bräutigam sehen. Alberto war der Sohn eines Freundes ihres Vaters. Die beiden Väter hatten die Hochzeit ihrer Kinder bereits vor vielen Jahren beschlossen. Aber warum war Alberto nicht hier in Veracruz, um sie abzuholen? Hatte ihr Brief ihn nicht erreicht? Beatriz verdrängte die Sorgen aus ihrem Kopf und wandte sich Don Bosco zu.

„Ich habe noch ein wenig Gepäck und eine Sklavin. Das wird doch keine zusätzliche Mühe machen?"

Don Bosco schob seinen Hut noch weiter in den Nacken und schaute Beatriz und ihre beiden Begleiter zum ersten Mal etwas länger an. Die junge Frau war recht hübsch, mit ihren langen, blonden Haaren und ihrem sehr weiten, dunklen Reitkleid. Der große, hagere Kerl war bestimmt ein alt gedienter Soldat. Er trug ein altes, deutsches Bastardschwert, einen Anderthalbhänder aus dem letzten Jahrhundert und konnte ganz sicher damit umgehen. Mit seiner Augenklappe sah er verwegen aus.

Der merkwürdigste in diesem Trio war der blasse Pater mit seinem spärlichen dunklen Bart. Noch nie hatte Don Bosco einen Geistlichen in einer so schmutzigen Kutte gesehen. War das etwa getrocknete Kotze auf seinem schwarzen Habit? Wie es aussah, lagen die schmutzigen Flecken in mehreren Schichten übereinander. Der Mann stank schlimmer als seine eigenen Füße, wenn er die Stiefel nach einem langen Ritt auszog.

„Ich kann euch nur drei Pferde und ein Muli geben. Wir brauchen unsere wenigen Packpferde selbst. Was ihr nicht mitnehmen könnt, werdet ihr hier lassen müssen."

Beatriz konnte es nicht fassen. Was erlaubte sich dieser Kerl? Sie brauchte doch ihre Aussteuer und die Geschenke ihrer Eltern für ihren Bräutigam! Auf ihre Kleider und vor allem auf ihr Hochzeitskleid konnte sie doch nicht verzichten! Das Gepäck einfach hier zu lassen, war nicht akzeptabel.

„Ihr habt hier doch so viele Pferde! Die können mein Gepäck doch problemlos tragen!"

Der Mann brummte genervt.

„Die Pferde sind noch nicht einmal zugeritten. Sie haben eine beschwerliche Schiffsreise hinter sich und ich habe keine Zeit ihnen beizubringen, was ein gutes Packpferd wissen muss."

Beatriz fuhr fast aus der Haut. „Aber das kann doch nicht so schwer sein! Man schnallt ihnen die Last auf den Rücken und zieht sie hinter sich her!" 

„Wollt ihr es dem Vizekönig erklären, warum sich seine Pferde mit eurem Gepäck auf dem Rücken in den Bergen die Beine gebrochen haben?", fragte der Mann gelassen.

Sie schnappte nach Luft und ihrem Leibwächter Jorge war ihre Unerfahrenheit ein wenig peinlich.

„Wir brechen in ein paar Tagen auf. Vielleicht findet ihr in dieser Zeit ja ein paar indianische Träger. Die schleppen euer Gepäck für ein kleines Entgelt gern über die Berge." Damit war die Angelegenheit für Don Bosco erledigt. Er schenkte seine Aufmerksamkeit wieder seinen Vaqueros und gab hin und wieder ein paar Anweisungen, während Beatriz vor Wut kochend, dem Pater und Jorge in die Stadt folgte.

*

In der Ferne sah Stab plötzlich etwas in der Sonne blitzen und ging sofort in Deckung. Rabe hatte keine Ahnung, warum Stab sich plötzlich im hohen Gras versteckte, warf sich aber sofort neben den Freund. Das war wie ein Reflex. Hatte einer von ihnen eine Gefahr erkannt, konnte der andere an seiner Körpersprache sehen, wie ernst es war. Dafür brauchten sie keine Worte.

Erst als sie im hohen Gras lagen, formte Stab mit einer Hand, was er gesehen hatte.

„Wolfsgesichter!"

Wie Schlangen pressten sie sich an den Boden und krochen blitzschnell in eine Senke. Hier versteckten sie sich hinter einem Busch. Bereits aus der Entfernung konnten sie das Donnern der Hufe und laute Stimmen hören. Es mussten unglaublich viele Wolfsgesichter sein. So wie es sich anhörte, ritten sie auf ihren großen Hirschen. Doch sie hörten nicht nur die Stimmen der Männer und die Geräusche ihrer Tiere. Auch ihre Waffen aus Metall machten eine Menge Lärm. Sie klapperten laut und keinen der Männer schien das zu stören.

Wie wollten diese Kerle einen Feind überraschen, wenn sie einen solchen Lärm machten? Trotz seiner Angst war Stab so neugierig, dass er unbedingt einen Blick auf diese »Spanier« werfen wollte, wie Rote Muschel sie genannt hatte. Vorsichtig hob er den Kopf aus dem Gras und schaute durch die Blätter des Busches hindurch. Auf einen Wink von ihm erhob sich auch Rabe aus der Deckung und staunend schauten sie auf die beiden langen Reihen der Reiter, die an ihnen vorbeizogen.

Obwohl Rote Muschel ihnen die Fremden gut beschrieben hatte, nie im Leben hätten sie sich diese Männer so vorgestellt. Alle trugen auf dem Kopf merkwürdige Dinger aus glänzendem Metall. Auch ihre Körper waren fast vollständig in dieses Metall gehüllt und in den Händen hielten sie lange Lanzen mit sehr scharfen Spitzen. In zwei langen Reihen ritten sie nebeneinander auf ihren Pferden. Es waren so viele, dass weder Rabe noch Stab genug Zahlwörter für sie hatten.

Staunend schauten sie den fremden Kriegern hinterher. Immer weiter entfernten sie sich und es bestand keine Gefahr mehr, von ihnen entdeckt zu werden.

„Hast du ihre Gesichter gesehen?!", fragte Rabe atemlos.

Stab nickte und formte mit seiner Hand einen langen Bart. „Wolfsgesichter! Genau wie Rote Muschel gesagt hat! Aber noch unglaublicher war, wie sie auf ihren Pferden saßen."

Rabe stimmte dem Freund zu. „Das war das Beeindruckendste, was ich in meinem ganzen Leben gesehen habe! Diese Tiere machen tatsächlich genau das was sie sollen. Wie ist das nur möglich?"

Vorsichtig erhoben sie sich aus ihrer Deckung und schauten sich um. Niemand war in der Nähe. Doch in der Ferne hörten sie ein weiteres Pferd wiehern. Ein anderes Pferd schien zu antworten. Was für merkwürdige Laute! Sie folgten den Geräuschen und bewegten sich vorsichtig durch das hohe Gras. Auf einer sehr hohen Düne blieben sie liegen und sahen an ihrer linken Seite das Meer.

Rabe hielt die Luft an und wies still auf die vielen Schiffe, die in dieser Bucht vor Anker lagen. Was für ein Anblick! Stab grinste und wies mit seinem Blick ein gutes Stück voraus. Dort waren andere Reiter damit beschäftigt, Pferde einzufangen. Diese Reiter waren richtige Menschen und keine Wolfsgesichter.

In diesem Moment kam ein weiteres Schiff unter vollen Segeln an und ließ kurz vor dem Hafen die Anker fallen. Gleichzeitig refften die Männer in den Masten die Segel und ließen den gefangenen Wind wieder frei. Atemlos sahen die beiden Krieger zu und wussten nicht wo sie den Blick zuerst hinwenden sollten. Die Schiffe waren hochinteressant, aber noch viel interessanter waren die Männer mit den Pferden.

Die bärtigen Krieger mit ihren glänzenden Rüstungen sahen gefährlich aus. Denen wollten sie lieber nicht begegnen, doch diese Vaqueros beobachteten sie mit großem Interesse. Sie bewegten sich auf ihren Pferden wirklich wie ein Wesen mit einem einzigen Geist. Es gab keine Missverständnisse zwischen den Reitern und ihren Pferden. Voller Bewunderung schauten sie auf diese Männer.

Mit unglaublicher Präzision warfen sie Schlingen aus Leder über die Köpfe der Pferde und führten eines nach dem anderen in die Koppel. Andere Männer brauchten noch nicht einmal ihre Schlinge zu werfen. Sie ritten einfach um die Tiere herum und trieben sie vor sich her.

In diesem Moment sahen sie, wie auf einem der Schiffe weitere Pferde aus dem Bauch des Schiffes geholt und ins Meer geworfen wurden. 

Ein kleines, braunes Pferd schien große Angst zu haben und sich vor dem Wasser zu fürchten. Doch auch dieses Tier wurde von den Männern gepackt und einfach über Bord geworfen. Es schwamm zuerst hinaus auf den Ozean, erkannte dann aber seinen Irrtum und schwamm etwas abseits an den Strand. Dort entkam es den Reitern und verschwand nur wenige Schritte von Rabe und Stab entfernt in den Büschen. Nach einer Weile kam es wieder heraus, schaute sich um und begann im Talgrund der Düne friedlich zu grasen. Dabei kam es ihnen immer näher.

Die beiden Teyas hielten den Atem an. Das Pferd hatte das Ende eines kurzen, zerrissenen Stricks um den Hals. Das Seil reichte fast bis auf den Boden und war vollkommen ausgefranst. Erst als es nur noch drei oder vier Schritte von ihnen entfernt war, entdeckte es die beiden Indianer im Gras, blieb stehen und hörte damit auf, weiteres Gras zu rupfen. Es kaute noch immer genüsslich und schaute die beiden einfach nur an.

Wie Eidechsen lagen die Teyas am Boden und hatten keine Ahnung, was das Pferd jetzt tun würde. Stab hatte Angst, denn ein Tier, das beim Anblick eines Menschen nicht flüchtete, war ihm unheimlich. War das überhaupt ein richtiges Tier? Oder war es ein böser Geist, der sein Leben gleich beenden würde?

Rabe hatte zuerst ebenso große Angst gehabt wie sein Freund, doch jetzt war er vollkommen fasziniert von diesem Tier. Er sog den fremdartigen Geruch ein und betrachtete das merkwürdige Geschöpf mit dem langen Kopf und den schlanken Beinen neugierig. Er rechnete fest mit einer Flucht des Tieres und erwartete, dass es gleich davon rennen würde, aber es stand einfach nur da und schaute sie an.

Ganz langsam und vorsichtig streckte Rabe die Hand aus und erhob sich.

„Was tust du da?", fragte Stab in seiner Zeichensprache, legte einen Pfeil auf die Sehne und war bereit das Pferd zu erschießen. Rabe konnte die Angst in seinem Gesicht erkennen und stellte sich zwischen das Pferd und den Pfeil seines Freundes. Ganz langsam griff er nach dem Strick. Das Pferd floh nicht, sondern trat einen Schritt auf ihn zu und roch an seiner Hand. Rabe lächelte und strich dem fremdartigen Wesen über die warme Nase.

„Es ist verletzt! Kein Wunder, dass es ausgerissen ist. Schau hier, der Strick hat tief in die Haut eingeschnitten. Die Spanier müssen es tagelang festgebunden haben." 

Er ging langsam um das Pferd herum und entdeckte weitere kleine Schürfwunden an den Beinen, am Kopf und am Bauch. Sicher hatten sich die Pferde auf dem Schiff auch gegenseitig verletzt. Insgesamt waren die Wunden jedoch nicht schlimm.

Vorsichtig zog er an dem Strick und war begeistert, als das Pferd ihm folgte. Er führte es nach links, nach rechts und im Kreis herum. Dann blieb er stehen und strich dem Tier mit der Hand über ein Ohr. Es fühlte sich weich und warm an, etwa so wie das Ohr eines erlegten Hirsches. Doch dieses Tier war nicht tot. Es schaute ihn an und schien sich zu fragen, was der Mann von ihm wollte. Rabe strich ihm über den Hals und versuchte seinen Körper anzufassen. Die Muskeln zuckten unter der Haut und das Tier wich zur Seite aus.

Noch einmal versuchte es Rabe, dieses Mal noch langsamer und vorsichtiger. Erst nach mehreren Versuchen ließ sich das Pferd am Körper berühren. Jetzt stand es ganz ruhig da und genoss anscheinend die Streicheleinheiten.

Einer inneren Eingabe folgend, versuchte Rabe dem Pferd auf den Rücken zu klettern. Er wollte es den Vaqueros gleich tun und mit diesem Tier verschmelzen. Doch das Pferd war damit ganz und gar nicht einverstanden. Es bockte und warf den Möchtegernreiter mit Leichtigkeit ab, lief aber nicht weg.

Rabe war sofort wieder auf den Beinen und griff erneut nach dem Strick. Eine Weile stand er da und überlegte. Er schaute dem Pferd in die Augen, als suche er dort nach Antworten. Dann hob er seine Waffen vom Boden auf und ging in die Richtung der großen Pferdekoppel. Das Pferd folgte ihm am Strick.

Stab sprang auf und hielt ihn am Arm fest. „Wo willst du hin?" Er schaute seinen Freund entsetzt an.

„Ich bringe das Pferd zu den anderen. Dort will ich von den Männern alles über diese Tiere lernen und wie man mit ihnen verschmilzt. Dieses Tier kann mir keine Antworten geben. Ich kann seine Zeichensprache nicht verstehen."

„Du willst lernen, so ein Tier zu reiten?" Stab riss ungläubig die Augen auf. „Und was machen wir, wenn die Männer feindselig sind?", fragte er ein wenig furchtsam.

„Sie sind nur wenige und sie tragen keine Bögen. Wir haben genügend Pfeile für alle."

Stab hielt das für Irrsinn. Was würden sie tun, wenn die Wolfsgesichter mit ihren Pferden und ihren Lanzen plötzlich zurückkamen? Trotzdem folgte er dem Freund, so wie er es immer getan hatte.

Mit dem Führstrick in der Hand schritt Rabe auf die Koppel zu. Das Pferd schaute neugierig über seine Schulter. Auf einer Querstange dieser Koppel saß ein Mann mit einem gewaltigen schwarzen Vollbart, der von ein paar grauen Strähnen durchzogen wurde. Mit einem Lächeln schaute er die beiden Teyas an und war überhaupt nicht feindlich gesinnt. Seine Waffen, ein Schwert mit breiter Klinge und ein Messer, hingen ein ganzes Stück entfernt an einem anderen Zaunpfahl. 

Er trug ein einfaches lockeres Hemd aus weißer Baumwolle, mit weiten, luftigen Ärmeln. Seine Hose war aus festem Leder. Anstatt mit einer Naht, wurden diese Beinlinge an den Seiten mit vielen Metallplättchen zusammengehalten. Die Dinger glänzten in der Sonne und sahen aus, wie Schmuckstücke. Um die Hüfte trug er einen breiten Gürtel mit einer noch breiteren Schnalle. 

Seine Füße steckten in Stiefeln aus festem Leder. Merkwürdige Dinger aus glänzendem Metall hatte er sich hinten an die Fersen seiner Stiefel gebunden. Was es damit wohl auf sich hatte? Auf dem Kopf trug er ein komisches Ding, das an einen umgedrehten Korb aus leichtem Bast erinnerte. 

Wollte er sich damit etwa gegen die Sonne schützen? Unter diesem Ding schauten seine langen Locken hervor. Noch nie hatte Rabe eine solche Haarpracht gesehen. Rote Muschel hatte recht, diese Männer trugen ihre Haare nicht nur auf dem Kopf, sondern auch im Gesicht. Aber wie ein Wolfsgesicht sah dieser Mann nicht aus, sondern eher wie ein gut gelaunter Bär.

Vollkommen entspannt saß er auf dem Zaun und hatte alles um sich herum im Griff. Seine Körperhaltung sagte Rabe, dass dieser Mann der Anführer war, auch wenn er nicht auf einem Pferd saß wie die anderen. Rabe hielt ein paar Schritte vor ihm an und deutete auf das kleine braune Pferd und dann auf die Koppel.

Der Mann verstand, grinste und wies einen Vaquero an, die kleine Stute in die Koppel zu den anderen zu bringen.

„Ich bin Don Bosco!", rief er auf Spanisch, hieb sich mit seiner Pranke auf die Brust und schaute die beiden Indianer freundlich an. Die stellten sich ihm in ihrer eigenen Sprache vor.

„Wo kommt ihr her?" 

Der Spanier hatte ins Nahuatl gewechselt und hoffte, dass die beiden ihn verstanden. Die Sprache der Azteken war der Sprache der Teyas ähnlich, unterschied sich aber erheblich. In den Ohren der Krieger klang der Akzent des Mannes so schlimm, dass sie ihn nur mit Mühe verstanden. Doch seine Körperhaltung und sein Gesichtsausdruck passten ganz genau zu seiner Frage. Deshalb antwortete Rabe sehr langsam und unterstützte seine Worte mit der Zeichensprache.

„Wir sind Teyas und wir kommen aus dem Norden." 

Anscheinend wurden auch seine Worte von dem Mann verstanden. Denn er bedeutete ihnen, sich zu setzen und zu warten.

Don Bosco war froh über diese beiden wilden Kerle. Er brauchte dringend mehr Leute und hoffte, dass sie ihm halfen, die große Herde über die Berge zu bringen. Sie hatten ihm ein entlaufenes Pferd gebracht und waren somit keine Pferdediebe. Er schaute auf ihre Bögen und auf die daran befestigten Skalpe. 

Vermutlich hatten sie noch nie von dem Gesetz gehört, welches es allen Indianern verbot, eine Waffe zu tragen. Nur den Tlaxcalteken war das erlaubt. Don Bosco grinste. Sollte ihnen eine Patrouille des Vizekönigs begegnen, würde er den Soldaten einfach erzählen, dass diese Männer Tlaxcalteken wären. Die konnten ohnehin keinen Indianer vom anderen unterscheiden.  

Auch an der Körpergröße und an der schlanken Gestalt der beiden jungen Krieger hatte er erkannt, dass sie nicht aus dieser Region stammten. Die Azteken und die vielen anderen Völker hier in Neuspanien waren viel kleiner und gedrungener. Es freute ihn sehr, dass er sich auf Nahuatl mit ihnen verständigen konnte. Die Sprache wurde bis weit über die Grenzen Neuspaniens hinaus verstanden.

Es hieß, dass der Stamm der Azteken vor langer Zeit aus dem Norden hier her eingewandert war. Vielleicht waren die beiden ja entfernte Verwandte von Moctezuma? Grinsend winkte er den Küchenjungen Chico heran und befahl ihm, den beiden Indianern ein paar Maisfladen, Tomaten und Wasser zu bringen. Er wusste, das war bei den Indianern ein Zeichen guten Benehmens.

Schnell waren die scharf gewürzten und mit Fleisch gefüllten Maisfladen verschlungen und mit den Tomaten in den Händen, schauten die Teyas zu, wie die Vaqueros bis zum späten Nachmittag immer wieder Pferde vom Strand in die Koppel brachten. So gut es ging hatte Don Bosco ihnen erklärt, was er mit den Tieren vorhatte. Als er dann fragte, ob sie ihm helfen würden die Tiere über die Berge zu bringen, hatte Rabe begeistert eingewilligt. Stab hatte sich da herausgehalten und sich den Tomatensaft vom Kinn gewischt.

Noch am selben Abend zeigte ihnen ein Vaquero, wie sie sich den Pferden nähern, und was sie vermeiden sollten. Für die Jäger aus dem Grasland waren diese Verhaltensregeln nicht neu. Nie wären sie mit wedelnden Armen auf ihre Beute zu gegangen. Mit den Pferden war es ebenso. Die Tiere mochten es nicht, wenn man sich zu schnell bewegte und auch noch mit den Armen herumfuchtelte. Wollte man ein Pferd in eine bestimmte Richtung treiben, war genau dieses Verhalten sehr hilfreich.

Am Abend saßen die Teyas mit den Männern an einem großen Feuer und aßen gebratenes Fleisch und Bohneneintopf. Für ihren Geschmack war das Fleisch vollkommen versalzen, denn im Grasland gab es so gut wie nie Salz und so waren sie es nicht gewöhnt. Doch weil sie nicht wählerisch waren, ließen sie es sich schmecken.

Noch einen ganzen und einen halben Tag trieben sie zu Fuß, gemeinsam mit den berittenen Vaqueros weitere Pferde in die Koppel. Endlich war das letzte Schiff entladen. Nur zwei Pferde hatten den Weg an Land nicht gefunden, waren in die falsche Richtung, hinaus auf den Ozean geschwommen und nicht umgekehrt. Sie waren vermutlich ertrunken, doch die meisten waren unverletzt an Land geschwommen.

Ein Schiff war zu nah an den Strand gesegelt und aufgelaufen. Nachdem die Pferde von Bord waren und es mit der Flut wieder frei kam, entlud es noch ein paar Weinfässer im Hafen und segelte dann in Richtung Kuba davon.

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