Kapitel 34 | Drei Fronten

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"Du bist ein Feigling!
Nichts als ein elender, erbärmlicher Feigling!"

Eonwe schwieg.
Er saß auf dem Boden, mit dem Rücken an die Wand der Zelle gelehnt und starrte auf seine Hände, die er auf seinen angezogenen Beinen abgestützt hatte.
Vadrion lief am anderen Ende des winzigen, fensterlosen Raums hin und her, gestikulierte wild vor sich hin und warf Eonwe seine Vorwürfe an den Kopf.

Der Herold sagte nichts dazu.
Er hatte recht.
Daenor hätte sie beide umbringen können - und würde es vermutlich auch noch tun - nur, weil Eonwe es nicht fertiggebracht hatte, ihm Veanië durchs Herz zu rammen, als er die Möglichkeit dazu gehabt hatte.
Alles, was nun mit ihnen geschah - das war seine Schuld.

Er dachte daran zurück, was Manwe ihm in Valinor gesagt hatte: er bräuchte jemanden an seiner Seite, der nicht zögern würde.
Vadrion hätte nicht gezögert.
Genauso wenig, wie Daenor gezögert hatte.

"Am besten wäre es gewesen, wenn er dich aufgeschlitzt hätte, dann wäre ich dich und deine verdammte Narretei endlich los!", donnerte Vadrion weiter, während er nachwievor hin und her tigerte.
Beiläufig wunderte sich Eonwe, warum ihm nicht schon längst schwindlig war.

"Es tut mir leid", murmelte Eonwe schließlich.
Er wusste, dass es keine Entschuldigung gab. Dafür, dass er ihre Leben weggeworfen hatte.
Dafür, dass er Jemanden enttäuscht hatte, der auf ihn gezählt hatte.

Vadrion blieb stehen.
Er stoppte so aprupt, als wäre er urplötzlich gegen eine unsichtbare Wand gerannt.
Langsam drehte er sich zu Eonwe um und sah in blankem Zorn auf ihn herab.
"Das," zischte er, "Ist alles, was dir einfällt? Es tut dir leid?"
Er stieß ein bitteres Lachen aus und trat einen weiteren Schritt auf Eonwe zu, der ihm weiterhin nicht in die Augen sah.

Und da riss dem Maia der Geduldsfaden.
"Ich habe dir vertraut!", brüllte er Eonwe an und schlug mit solcher Wucht gegen die Wand neben ihm, dass Eonwe zusammen zuckte. Dieser Schlag hätte Knochen brechen können.
Schwer atmend lehnte Vadrion halb an der Wand, die Faust immer noch geballt. Den Blick von Eonwe abgewandt knurrte er:
"Warum dachte ich eigentlich, ich könnte mich auf dich verlassen?"

Eonwe antwortete nicht.
Selbst wenn er tausend Jahre Zeit und die Bibliotheken Valinors zur Verfügung gehabt hätte, hätte er nicht gewusst, was er sagen sollte.
Denn Vadrion hatte recht.
Er hatte in allem recht.

Plötzlich erklangen leise Schritte und beide Maiar sahen auf.
Drei Schatten erschienen an der Gittertür, einer groß, einer mittel, der andere relativ klein.
Eonwe erkannte in ihnen die Drei, die Daenor bei ihrer Gefangennahme unterstützt hatten, zwar nicht unbedingt an ihren Gesichtern, denn die hatte er in der Dunkelheit kaum sehen können, sondern an der Art, wie sie sich bewegten.

Der Kleinste schloss die Tür auf und öffnete sie vorsichtig und mit einem unheilverkündenden Quietschen.
An seiner Hüfte entdeckte Eonwe eine rote Schärpe und er fragte sich, ob dies der Mann war, den Laonir den Roten Tod genannt hatte.

"Du", meinte er nun und deutete auf Eonwe, wobei er Vadrion nicht aus den Augen ließ, "Steh auf und komm her."
Der Maia zögerte.
Eine schleichende, aus Ungewissheit entstandene Angst machte sich in ihm breit.
Wohin würden sie ihn bringen?
Zu Daenor?
Zu seiner Hinrichtung?
Zu irgendetwas anderem?

Ohne einen Blick zu Vadrion zu wagen stand Eonwe vorsichtig auf und trat auf die Tür zu.
Der Rote Tod musterte ihn berechnend aus goldbraunen Augen, auf alles gefasst. Eonwe war nicht so dumm, sich durch seine geringe Größe täuschen zu lassen - der Mann war viel gefährlicher, als der erste Eindruck vermuten ließ.

Kaum war Eonwe durch die Tür getreten, packte ihn der riesige Ork an den Armen, während ihm im gleichen Moment ein Sack über den Kopf gezogen wurde, der das Geräusch der zuschnappenden Tür bereits dämpfte.
Braune, warme Dunkelheit und ein muffiger Geruch hüllten ihn ein, und dann gab ihm det Ork einen leichten Stoß.

Die Rückkehr des Schwarzen Kriegsherren (Herr Der Ringe/Silmarillion ff)Where stories live. Discover now