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Als sie die Ebenen vor dem Schwarzen Tor erreicht hatten, hatte Daenor schon längst keinen Schmerz mehr verspürt.
Er hatte das Blut nicht mehr wahrgenommen, das von seiner Wunde rann wie ein nicht versiegen wollender Fluss davonfließendes Leben.

Nein.
Er hatte nur seine Soldaten gesehen, seine Verbündeten und gewusst, dass sie gesiegt hatten.
Dass er sie hatte schützen können.
Und selbst, wenn ihm Schmerzen den Verstand geraubt hätten, sie hätten ihm den Frieden, den ihm diese Erkenntnis einbrachte, nicht nehmen können.

Dieser Frieden, als die Stimme in seinem Kopf, die ihn antrieb, die ihn dazu gebracht hatte aufzustehen und zu kämpfen, langsam in dieser seligen Stille verblasste, die seit so langer Zeit zum ersten Mal seinen Geist erfüllte.
Es gab nichts mehr, wofür er kämpfen musste.
Er hatte erreicht, was es zu erreichen gab.

Sie würden leben.

Er dachte zurück.
Dachte an die all die Leute, die gekommen und gegangen waren, die unter seiner Klinge gefallen waren.
Dachte an Feanor und seine Söhne.
Sie hatten versucht, ihn aus der Geschichte zu tilgen, und doch war er zur Legende geworden.

Langsam, Bild um Bild, zogen diese Erinnerungen an seinem inneren Augen vorbei, und er war sich nun aller seinen Taten bewusst, sah den Roten Faden, der von einem zum anderen geführt hatte und nun hier endete.
Es war gut so.

Als Eonwe ihm half, sich zu setzen kehrte die Wirklichkeit ein Stück zu ihm zurück, gerade so weit, dass er Asrán, Gorog und die anderen sehen konnte, die vor ihm niedergekniet waren.
Die vor ihn knieten...
Er blinzelte schwer und spürte die Dunkelheit nur mehr und mehr in seinem Geist.

Asrán würde sie gut anführen.
Daenor wusste, dass er auf einen herausragenden Mann setzte, der bewahren konnte, was sie geschaffen hatten, wenn er es nur glaubte.
Seine letzten Worte an den khandrischen Prinzen waren ein Kampf um jeden Atemzug, doch er musste es ihm sagen, sowie er sie auch Eonwe hatte sagen müssen.

Doch dann, als die Taubheit langsam mehr und mehr zu einer wohligen Wärme wurde, sah er etwas anderes.
Dort, in der Ferne und doch so nah bei ihm, sah er all die, die an seiner Seite gestanden hatten.
Daenor spürte keine Überraschung mehr, nur noch Freude darüber, sie zu sehen.
Da war Dargash, mit seinem schiefen, derben Grinsen, und selbst Ratte und Sarodis, die sich nahtlos in die Reihen des Schwarzen Kommandos einfügten.

Da stand kein Hass in ihren Gesichtern.
Sie hatten keine Wunden mehr.
Daenor spürte das Lächeln über seine Lippen gleiten, als er sie vor sich sah.
Dies war die einzige Vergebung, die er all die Jahre gebraucht hatte.
Sie gaben nicht ihm die Schuld an all dem.
Sie hatten ihm längst verziehen.

Es war sein letzter Gedanke, bevor er sich der Dunkelheit hingab, die ihn sanft in ihre warme Umarmung zog.

~

Die Hallen von Mandos waren hell erleuchtet.
Das Licht spiegelte sich auf den  Wänden aus weißem Marmor, der von sich aus zu leuchten schien.
War es hier immer schon so hell gewesen?

Daenor wusste es nicht.
Seine letzten Erinnerungen an diesen Ort waren verzerrt von Wut, Trauer und Hass.
Und, wie ihm mit der Zeit klar geworden war, auch von Furcht.
Vielleicht hatte er es damals nicht wahrgenommen, hatte es sich nicht eingestehen wollen, doch dachte er jetzt zurück, erschien es ihm offensichtlich.

All diese Dinge waren nun in weiter Ferne.
Nie hätte er gedacht, dass es so friedlich wäre, loszulassen.
Und doch hatte er sein Leben mit einem Lächeln aufgegeben und die letzten Schläge seines Herzens waren so federleicht gewesen, als die Last der Schuld, die Last seiner Pflichten und seiner Ängste, endlich von ihm abgefallen war.

Selbst sein Hass, der so lange Zeit sein Begleiter, sein Antrieb gewesen war, war von ihm gewichen.
Langsam schritt er durch die Halle, unverwundet und seltsam befreit.
So lange hatte er das Urteil gefürchtet, das ihn hier erwarten würde, hatte Eonwe und Vadrion gefürchtet, die dessen unausweichliche Boten gewesen waren.

Doch er hatte getan, was in seiner Macht gestanden hatte, hatte alles riskiert und alles geopfert, um seinen größten Fehler zu beheben.
Er hätte nicht mehr tun können als das, was er getan hatte, und dies war alles, was er wissen musste, und das, was ihn Schritt um Schritt nach vorne trug.

Und als er dieses Mal vor Mandos' Thron trat, hatte er keine Angst mehr.

Die Rückkehr des Schwarzen Kriegsherren (Herr Der Ringe/Silmarillion ff)Where stories live. Discover now