Kapitel 30 | Von Lügen und Misstrauen

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Es hatte lange gedauert, bis Daenor sich dazu hatte durchringen können, wieder auf das Pferd zu steigen und zurück nach Pelargir zu reiten.
Der Schock, der Zorn steckten ihm nach dieser grauenvollen Entdeckung zu sehr in den Knochen.

Doch irgendwann - irgendwann, nachdem er vermutlich Stunden im Regen gekniet hatte, hatte Daenor die Kraft zusammengerafft, nach Pelargir zurückzukehren.
Völlig durchnässt war er durch die Tore geritten, hatte mit niemandem gesprochen, hatte Jeden ignoriert.

Niemand hatte gewagt, ihn anzusprechen.
Gut so.
Daenor hätte nicht sagen können, was er dann getan hätte.
Und selbst in seinem Zustand war ihm klar gewesen, dass ein Blutbad das letzte war, das er jetzt brauchen konnte.

Also war er an ihnen vorbeigegangen, durch die Festung marschiert und hatte sich im Raum des Kommandanten eingeschlossen.
Vollkommen apathisch hatte er auf dem Bett gesessen, die veriegelte, in der Dunkelheit nur schemenhaft auszumachende Tür angestarrt und...nichts getan.

Der blanke Hass in seinen Adern hatte ihn davon abgehalten, zu denken, sich einen Plan zurechtzulegen.
Aber andererseits, hatte er schließlich eingesehen, standen seine Chancen so schlecht wie noch nie.
Daenor war allein, hatte keine Verbündete, keinen Rückhalt.
Mindestens zwei Parteien trachteten nach seinem Leben, vielleicht drei, falls ihm die Valar irgendjemanden hinterhergeschickt hatten.

Der Elb hatte dabei eine Art von Verbitterung verspürt, die in ihm den Wunsch weckte, zu schreien, zu weinen - oder sich einfach dermaßen zu betrinken, dass er nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war.

Es tut mir leid.

Die Worte hatten sich in seinem Kopf plötzlich aneinandergereiht, und noch während sie verhallten, fragte Daenor sich, bei wem er sich entschuldigte.
Bei seinen Männern?
Oder bei dem, der er einmal gewesen war, vor so langer, langer Zeit, dass sie längst vergessen worden war?

Er mochte einmal dafür bekannt gewesen sein, die widrigsten Umstände für sich zu nutzen, immer einen kühlen Kopf zu bewahren - doch wer war Daenor denn jetzt noch?
Den Kriegsherrn von Morgoth gab es nicht mehr.
Er war in Angband gestorben, war begraben worden in Stein, gefesselt mit Ketten aus Eisen.

Es tut mir leid.

Daenor war jemand, den man immer und immer und immer wieder gebrochen hatte, und der sich doch geweigert hatte, aufzugeben. Er hatte sein Feuer am Leben gehalten, und wenn er es nur durch blanken Willen getan hatte, oder durch eine verzweifelte Hoffnung.
Doch nun, schließlich und letztendlich, war etwas tief in ihm so endgültig zerstört, dass er weder die Kraft noch den Willen mehr hatte, auftzustehen und die Scherben seiner Seele zurück an ihren Platz zu rücken.

Verzweiflung hatte sich in sein Herz geschlichen, und plötzlich war ihm der Gedanke gekommen, ob es nicht vielleicht am besten war, das Spiel einfach mitzuspielen und zu warten, bis das Richtschwert fiel.

Doch wenn er das tun würde, würde er Sauron kampflos das Feld überlassen. Wenn er jetzt aufgab, jetzt den Kopf senkte, verriet er sich selbst und alle, die einmal an ihn geglaubt hatten.
Etwas Entschlossenes war bei dieser Erkenntnis zum Leben erwacht, etwas Eisernes, das doch nie vollständig gebrochen worden war.

Es gab immer einen Weg.
Keine Niederlage war je vollkommen.
Seine Chancen existierten. Sie waren schwindend gering, aber sie waren da.
Und diese Chancen, hatte Daenor sich geschworen, würde er nutzen.
Koste es, was es wolle.

Und dann hatte der Elb tief Luft geholt, hatte seinen Geist beruhigt und sich auf das konzentriert, worin er am Besten war: Strategie.
Während er auf dem Bett saß und auf einen nicht existierenden Punkt starrte, hatte er seine Situation noch einmal genaustens untersucht.
Daenor entzündete kein Licht - er plante gern im Dunklen.
Die Welt schien dann kleiner zu sein und große Probleme wirkten weniger vernichtend.

Die Rückkehr des Schwarzen Kriegsherren (Herr Der Ringe/Silmarillion ff)Where stories live. Discover now