Kapitel 53 | Die lebenden Toten - Teil 3

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"Nein, warte, halt-!"
Ein gurgelndes Geräusch schnitt seinen Satz ab, als Nauring den Hals des haradhrischen Soldaten aufschlitzte, der panisch zurückgewichen war.
Blut ergoss sich aus der klaffenden Wunde und der sterbende Mann brach neben ihm zusammen, doch Daenor würdigte ihn keines Blickes mehr, als er an ihm vorbeischritt.

Naurings Licht war gedämpft vom getrockneten, oder noch gerinnenden Blut der Haradhrim, die sich ihm in den Weg gestellt hatten, doch sein blaues Leuchten war immer noch stark genug, um die kantigen Züge seines grimmigen Gesichts bedrohliche Schatten werfen zu lassen.

Daenor interessierte es nicht.
Die Kämpfe zogen sich über mehrere Gänge, die ihm seinen Weg nach draußen versperrten, aber er lies sich davon nicht behindern.
Er kämpfte sich voran, tauchte plötzlich auf, tötete ohne ein Wort, ohne einen Laut, ohne einen Regung von Gefühl.
Diese Leute würden keinen seiner Freunde mehr töten.
Nein.
Heute war er der Tod.

Daenor wusste nicht, wann er sich
das letzte Mal so gefühlt hatte.
War es in Gondolin gewesen?
Als Angband gefallen war?
Es schien ihm naheliegend, doch er wusste, dass dem nicht so war.
Dann fiel es ihm ein.
Die Erinnerung an diesen Abschnitt seines Lebens, den Abschnitt, den er beinahe vollständig verdrängt hatte, schlich sich nur langsam, aber dann umso klarer zurück an die Oberfläche.

Das letzte Mal, dass sie ihn zu diesem Grad der Kaltblütigkeit getrieben hatten, war nicht während einer Schlacht gewesen.
Sondern in Valinor, als er verurteilt worden war.
Als nichts mehr wichtig gewesen war, außer sein Ziel vor seinen Augen, als er nichts mehr gespürt hatte, außer den Hass in seinen Adern.

Und dies war der Mann, dem die Haradhrim nun gegenüberstanden.
Daenor Chelhathol.
Dem Dämon aus der Alten Welt.

Ragga war bei Meras zurückgeblieben, um ihm im Notfall zu helfen, und Daenor war allein gegangen.
War plötzlich allein am Schauplatz des Scharmützels aufgetaucht, Nauring gezogen und bereit zu töten.

Die Menschen, die ihm am nächsten standen hatten keinen Chance gehabt - genauso wenig wie die hinter ihnen. Ihre Warnschreie gingen unter im Lärm der Schlacht - und den Jubelrufen der Rebellen, als die Eisklinge zu ihnen stieß.

Sie waren den Haradhrim zahlenmäßig weit unterlegen, doch jeder einzelne kämpfte mit einer Verbissenheit, der die Menschen nichts entgegenzusetzen hatten. Der Angriff hatte sie überrascht, und sie waren nicht vorbereitet.
Doch für die Angreifer ging es um alles.
Und jeder gab, wozu er imstande war.

Daenor entdeckte unter den Leuten, die in die Zellentrakte ausgeschwärmt waren, reihenweise Gefangene, die sich mit den Klingen der Gefallenen bestückt hatten, und Seite an Seite mit ihren Verbündeten kämpften, die sie lange totgeglaubt hatten.
Beinahe jeder von ihnen wies Spuren von Hunger und Misshandlung auf - wenn auch keine von direkter Folter - doch in ihren Augen stand neue Hoffnung, und die Entschlossenheit, den Eindringlingen alles, was man ihnen angetan hatte, heimzuzahlen.

Und dann bemerkte Daenor, mitten im tiefesten Innern der Schlacht, einen Nurnenork.
Seine gelben Augen sprühten Funken vor Zorn und Hass, und er schwang seine Gleve wie eine Sense, die durch die Haradhrim mähte.
Gorog.

Jede Rippe zeichnete sich deutlich unter der Haut seines nackten Oberkörpers ab, die ebenso mit Brandwunden versehrt war wie die von Sarodis. Sie hatten sich also die Anführer vorgenommen.
Über seine Handgelenke zogen sich Wunden, die nicht vom Kampf stammten - sondern daher, dass man an eisernen Fesseln gerissen hatte, bis man sich die Haut vom Fleisch riss.
Daenor kannte diese Wunden gut genug. Er trug die längst verblassten Narben derselben Wut und desselben, verzweifelten Trotzes.

Doch trotz seiner Verletzung und der offensichtlichen Folter stand der Ork immer noch aufrecht, kämpfte mit einer Vehemenz, die Daenor selten gesehen hatte.
Das hier war seine Festung.
Und er holte sie zurück.

Die Rückkehr des Schwarzen Kriegsherren (Herr Der Ringe/Silmarillion ff)Opowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz