Kapitel 15 - Wilde Wasser

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Morvens Lungen brannten. Alles in ihm brannte. Mit jedem Zug, den er betätigte, verliess in seine Kraft mehr und mehr. Heisse Tränen liefen ihm übers Gesicht, doch er spürte sie nicht, weil konstant Wasser in seine Augen klatschte. Irgendwann musste er innehalten und sich auf den Rücken drehen, um nicht zu ersaufen. Der junge Mann atmete laut und oft, sah in den hellen Himmel, der regungslos und still auf ihn hinabstarrte. Er sah ihm zu und es schien Morven, als würde die Sonne ihn auslachen. Als würden ihm die Wolken sagen: Da hast dus. Sie ist dort und du bist da. Morven war blindlings ins Meer hinaus geschwommen. Aus Wut und Verzweiflung. Aus Mordlust. Ja. Hätte er Arroyo in die Finger gekriegt, er hätte ihm jedes Körperglied abgerissen, das schwörte er sich. Seine Lunge verknotete sich und er kriegte keine Luft mehr. Er war viel zu energisch und schnell nach draussen gepaddelt und nun sehr weit vom Ufer entfernt. Ihm fehlte die Kraft, sich wieder auf den Bauch umzudrehen und zurück zu kehren. Er vermisste zum ersten Mal seinen Fischschwanz. Er fühlte sich hilflos. Allein. Betrogen. Verletzt. Im Stich gelassen.

Ava! Ava!!!! Er schrieh bis ihm einen Schwall Salzwasser in den Mund schwappte und ihn zum verstummen brachte.

Gestern war er aufgewacht und hatte Frühstück gemacht. Doch Ava war nicht zu Hause gewesen. Erst hatte er versucht sie auf ihrem Handy zu erreichen, doch das war wie am Abend zuvor auf ihrem Nachttisch gewesen. Dann hatte er sämtlichen Leuten angerufen und Richard Roy und den anderen. Sofort war er an den Strand gerannt. Arroyo war ihm sofort in den Sinn gekommen. Und da er Avas Kettchen fand, nass und sandig am Ufer liegend, da wusste er, dass es nun soweit gekommen war, auch wenn er sich nicht erklären konnte wie. Als sie am Abend immer noch nicht aufgetaucht war, holte Richard die Seepolizei. Mittlerweile war das ganze Ufer auf der Suche nach ihr. Rebecca und Lucy sassen weinend in ihrer Küche und Jay war mit Francis mit den Taucheranzügen den Suchtruppen zur Hilfe gekommen.

Still und reglos lag er im Wasser und sah in den Himmel. Dass ihm das Licht in den Augen schmerzte, war ihm egal. Es war kalt und er begann zu schlottern. Erst als die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand, musste Morven realisieren, dass er sie gewiss nicht finden konnte. Er hatte doch lediglich auf ein Auftauchen von Arroyo gehofft. So hätten sie es jetzt gleich klären und beenden können. Doch der Fischmensch war nicht erschienen. Weder nicht um ihn auszulachen, noch um ihm zu sagen, dass Ava nicht bei ihm war... Er kehrte zurück an Land. Zittrig und mit geröteten Augen stapfte er zurück ins Haus. Rebecca sah auf, als er eintrat und sank sogleich den Kopf wieder, als da keine Ava auftauchte. Er nahm sich eine heisse Dusche, das Wasser prasselte ihm auf den Kopf und er spürte wie verkrampft und erschöpft er war. Letzte Nacht hatte er nicht geschlafen. Ava... Sein Kopf brummte und alles schmerzte ihm. Nach der Dusche setzte er sich stumm ins Wohnzimmer, trocknete sich das dunkle Haar. Der Gedanke, dass Ava tot war... Ertrunken in den Fängen von Arroyo schmerzte ihn so sehr, dass ihm übel wurde. Er rannte ins Badezimmer und übergab sich.

Rebecca erschien im Türrahmen und setzte sich neben ihn. Sie strich ihm über sein Haar und Morven hielt inne. Seine Schultern begannen zu beben und Rebecca hörte ihn leise schluchzen. Sie drückte ihn an sich und brachte ihm dann ein Glas Wasser. Das Mädchen nahm ihn in den Arm und strich ihm über den Rücken. Dann brachte sie ihn zu Bett und löschte das Licht.

Sie setzte sich ganz resigniert auf den Boden von Avas Zimmer. Auf dem Nachttisch stand ein rosaroter Bilderrahmen mit einem Foto von Ava und Rebecca drin. An der Wand hingen Bilder und Postkarten von Wüsten, Blumen und Vögel.

Richard kam erst sehr spät nach Hause und Rebecca eilte sofort ins Wohnzimmer zurück. Hoffnungsvoll sah sie ihn an, doch der alte Mann schüttelte den Kopf. Er liess sich in die Couch sinken und fuhr sich über die Augen. Er sah müde und erschöpft aus. Er trug sein gestreifter Pullover seit mehr als vierundzwanzig Stunden und so lange hatte er wohl auch nichts mehr gegessen. Sie machte ihm ein Sandwich und er stand auf um sich an den Tisch zu setzen. Auf dem Weg dahin blieb er stehen und hielt inne. Er wandte sich an das Bild der Meerjungfrau. Teilweise hoffnungsvoll, teilweise verzweifelt und zerschlagen sah er das Bild an. Dann nahm er es von der Wand und drehte es um, sodass er es nicht mehr ansehen konnte. Rebecca konnte nur interpretieren weshalb er das tat. Er bedankte sich heiser bei Avas Freundin und ass nur lustlos die Hälfte des Sandwiches. Sie setzte sich zu ihm und musterte ihre Fingernägel.

Cold LungWhere stories live. Discover now